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„Wenn ich ein Mann gewesen wäre…“ – die feministische Allzweckwaffe gegen Durchschnittlichkeit

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

Olympische Breakdancerin Rachel Gunn: Wenn sie ein Mann gewesen wäre, wäre das nicht passiert (glaubt sie)

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Unter Männern zu leben, bedeutet, jederzeit von zahllosen Beinahe-Starathleten umgeben zu sein – wenn da diese eine Knieverletzung aus der Mittelstufe nicht gewesen wäre, wenn die Freundin beim Abiball 1976 nicht mit High Heels auf den kleinen Zeh getreten wäre, wenn der Ball damals beim Hochschul-Volleyball nicht im falschen Winkel auf den Daumen geprallt wäre, wenn der Vater nicht unter Enterbungs-Androhungen das BWL-Studium erzwungen hätte, wenn der Konkurrent nicht gedopt hätte, wenn sie bloß gewollt hätten, aber sie wollten ja gar nicht.

Aber die Voraussetzungen wären da gewesen! Bei der Bundeswehr-Musterung haben sich die Ärzte gar nicht mehr eingekriegt, im G-Jugend Fußballverein war man mit 13 Toren pro Saison der Top-Stürmer (davon sieben Eigentoren), bei den Bundesjugendspielen hat man immer die Ehrenurkunde eingesackt, und aus den perfekten Proportionen hätte noch vieles werden können. Ganz grundsätzlich sieht man bei der Fußball-WM und Olympia überall nur zweitrangige Sportler, die Besten der Besten sind unter uns und geben sich als ganz normale Bürger aus – aber wenn da bloß diese eine Knieverletzung nicht gewesen wäre…

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Soweit zu den Männern und ihren drolligen Eigenheiten. Doch was ist das Gegenstück in der Frauenwelt? Die Antwort ist ebenso multitaskingfähig wie die Frau selbst und lässt sich über Branchen hinweg anwenden wie ein Allzweck-Multiflächenreiniger – ob eine Niederlage im Sport, in der Gesellschaft oder im Beruf: „Wenn ich ein Mann gewesen wäre…“ funktioniert immer.

Viele Frauen in Krisensituationen vertrauen auf „Wenn ich ein Mann gewesen wäre…“. So etwa Rachel Gunn, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen „Raygun“. Der Name sagt Ihnen nichts? Nur, weil sie eine Frau ist! Wenn sie ein Mann gewesen wäre, würde jeder die australische Breakdance-Legende kennen, die dieses Jahr Olympia-Geschichte schrieb und alle anderen Darstellungen in den Schatten stellte.

Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte man ihr die Performance nicht übel genommen, und viel mehr Leute hätten sich hinter ihr versammelt, erklärte sie erst kürzlich dem Stellar Magazin. Dass die tatsächlichen Männer beim Olympia-Breakdancing ihr gesamtes Körpergewicht auf ihrem Kopf balancieren konnten, während Raygun nur eine erstklassige Scharade-Känguru-Performance hingelegt hat, tut hier nichts zur Sache.

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Anfang der Woche veröffentlichte die FAZ einen Podcast mit Tanja Dreilich, die schon in sämtlichen großen Konzernen CFO war und andere Führungsposten besetzte. Überschrift: „Wäre ich ein Mann gewesen, wäre das wohl durch die Decke gegangen“. Sie sehen, innerhalb einer Woche funktioniert „Wenn ich ein Mann gewesen wäre…“ bei Sportblamagen und in der Finanzwelt. Taylor Swift hat dem Konzept ein ganzes Lied gewidmet, „The Man“ heißt es, ein Lied, das Kamala Harris schon auf ihren Rallyes gespielt hat.

Man würde sie zum „furchtlosen Anführer“ und „Alpha-Typen“ ernennen und könnte es von „guten Ideen und Power Moves“ trennen, wenn sie unhöflich ist, singt Swift. „Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich der Mann“, heißt es im Refrain. In der Musikszene ist sie mit solchen Fantasien nicht alleine. Die Sängerin Charlie XCX (noch ein Name, den Sie nur wegen ihres Geschlechts nicht kennen) erklärte einst in einem Interview: „Wenn ich ein Mann wäre, würde man mich anbeten, als wäre ich eine Art Gott der Musikindustrie“.

Überzeugt? Dann testen auch Sie noch heute „Wenn ich ein Mann gewesen wäre…“, den treuen Partner an Ihrer Seite, wenn Ihr Größenwahn mal wieder kickt, Sie ihn aber auf eine dezente, bescheidene Art ausleben wollen! „Wenn ich ein Mann wäre…“ erzählt die Geschichten von Frauen, die glauben, nicht genug bezahlt zu bekommen oder nicht genügend Erfolg zu haben, obwohl sie von sich selbst glauben, mehr verdient zu haben.

Sie schieben ihre Unzufriedenheit auf ihr Geschlecht, eine Ungerechtigkeit, die sich nicht ändern lässt, denn ihr eigenes Verhalten – sie selbst – kann ja unmöglich der Grund sein. Frauen glauben, immer strenger behandelt und mehr kritisiert zu werden. Ihr Erfolg wiegt immer schwerer, weil Männer ihn ja eh auf dem Silbertablett serviert bekommen haben, während sie selbst sich alles erarbeiten mussten. Männer sind eine Projektionsfläche für die Wünsche nach Erfolg ohne Arbeit, denn Männern fällt ja alles einfach so zu.

Ich glaube, Frauen haben oftmals keine Ahnung, wie schwer Männer es wirklich haben. Sie werden von klein auf darauf gedrillt, eines Tages eine Familie ernähren zu können, dürfen keine Gefühle oder Schwäche zeigen – und dann ist da auch noch diese Knieverletzung aus der Mittelstufe…

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