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Unter dem Deckmantel Politiker-Angriffe soll jetzt weiter an der Meinungsfreiheit gerüttelt werden

In der aktuellen Aufregung um politische Attacken preschen Landespolitiker jetzt mit neuen weitreichenden Gesetzesentwürfen vor, die mit Gewalt als vorgeschobenem Anlass dabei auch gewaltlosen Protest und Kritik ins Visier nehmen.

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Medien und Politik diskutieren über Angriffe auf Politiker. Attacken gegen Kandidaten und Amtsträger sind nach einer Reihe von Vorfällen in den Fokus der öffentlichen Debatte geraten: Dem SPD-Politiker Matthias Ecke wird in Dresden von einem Jugendlichen das Jochbein gebrochen, die Grünen-Lokalpolitikerin Yvonne Mosler wird bedrängt, bedroht und bespuckt. Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) wird in einer Bibliothek tätlich angegriffen und verletzt, ein AfD-Landtagsabgeordneter im niedersächsischen Nordhorn an einem Infostand mit Eiern beworfen und ins Gesicht geschlagen. Scheinbar häufen sich diese Angriffe. Alle politischen Kräfte, von AfD bis zur Linken, verurteilen diese Angriffe richtigerweise.

Manche jedoch wollen die Vorfälle nutzen, um neue Straftatbestände einzuführen. Es gehe immerhin um das Höchste, um unsere Demokratie: „Das Ziel der Taten ist nicht die Körperverletzung als solche. Den Tätern geht es um den Angriff auf unser demokratisches System und insbesondere die Behinderung von freien Wahlen. Es soll ein Klima der Verunsicherung und des Hasses geschaffen werden“, behauptet SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann gegenüber der Welt.

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Schon jetzt gilt Sonderrecht für Politiker – und sie wollen es ausbauen

Er hat recht: Wer Politiker, gerade im Wahlkampf, angreift, der attackiert auch immer das politische System. Dennoch ist die Erhöhung solcher Attacken zu einem „Angriff auf die Demokratie“ problematisch. Denn mit diesem Superlativ versuchen manche, auch unvertretbares zu rechtfertigen.

Die Politik will ein Sonderstrafrecht für sich selbst ausbauen – und überhöht sich damit. Bereits jetzt gibt es den Paragraphen 188 des Strafgesetzbuches: „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“. Sogar eine Mindest-Haftstrafe von sechs Monaten ist im Paragraphen festgehalten, die für den vorangehenden normalen Paragraphen zu Beleidigung oder übler Nachrede nicht gilt. Schon hier gilt also eine gesonderte, „bessere“ Rechtslage für Politiker.

„Beeinflussung“ als Straftat? Das ist undemokratisch

Darauf wollen einige jetzt aufbauen: Der Freistaat Sachsen will einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der einen neuen, weiteren Straftatbestand vorsieht. Demnach soll die Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern durch sogenanntes „politisches Stalking“ zur Straftat werden. Dabei ginge es um Bedrohungssituationen, wie etwa aggressive Aufmärsche vor dem Wohnhaus eines Bürgermeisters, sagt Sachsens Justizministerin Meier (Grüne). Tatsächlich sind die Pläne aber vage. Der Polizei sollen mehr „präventive Befugnisse“ eingeräumt werden, heißt es.

Dem Tagesspiegel sagte Meier, dass die „Beeinflussung staatlicher Entscheidungsträger“ unter Strafe gestellt werden müsse. Die Begriffe der Bedrohung sowie der Beeinflussung wären relativ weit auszulegen, würden der Justiz einen weiten Interpretationsspielraum bieten und womöglich Tür und Tor für Willkür öffnen. Ist „Beeinflussung“ von Politikern nicht der Sinn und Zweck einer jeden Demonstration? Und was ist eine Bedrohung von Politikern? Sätze wie „wir werden dich aus dem Amt jagen“ oder „du wirst zur Rechenschaft gezogen“ wirken martialisch. Aber sie sind keineswegs zwingend eine Bedrohung oder eine Gewaltphantasie.

Polemische Kritik, Beleidigung gegen Politiker – auch das muss erlaubt sein

Ohnehin zeigt die Rechtsprechung auch häufig, dass Politiker viel aushalten müssen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann darf man beispielsweise „Brechmittel“ nennen, bestätigte ein Gericht. Robert Habeck kann man einen „Vollidioten“ nennen, ohne dafür verurteilt zu werden. Immer wieder fallen auch Beleidigungen von Politikern vor Gericht unter die Meinungsfreiheit. Ein Politiker, gerade in so hoher verantwortlicher Position oder so öffentlich exponiert wie Habeck und Strack-Zimmermann, müssen auch polemisch kritisiert und ja, auch beschimpft werden dürfen. Seine Regierenden als Vollidioten zu bezeichnen, sollte eigentlich Bürgerrecht sein. Und ein Paragraph 188 widerspricht ohnehin der Idee des Verhältnisses von Politikern und Bürgern in einem liberalen Staat.

Und auch, wenn sie Opfer von Gewalt werden, haben Politiker keine Sonderbehandlung verdient. Viele Politiker, etwa FDP-Vize Wolfgang Kubicki, AfD-Chef Tino Chrupalla oder der Unionsabgeordnete Alexander Throm, kritisieren diese aktuellen Vorstöße. Throm warnt vor dem Eindruck von Opfern „erster und zweiter Klasse“, Kubicki sagt: „Wenn ein Politiker betroffen ist, dann schreien alle auf. Wenn eine Jugendbande eine Stadt terrorisiert oder Leute am Bahnhof zusammengeschlagen werden, dann wird das eher hingenommen.“ Und Chrupalla meint: „Ein Politiker ist doch nichts Besseres als ein normaler Arbeitnehmer oder Arbeitgeber“.

Doch genau dieser Eindruck entsteht, wenn Politiker ein Sonderrecht für sich selbst ausbauen. Ja: Gewalt gegen und körperliche Angriffe auf Politiker sind zu verurteilen und gehören strafrechtlich verfolgt. Dazu bietet das Strafgesetzbuch aber schon jetzt mehr als genug Möglichkeiten. Gar mit vagen Begriffen wie „Beeinflussung“ zu arbeiten und so Kritik, auch harte und polemische, zu kriminalisieren, ist anti-freiheitlich und undemokratisch. Es schadet der Demokratie mehr als jeder Wahlwerbestand-Pöbler.

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