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Bei Günther Grass

Süddeutsche Zeitung fand Waffen-SS-Mitgliedschaft verzeihlich – will aber Aiwangers Rücktritt

Die SZ wollte Aiwanger mit einem Flugblatt politisch aus dem Spiel nehmen. 2015 bewertete man die Waffen-SS-Zugehörigkeit von Autor Günther Grass noch als „nicht unverzeihliche Jugendsünde.“

Grass' Personalerfassungsbogen aus der US-Kriegsgefangenschaft mit seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft aufgelistet

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„Dass Günter Grass als Jugendlicher in der Waffen-SS war, ist keine unverzeihliche Sünde. Es diskreditiert den Mann auch nicht, weder den politisch engagierten Demokraten noch den Schriftsteller.“ Diesen bemerkenswerten Satz schrieb die SZ noch 2015 als abschließenden Satz in einer Biographie zu Grass.

Acht Jahre später, 2023, ist es dieselbe Zeitung, die in einer Medienkampagne den bayrischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zu Fall bringen will. Aiwangers Verbrechen: Er soll mit 17 ein Flugblatt mit Hetz-Inhalt verfasst haben. Am Ende stellte sich heraus, dass das nicht er, sondern sein Bruder war.

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Für die SZ aber Grund genug, ihn politisch ausschalten zu wollen. „Jugendsünde“ – selbst wenn es die seines Bruders war – lässt sie nicht zählen. Bei Günther Grass war das noch anders. Denn sonst ist das wohlwollende Porträt der SZ über den 2015 verstorbenen Grass nicht zu erklären.

Samthandschuhe für Günther Grass

Günther Grass war als 17-Jähriger, also in demselben Alter wie Aiwanger, als er vermeintlich das Flugblatt verfasst haben soll, der besonders brutalen und unmenschlichen Waffen-SS beigetreten. Und das freiwillig: Viele meldeten sich damals zur Wehrmacht, weil sie sich eine Waffengattung aussuchen wollten, bei der sie ihre Überlebenschancen höher einschätzten. Für Günter Grass galt das nicht: Er sagte öffentlich, dass er bis Kriegsende an den „Endsieg“ geglaubt habe. In dem autobiographischen Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ schrieb Grass, er habe die Waffen-SS in seiner Jugend „als Eliteeinheit“ gesehen, „die doppelte Rune am Uniformkragen“ sei ihm „nicht anstößig“ gewesen.

Die Tatsache seiner SS-Zugehörigkeit hatte Grass auch erst sehr spät, 2006, publik gemacht, weit nachdem er sich als moralische Instanz im Nachkriegsdeutschland etabliert hatte. Der Journalist und Hitler-Biograf Joachim Fest äußerte damals entsprechend sein Unverständnis, „wie sich jemand 60 Jahre lang ständig zum schlechten Gewissen der Nation erheben kann, gerade in Nazi-Fragen – und dann erst bekennt, dass er selbst tief verstrickt war.“

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Von nahezu allen Einheiten der Waffen-SS, nicht nur ihren Freiwilligen- und Waffen-Divisionen, wurden in brutale Kriegsverbrechen begangen. Und trotzdem bewertete die SZ Grass Waffen-SS-Mitgliedschaft als „keine unverzeihliche Sünde“, während bei Aiwanger und seinem Bruder das Gegenteil gilt.

„Nicht unverzeihlich“

So schrieb die SZ: „Grass war nur einige Monate in der Division Frundsberg. Dann war der Krieg vorbei, und er kam in Gefangenschaft bei den Amerikanern. Da begann seine Umbildung zum Demokraten. Er blickte zurück, fragte sich, was da geschehen war, auch mit ihm, und kam zu dem Schluss, dass es in der Weimarer Republik zu wenig Bürger gegeben hatte, die sich vor diese Republik stellten. Das ließ er sich eine Lehre sein, er wollte es künftig besser machen“ und machte damit aus einem freiwilligen SS-Mann einen von seiner Zeit geprägten Opfer, der Einsicht gewonnen hatte.

Doch wie rechtfertigt die Süddeutsche, dass er seine Mitgliedschaft dann bis 2006 geheim hielt?

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Die SZ schrieb, Grass verteidigend: „Mancher, der Grass zugutehielt, dass er sein Scherflein zur Demokratisierung der Bundesrepublik beigetragen hatte, fragte 2006, warum er nicht früher seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS offenbart hatte. Lag es vielleicht daran, dass dieses Eingeständnis ihn für den Nobelpreis disqualifiziert hätte? Wer so denkt, übersieht, dass Schriftsteller, die ihren Beruf seit Jahrzehnten ausüben, ein wenig in ihrer eigenen Welt leben. Der ganz banale Opportunismus liegt den meisten nicht. Wäre Grass so berechnend gewesen, hätte er damit schon früher angefangen, als er noch nicht genau wusste, wie er im kommenden halben Jahr die Miete seiner Wohnung bezahlen sollte.“

Zweierlei Maß

Und dann: „Dass Günter Grass als Jugendlicher in der Waffen-SS war, ist keine unverzeihliche Sünde. Es diskreditiert den Mann auch nicht, weder den politisch engagierten Demokraten noch den Schriftsteller.“

Man mag Günther Grass verzeihen dürfen: Aber, dass die SZ heute mit einer solchen Kampagne gegen Aiwanger vorgeht, zeugt von doppelten Standards und einer Bewertung nach Haltung und nicht nach Schwere der Vergehen in der Vergangenheit.

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