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Umstrittene Abstimmung

So will Brüssel jetzt die Souveränität der Nationalstaaten aushebeln

Die allermeisten Entscheidungen im Europäischen Rat müssen einstimmig getroffen werden - jedes EU-Mitglied hat also de facto ein Vetorecht. Das EU-Parlament will dieses in einem Zentralisierungspaket für mehr Macht in Brüssel nun kippen. Doch Ungarn, die Slowakei und Polen kündigen ihr Veto an.

Das Europäische Parlament hat am Mittwoch einen Beschluss gefasst, der darauf abzielt, die Verträge der Europäischen Union zu ändern, um das Veto-Recht der Mitgliedsstaaten abzuschaffen und den EU-Institutionen mehr Macht zu geben. Die Resolution wurde mit 291 Stimmen angenommen, 274 Abgeordnete stimmten dagegen, 44 enthielten sich. Die Abstimmung selbst zeigt, wie kontrovers das Thema ist. Auch die Mitgliedsstaaten scheinen nicht an Veränderungen interessiert zu sein.

Rechtskonservative Politiker bewerten die Vorschläge als einen Versuch, „Europa zu kapern“ und „einen dystopischen Superstaat zu schaffen“, der die Mitgliedsstaaten von souveränen Nationen hin zu Befehlsempfängern einer Zentralgewalt degradieren würde. Die Pläne sähen in der Tat eine massive Verlagerung von Kompetenzen von der nationalen auf die EU-Ebene vor. Das System der Einstimmigkeit – Vetorechte der Mitgliedstaaten – würde fast vollständig abgeschafft und durch Mehrheits- oder qualifizierte Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden. Das Europäische Parlament würde mehr Befugnisse erhalten, und die Europäische Kommission würde wesentlich politischer werden.

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Polen und Ungarn werden Zentralismus-Reform verhindern

Um seinen Willen in die Tat umzusetzen, ist das EU-Parlament auf alle 27 Mitgliedsstaaten angewiesen. Deren nationale Regierungen müssen einer solchen Änderung zustimmen. Eine Vertragsänderung ist daher unwahrscheinlich. Denn Polen und Ungarn haben bereits ihren Widerstand garantiert.

Die noch amtierende konservative Regierung Polens hat am Dienstag eine Resolution verabschiedet, in der sie sich gegen die vorgeschlagenen Änderungen der EU-Verträge ausspricht. Darin heißt es, die Vorschläge des EU-Parlaments würden „die Rolle des Einstimmigkeitsprinzips im Europäischen Rat beschneiden“ und „versuchen, die Befugnisse der Mitgliedstaaten in strategischen Bereichen“ wie Außenpolitik, Verteidigung und nationale Sicherheit zu beschränken. Solche Änderungen würden „Polens Souveränität grundlegend einschränken“ und „gegen die polnische Verfassung verstoßen“. Die polnische Regierung erklärte, die vorgeschlagenen Änderungen würden vor allem „den Interessen der beiden größten EU-Mitgliedstaaten“ dienen, nämlich Frankreich und Deutschland.

Auch Polens Tusk gegen „naiven Euro-Enthusiasmus“

Polens größte Oppositionspartei, die „Bürgerplattform“ um de-facto-Wahlsieger Donald Tusk, lehnt die Vorschläge des EU-Parlaments ebenfalls ab. Tusk, der wahrscheinlich der nächste Ministerpräsident werden wird, warnte, dass die Ideen genau die Art von „naivem Euro-Enthusiasmus“ verkörperten, die das Vereinigte Königreich dazu gebracht hätte, die EU zu verlassen. „Keine Gruppe auf der polnischen politischen Bühne wird es zulassen, dass wir in Entscheidungen, Manöver oder Prozesse verwickelt werden, die Polens Unabhängigkeit, Souveränität und Interessen einschränken“, erklärte er.

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Auch der konservative ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán lehnt es strikt ab, den Mitgliedsstaaten ihre Vetorechte zu nehmen. „Für Ungarn ist dies ein Tabu. Ungarn betrachtet die einstimmige Beschlussfassung als letzte Garantie für den Schutz des nationalen Interesses, und in den nächsten 120 Jahren wird kein Parlament in Ungarn – unabhängig von seiner Zusammensetzung – dafür stimmen. Wir sollten sie also besser von der europäischen Tagesordnung streichen“, sagte er kürzlich in einer Rede. Und auch die neue linksnationalistische Regierung von Robert Fico in der Slowakei hat deutlich gemacht, dass sie „die Slowakei an die erste Stelle“ setzen will und sich der Abschaffung der nationalen Vetorechte oder dem Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in mehr Bereichen widersetzen wird.

In Europa ist niemand so wirklich für die Reform

Damit es zu einer Vertragsänderung kommt, muss der Europäische Rat, der sich aus den Mitgliedstaaten zusammensetzt, zunächst mit einfacher Mehrheit für die Einsetzung eines Konvents stimmen, der sich aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Kommissaren, Abgeordneten aus den Mitgliedstaaten und den Staats- und Regierungschefs der EU zusammensetzt. Der Konvent würde dann die Vorschläge analysieren und Empfehlungen aussprechen, die von allen Mitgliedstaaten angenommen werden müssten.

Es scheint jedoch keinen Appetit auf Veränderungen zu geben. Weder die französische, noch die tschechische, noch die schwedische EU-Ratspräsidentschaft sind einer vom Europäischen Parlament im letzten Sommer angenommenen Entschließung gefolgt, in der der Europäische Rat aufgefordert wurde, den Prozess zur Überarbeitung der EU-Verträge einzuleiten. Während der Debatte am Dienstag im Europäischen Parlament erklärte der Vertreter der derzeitigen spanischen Ratspräsidentschaft, Staatssekretär Pascual Navarro Ríos, dass die Präsidentschaft plane, das Thema bei einem Treffen der EU-Minister am 12. Dezember anzusprechen.

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