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Entgleiste Inklusionsdebatte: Ist gegen Höcke alles erlaubt?

Nachdem der thüringische AfD-Chef Björn Höcke ein Ende der Inklusionspolitik an Schulen forderte, überschlagen sich seine Kritiker bis zu direkten Gleichsetzungen zum NS-Massenmord. Dabei wird sein Vorschlag seit Jahren diskutiert. Ist eine solche Eskalation in Ordnung, nur weil es gegen den AfD-Rechtsausleger geht?

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„Ein Angriff auf die Menschenwürde“, beklagen Verbände. „Menschenfeindlich“, meint die „Lebenshilfe“. Vom „Ende der Menschenrechte“ spricht der Grünen-Politiker Sven Lehmann. Dabei hatte Björn Höcke im MDR-Sommerinterview eigentlich nur etwas gefordert, was in diesem Land gängige Praxis war und ist: Der Rechtsaußen-Politiker der AfD hatte sich für das Ende der Inklusion von geistig behinderten Kindern an Regelschulen und eine Rückkehr zum Sonderschul-Modell ausgesprochen. Der Sturm der Empörung war erwartbar – wahrscheinlich hatte Höcke auch selbst mit ihm gerechnet.

Aber ist er auch gerechtfertigt? Es ist nicht so, dass das, was der AfD-Chef aus Thüringen sagte, eine radikale oder neue Idee wäre – Förderschulen waren jahrzehntelang die Regel in Deutschland und sind es oft auch heute noch. Hat Deutschland also all die Jahre, in denen behinderte Schüler an Förderschulen unterrichtet wurden, die Menschenwürde und damit das Grundgesetz missachtet? Tut es das noch heute?

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Inklusion ist Menschenrecht – das heißt nicht, dass man Lehrer und Schüler überfordern muss

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. So steht es im Grundgesetz. Aber über Ausmaß und konkrete Umsetzung an Schulen wird schon seit mehr als einem Jahrzehnt gestritten. Ist es Benachteiligung, Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in speziell darauf ausgerichteten Schulen zu unterrichten? Ist es umgekehrt ein Dienst an den Menschenrechten und der Würde geistig behinderter Kinder, sie in eine überfüllte Regelschul-Klasse zu stecken, in denen ein überforderter Lehrer nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen kann, sie pädagogisch zurückgelassen werden? Und wenn ein Lehrer sich in einer Klasse mit 35 Kindern besonders viel um den einen Schüler mit „special needs“ kümmern muss – ist das dann gerecht für die 34 anderen Schüler, die vielleicht auch Aufmerksamkeit, Unterstützung und Hilfe brauchen?

Oft sind Lehrer und Schulen für die Anforderungen von Inklusion in Regelklassen nicht ausgebildet und ausgestattet. Sonderpädagogen reisen wie fliegende Händler durchs Land, von Schule zu Schule, weil die Kräfte schlicht fehlen. Inklusion wird heute nur durch den Einsatz und den pädagogischen Idealismus von Lehrerinnen und Lehrern am Leben gehalten, betont die Vorsitzende des Bayerischen Lehrerverbandes, Simone Fleischmann.

Was bei anderen Diskussionsvorschlag ist, ist bei Höcke ein geistiges NS-Verbrechen

Der Eindruck ist: Das Problem ist nicht die Forderung, sondern derjenige, der sie stellt. Aber eine Idee, die in Deutschland Praxis war und ist, die in anderen Ländern der Welt in verschiedenen Formen praktiziert und offenbar vollkommen unproblematisch ist, kann nicht plötzlich „rechtsextrem“ und ein „Angriff auf die Menschenwürde“ sein, nur weil „der Falsche“ sie stellt. Im NRW-Wahlkampf 2017 machten zum Beispiel Armin Laschet und Christian Lindner Front gegen eine Inklusionspolitik von Rot-Grün, die zur „Ideologie“ verkommen sei – genau das, was Höcke sagt. 

Was bei Lindner, Laschet, dem bayerischen Lehrerverband aber nur ein politischer Diskussionanstoß oder die Beschreibung von Realitäten ist, gilt bei Höcke als eine Fortsetzung der Euthanasie-Politik der Nazis. Das schreibe nicht ich: Zu diesem Vergleich ließ sich der Bildungsjournalist Christian Füller hinreißen, der Höckes Vorschlag in eine direkte Reihe mit dem Massenmord an Behinderten im „Dritten Reich“ stellte. Die linke Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern tat das Gleiche: Höckes Forderung erinnere „an das dunkelste Verbrechen der deutschen Geschichte“.

Guter Hass, gute Hetze – die totale Entgrenzung im Diskurs

Man kann von Sonderschulen und den Ideen Höckes dazu halten, was man möchte. Aber eine Sonderschule ist kein Euthanasie-Programm. Solche Äußerungen zeigen: Höckes Gegner eskalieren zu oft total. Da kann man die Frage nach der Berechtigung so mancher Ausfälle stellen. Ist es Angemessen, Höcke wegen einer streitbaren, aber legitimen Forderung in eine Reihe mit Adolf Hitler und Massenmord zu stellen? Nein. Denn damit relativiert man am Ende nicht nur die NS-Verbrechen, sondern vergiftet auch die politische Kultur deutlich stärker, als ein Höcke es aktuell überhaupt könnte. Und: Auch ein Björn Höcke hat ein Persönlichkeitsrecht. Es gibt sicherlich viele Gründe, Höcke politisch abzulehnen: Aber einen Politiker derart entgrenzt vernichten zu wollen, ist eine Entgleisung des Diskurses. Es ist – um ein geflügeltes Wort aus dem Diskursbuch der politischen Linken zu benutzen – Hass und Hetze in Reinform.

Dass diese Empörung einstudiert und immer wieder ins Radikalste übertrieben inszeniert ist, merken die Leute. Vor allem die Thüringer, die mittlerweile mit relativer Mehrheit bereit sind, Höcke zu wählen. Der ständige Schwall von Entrüstung ist längst abgestumpft, hat die Argumentation von Höcke-Gegnern unterspült. Berechtigte Kritik am AfD-Rechtsausleger geht darin ebenso unter wie jede Form der inhaltlichen Auseinandersetzung – wenn alles, was der Mann sagt, ein totaler Skandal ist, wird jede Kritik belanglos. Wenn Höcke morgen feststellt, dass der Himmel blau oder Wasser nass ist, überschlagen sich die Leitartikel und Politkommentatoren wahrscheinlich damit, dass der Himmel gar keine Farbe habe, Wasser eigentlich spröde sei und die gegenteilige Behauptung quasi ein Putsch gegen Grundgesetz und Menschenrechte gleichkomme.

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