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EDITORIAL

Ein Staat, zwei Gesichter

Dieser Staat schwankt zwischen „Gefährder“-Ansprachen für Clan-Kriminelle und Razzien wegen „Schwachkopf“-Tweets - zwischen Ohnmacht und Machtrausch. Wo bleibt die Bürgerlichkeit?

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In Esslingen am Neckar tötet ein Mieter kurz vor der Zwangsräumung seiner Wohnung den Sohn seines Vermieters und zündet die Wohnung an. Vorab kündigte er die Tat eindrücklich an, doch die Polizei unternahm – nichts. Eine Durchsuchung sei nicht möglich gewesen sagt die Polizei. Es ist das Gesicht eines Staates, wie wir Berliner ihn immer kannten: lasch und machtlos, so weich, dass er wieder brutal wird. Wegen Justizüberlastung werden hier Straftäter laufen gelassen, besetzte Häuser der autonomen Szene werden legalisiert und international bekannte Kriminalitäts-Hotspots leben ungehindert über die Jahrzehnte. Ruft man hier 110, bleibt man gut und gerne 5 Minuten in der Telefon-Warteschleife. 

Doch auf der anderen Seite kommen in Deutschland täglich neue Fälle von Durchsuchungen ans Licht, wegen Bagatell-Beleidigungen gegen Politiker wie Robert Habeck oder Friedrich Merz. Tausende Ermittlungsverfahren laufen wegen Politiker-Beleidigungen. Recherchiert man diese Fälle nach, wird es gruselig: Wer hat eigentlich Schuld? Ja, Politiker, die so etwas anzeigen, blamieren sich. Aber warum arbeitet eine Staatsanwaltschaft etwa im beschaulichen Bamberg derart rücksichtslos?

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Es ist das andere Gesicht dieses Staates, in den Tiefen seiner Abteilungen und Referate, da, wo bürgerliche Grundwerte der Eiseskälte gewichen sind, die eine abgestumpfte bürokratische Maschine ausmachen. Gebaut wurde sie von Politikern, die große Reden schwingen, gegen Hass und Hetze und Falschinformationen.

Zum ersten Mal offen zutage trat dieser rücksichtslose, eiskalte Staat während Corona – als aus Ohnmacht Machtrausch wurde. Als die Polizei, die in Berlin seit Jahrzehnten keine Wasserwerfer mehr einsetzen wollte, plötzlich stundenlang auf friedliche Demonstranten zielte. Als diese über-tolerante Gesellschaft plötzlich wieder stolz verkündete, wer jetzt nicht mehr dazu gehört. 

Dieser Staat schwankt zwischen „Gefährder“-Ansprachen für Clan-Kriminelle und Razzien wegen „Schwachkopf“-Tweets. Das bürgerliche Selbstverständnis im Staatsapparat scheint erodiert, längst werden ideologische Ideen von oben nach unten durchgereicht. Dem Rechtsstaat wurde über Jahre sein Selbstvertrauen und seine Selbstverständlichkeit ausgetrieben. Und jetzt erlauben die gleichen Ideologen, die ihn erst zur absoluten, überdrehten Milde zwangen, Härte in ganz besonderen, politisch gewünschten Feldern. Und da schlägt man besonders brachial zu. Schließlich entspringt alle Grausamkeit der Schwäche.

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