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Ist Mord die Grenze der Pressefreiheit?

BR-Korrespondent verteidigt mutmaßlich Hamas-nahe Journalisten

In einem Interview mit der Tagesschau verteidigt der BR-Nahost-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler die Journalisten, denen vorgeworfen wird, beim Hamas-Überfall am 7. Oktober geholfen zu haben. Die Vorwürfe sieht er als aggressives Anprangern der großen Medienunternehmen. 

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Haben Journalisten von dem Angriff der Hamas am 7. Oktober vorher gewusst? Ein Bericht der Organisation Honest Reporting wirft schwerwiegende Fragen auf. Neben der Hamas, die ihre Verbrechen zu Beginn selbst filmte und verbreitete, waren schnell auch Journalisten mit Sitz in Palästina vor Ort, die für die Associated Press (AP) und Reuters arbeiten. Die ersten Bilder vom Schrecken in Israel gingen bereits nach einer Dreiviertelstunde nach dem Beginn des Angriffs an die Agenturen raus. Waren die Reporter zufällig bereits in den frühen Morgenstunden dort oder wurden sie vorweg informiert? 

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Es sind sechs Namen, die als Urheber der Bilder angegeben werden, deren Entstehung noch ein Rätsel ist: Hassan Eslaiah, Yousef Masoud, Ali Mahmud und Hatem Ali für die Associated Press (AP) und Mohammed Fayq Abu Mustafa und Yasser Qudih für Reuters. Der Fotojournalist Hassan Eslaiah war da, als Terroristen in das Kibbutz Kfar Azza einfielen und Häuser von Zivilisten anzündeten. Ali Mahmud und Hattem Ali wurden Zeugen von mehreren Entführungen von israelischen Zivilisten in den Gaza-Streifen.

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Ali Mahmud war es auch, der das Foto von Shani Louk aufnahm, der deutsch-israelischen 22-Jährigen, die von der Hamas verschleppt und brutal ermordet wurde. Über seine Fotobeschreibung wurde die Behauptung in die Welt gesetzt, dass es sich bei Shani Louk, die von einem Festival entführt wurde, um eine israelische Soldatin gehandelt hätte. Dies stellte sich später als unzutreffend heraus. Abu Mustafa fotografierte einen Lynchmob, der sich auf einen israelischen Soldaten stürzte, den sie aus einem Panzer gezerrt haben. Reuters kürte diese Aufnahme als eines der „Images of the Day“. 

Wie weit reicht also der Auftrag eines Journalisten? Diese Frage stellte die Tagesschau dem BR-Nahost-Korrespondenten Jan-Christoph Kitzler in einem Interview. Seit November 2022 ist er in Tel-Aviv tätig. Er behauptet, es gäbe keine Hinweise darauf, dass die Journalisten vor Ort in irgendeiner Weise an den Taten der Hamas beteiligt waren. Sein abgeklärtes Statement dazu lautet: „Wäre der Kollege nicht so schnell vor Ort gewesen, hätte er seinen Job nicht richtig gemacht. Daraus zu schließen, Journalisten hätten vorab von dem Terrorangriff der Hamas gewusst, ist äußerst fragwürdig.“ Seiner Meinung nach werden Journalisten nicht zu Mittätern, wenn sie Verbrechen dokumentieren. Der Vorwurf würde ein schräges Verständnis von Journalismus offenbaren. 

Mitwisserschaft ist kein Verbrechen, doch kritischer Journalismus schon? 

Ein schräges Verständnis von Journalismus offenbart Kitzler dann allerdings selbst gleich in seiner nächsten Antwort – in der er auf Honest Reporting angesprochen wird, der Organisation, die die Vorwürfe erhoben hat. Kitzler hält diese Plattform für wenig seriös, sondern unterstellt ihr, aggressiv die Berichterstattung „in eine bestimmte pro-israelische Richtung zu beeinflussen“. Er kritisiert, die Organisation stelle „immer wieder auch große Medienunternehmen an den Pranger.“ Und er bemerkt abschätzig: „Sehr aggressiv ist die Organisation auch im Erwerben von Spenden, die die wichtigste Einnahmequelle sein dürften.“ 

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Die Empörung über Honest Reporting ist überraschend, um nicht zu sagen heuchlerisch – betätigen sie sich doch lediglich als Faktenchecker – ein journalistisches Konzept, das ÖRR-Sender selbst regelmäßig betreiben. Nur hat Honest Reporting es nicht auf Verschwörungstheoretiker auf Telegram-Kanälen abgesehen, sondern vor allem auf die großen Medienhäuser der westlichen Welt wie CNN, die Washington Post oder Reuters. Honest Reporting bezeichnet sich selbst als Graswurzelbewegung, die sich darauf spezialisiert hat, tendenziöse und falsche Berichterstattung über Israel aufzudecken. Dass die Organisation sich dabei über Spenden finanziert, kann man als Journalist, der seine gesamte Karriere in einem GEZ-finanzierten System verbracht hat, natürlich nicht verstehen. 

Nebenbei bemerkt ist das, was Kitzler als aggressive Spenden-Eintreibung empfindet, ein großer Button am unteren Teil der Website. Es gibt keine Konsequenzen, wenn man diesen Button nicht drückt – was der Öffentlich-Rechtliche-Rundfunk nicht gerade von sich behaupten kann. Kitzler äußert sich weniger kritisch über Journalisten, die untätig die Angriffe auf Kibbuze und die Ermordung und Entführung von Zivilisten fotografierten, als über die Organisation, die es wagt CNN, Reuters und Co. zu hinterfragen. Das eine fällt für ihn unter den Auftrag der Presse, das andere ist für ihn nahezu anmaßendes Anprangern. 

Mangelnde Distanz zur Hamas auch beim ÖRR? 

Man muss im Verlauf des Textes auch immer mehr an der Unabhängigkeit von Kitzler zweifeln. Die Position, dass Journalisten erstmal auf alles die Kamera halten sollten, kann man durchaus vertreten. Doch wie empfindlich er auf die Fragen, die Honest Reporting aufwirft, reagiert und wie sehr er den Ruf der fraglichen Journalisten verteidigt, aber einen unabhängigen Blog verunglimpft, ist auffällig. Er findet über das Interview hinweg schärfere Worte für Honest Reporting – und das obwohl einer der in der Kritik stehenden Journalisten, Hassan Eslaiah, erwiesenermaßen Beziehungen zur Hamas-Führungsebene hat. Ein Selfie Eslaiahs mit Hamasführer Yayha Sunwar, auf dem dieser ihm auf die Wange küsst, bezeichnet Kitzler lediglich als „Grenzüberschreitung“. Dass aber damit bereits einer der sechs fragwürdigen Journalisten eine erwiesenermaßen enge Beziehung zu der Hamas hat, fällt ihm dabei nicht auf. 

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Doch so leicht kann man das nicht trennen. Denn neben der Frage, wie die Journalisten so schnell vor Ort sein konnten, fragt sich auch: Wie kamen sie so nah ran? Warum waren die westlichen Journalisten gegen die Gewalt der Hamas so immun? Die Terroristen machten vor nichts halt – aber die freie Presse im Auftrag der westlichen Welt – noch schlimmer: Medienunternehmen in den USA – erhielten besonderen Schutz? Wieso sollten Hamas-Terroristen mit der Pressefreiheit mehr Erbarmen haben, als mit israelischen Kindern? Diese Fragen stellen sich.

Und wenn sich bereits heraus stellt, dass einer der Journalisten deshalb so einen exklusiven Zugang erhielt, weil er Busenfreund der Hamas-Führung ist, dann ist es schwer zu glauben, dass die anderen den gleichen Zugang mit ihrem Presseausweis erhielten. Und Kitzler, der selbst nach dem 7. Oktober in palästinensischen Gebieten war, gibt im Interview selbst zu: Wer die Gebiete betritt, unterwirft sich der Regierung der Hamas. Für ihn ist das alternativlos, da er ansonsten garnicht innerhalb von Gaza berichten könnte. Es ist Journalismus um jeden Preis – auch wenn der Preis die eigene Unabhängigkeit ist. 

Dieser Ansicht ist auch Fotojournalistin Ursula Meissner. Man muss der Tagesschau zugute halten, dass sie die Aussagen von Kitzler nicht ohne Widerspruch ließen. Meissner arbeitete lange als Fotografin in Kriegsregionen, unter anderem auch den Palästinensischen Gebieten. Und sie sagt im Interview mit der Tagesschau: „Das sind Mittäter, keine Journalisten.“ Für sie sind das keine professionellen Journalisten und sie ist überzeugt, dass kein unabhängiger Journalist jemals von der Hamas akzeptiert worden wäre. Sie selbst sei immer nach den Kämpfen gekommen. Sie erklärte: „Während der Kämpfe muss ich mich in Sicherheit bringen, wie alle anderen, und kann nicht fotografieren. Sonst werde ich selbst erschossen.“ 

Doch die Reporter vom 7. Oktober wurden nicht erschossen. Die Frage nach dem Warum ist eine Frage, die gestellt werden muss. Und wenn dadurch große Medienunternehmen angeprangert werden, dann wird das vielleicht höchste Zeit. 

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