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„Konstruktiver Journalismus“ und die gefährliche Nähe zwischen Staat und Presse

Journalisten werden immer öfter zu Partnern der Mächtigen: Statt kritisch ist Journalismus heute oft „konstruktiv“. Das heißt, er arbeitet der Macht zu, statt sie zu kritisieren. Jüngste Beispiele zeigen die gefährliche Symbiose zwischen Presse und Politik.

Links: Angela Merkel und ihre Freundin Friede Springer.

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Es gibt den berühmten Satz: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache.“ Er wird dem ehemaligen Tagesschau-Sprecher Hanns Joachim Friedrichs zugeschrieben. Allerdings hat er ihn nie so gesagt.

Schade: Es ist ein extrem richtiger und wichtiger Satz, der das, was Journalismus in den Augen vieler Menschen sein sollte, zusammenfasst. Sachlich, informativ, und nicht agendagetrieben sollten Journalisten sein. Vor allem aber: Kritisch. Kritisch gegenüber jeder Nachricht, jedem Politiker und jeder politischen Entscheidung. Wir erleben das Gegenteil: Immer enger und immer näher wird die Beziehung zwischen Politikern und Journalisten.

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Wo hört kritische Distanz auf, wo fängt problematische Nähe an?

Es ist ein Spannungsfeld: Einerseits muss jeder Journalist, der diesen Namen verdient, Distanz zu den Politikern halten, über die er schreibt. Andererseits lebt Journalismus, gerade der Hauptstadt-Journalismus, auch von der Nähe zur Macht. Politiker stecken Dinge durch, weihen Journalisten in Hintergründe ein, sprechen mit ihnen in Interviews und für Statements. Der Journalist braucht den Politiker, wie der Politiker den Journalist braucht.

Diese Symbiose ist an sich erstmal eine Realität und niemand sagt, dass dieses Spannungsfeld leicht zu überwinden ist. Einen Journo-Knigge mit zehn Regeln zum Umgang mit Politikern will ich auch nicht schreiben. Aber die Frage stellt sich: Wann verschwimmen die Grenzen zwischen persönlichen Haltungen und journalistischer Arbeit? Wann lassen sich die Journalisten durch ihre Nähe beeinflussen?

Eine genaue Trennlinie wird sich da vermutlich nie ziehen lassen. Aber vieles, war klar hinter dieser Linie liegt, ist eindeutig so zu erkennen. Wenn beispielsweise die Tochter des Spiegel-Journalisten Konstantin von Hammerstein, der viel über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik schreibt, beim Verteidigungsminister Pistorius als Redenschreiberin anfängt, hat das ein Geschmäckle. Man wünscht Elisabeth von Hammerstein eine erfolgreiche Karriere, die sie sich als Frau selbst aufbaut, fernab vom Vater. Doch der Eindruck, der entsteht, ist kein guter. Vor allem, wenn Vater Hammerstein den neuen Arbeitgeber der Tochter dann über den Klee lobt, kurz nachdem sie bei ihm zu arbeiten begann.

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Ein viel größeres Geschmäckle hat die Person Anna Engelke: Die 54-Jährige steigt zum 1. Juli zur Vize-Chefin des Hauptstadt-Studios und zur Moderatorin von „Bericht aus Berlin“ auf. In diesem Hauptstadtstudio und in diesem hochrelevanten ARD-Format ist Engelke ganz dicht am Puls des Hauptstadt-Journalismus, ein vergleichbares Format mit derartiger Relevanz gibt es nicht. Engelke arbeitete auch schon vorher als Journalistin: Unmittelbar vor ihrem neuen Top-Job war sie jedoch lange Sprecherin von Bundespräsident Steinmeier, also PR-Chefin des Staatsoberhauptes. Das hat mit Journalismus ganz sicher nichts mehr zu tun.

Regierungsnaher rbb: Wenn Sprecher von Regierung und Bundespräsident kritisch berichten sollen

Die ARD argumentiert, Engelke habe ja für den überparteilichen Bundespräsidenten gearbeitet – also sei das alles kein Problem. Eine schwache Ausflucht. Die ÖRR-Kollegen vom NDR-Magazin Zapp sind da schon kritischer: „Dabei war sie selbst Teil des politischen Systems, das sie nun kritisch beobachten soll“, heißt es missbilligend in einem Beitrag des Medienmagazins. Die zuständige Pressestelle des rbb antwortete dem Magazin lapidar, der Bundespräsident sei überparteilich. „Aus diesem Grund steht Anna Engelkes frühere Tätigkeit als Sprecherin des Bundespräsidenten nicht in Konflikt mit unabhängiger journalistischer Arbeit“, heißt es in der Antwort.

Klar – formal nicht. Auch, weil Engelke laut rbb nicht über den Bundespräsidenten, ihren Ex-Chef, berichten wird. Aber die Nähe zum politischen Betrieb fällt trotzdem unangenehm auf – und wäre die Pressesprecherin des Präsidenten in Russland oder Ungarn auf einen solch einflussreichen Posten gerutscht wie jetzt Engelke, wären Begriffe wie „Korruption“ und „Staatspropaganda“ auch in den Schlagzeilen der öffentlich-rechtlichen sicher nicht weit.

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Dass man beim rbb darin aber kein Problem sieht, könnte auch an der Chefin liegen: Ulrike Demmer ist Intendantin des ostdeutschen Regionalsenders, seit letztem Herbst führt sie den rbb. Davor war sie Regierungssprecherin: Sie vertrat und verteidigte von 2016 bis 2021 die Regierung Merkel als stellvertretende Pressesprecherin. Jetzt soll ein von ihr geleiteter öffentlich-rechtlicher Sender kritisch über die Politik berichten, die durch Olaf Scholz, Hubertus Heil oder Svenja Schulze von Köpfen genau der Regierung gemacht wird, die Demmer vor drei Jahren noch beruflich schönredete?

Das Unwort „konstruktiver Journalismus“

Für mich wird es vielleicht immer unverständlich bleiben, wie man sich Journalist nennen und dann freudig einen Job als Pressesprecher der Regierung annehmen kann. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem Berufsethos, einem gesunden Selbstverständnis als Journalist und der dringend nötigen, kritischen Distanz.

Vielleicht bin ich damit auch einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit. In der Medienbranche hat sich zumindest statt kritischer Distanz immer mehr ein sogenannter „konstruktiver Journalismus“ durchgesetzt. „Konstruktiver Journalismus“: Das ist, wenn man nicht mehr gegen die Mächtigen, sondern eher mit ihnen arbeitet. Aus dem alten Leitsatz, dass ein Journalist sich mit keiner Sache, auch keiner guten Sache gemein mache, ist das Gegenteil geworden. Journalisten wollen zu einer vermeintlich guten Sache etwas beitragen und verlassen ihre Posten als kritische Beobachter des Politik-Geschehens. Oft schlägt das dann in offene, politische Schützenhilfe um. Ein Presseverständnis, das eher dem von „Pravda“ oder „Aktuelle Kamera“ gleicht als dem der „vierten Gewalt“ in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.

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„Unterstützend für die Regierung berichten“

Ein Beispiel: Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt berichtete von einer Anweisung von Verlegerin Friede Springer. Die angeheiratete Matriarchin des Springer-Verlags ist eine gute Freundin von Angela Merkel – und das spielte vielleicht eine Rolle, als sie Reichelt zu Beginn der Corona-Pandemie anwies, die Regierung journalistisch zu unterstützen. Was wie eine Verschwörungstheorie klingt, ist wirklich passiert, versichert der Journalist: „Ich hatte schriftliche Weisung von Friede Springer, unterstützend für die Regierung zu berichten“, erzählt Reichelt.

Als Bild-Chefredakteur entschied er, sich dieser Anweisung zu widersetzen. Frau Springer nahm ihm das sehr übel. Wie viele Journalisten, ob in verantwortlichen Positionen wie Reichelt oder auch nur einfache Redakteure, widersetzten sich diesem Impuls oder solchen Anweisungen nicht? Die Regierung zu unterstützen, scheint viele Kollegen anzutreiben in dem, was sie schreiben. Und auch in dem, was sie nicht schreiben.

Bei den Vorwürfen gegen Robert Habeck und sein Ministerium in der „AKW Files“ genannten Affäre zeigte sich letzteres: Die öffentlich-rechtlichen Medien, allen voran die Flaggschiffe Tagesschau und ZDFheute, quittierten die Enthüllungen des Magazins Cicero zunächst mit lautem Schweigen. Kein Wort zu den teils schweren Vorwürfen, die das Magazin dort erhob und belegte. Erst Stunden nach der Veröffentlichung widmete sich die Tagesschau dem Thema. Dort gab man dann vor allem dem Dementi des Wirtschaftsministeriums Raum. Zwischen den Zeilen war die Mühe der Journalisten, das ganze Thema möglichst kleinzuhalten, klar erkennbar. In den 20-Uhr-Nachrichten der Tagesschau fand das größte Thema des Tages keinen Platz.

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„Der Skandal, der keiner ist“

Das SPD-nahe Redaktionsnetzwerk Deutschland ging noch weiter und veröffentlichte sogar einen Kommentar, der die Cicero-Kollegen für ihre Arbeit angriff. Unter dem Titel „Ein Skandal, den es nicht gibt“ wird eine wüste Verschwörungstheorie zur Delegitimierung der journalistischen Leistung verfasst: Das Magazin Cicero, „die Springer-Presse und die Union“ versuchten, „aus ein paar E‑Mails aus dem Wirtschafts- und Umwelt­ministerium eine politische Affäre zu konstruieren“, schreibt Redakteur Andreas Niesmann.

Was ist man für ein Journalist, wenn man reflexartig Kollegen für Enthüllungen angreift – nicht in der Sache, sondern polemisch? Einen sachlichen Fehler konnte Niesmann dem Kollegen vom Cicero nicht ankreiden. Stattdessen pöbelte er dumpf gegen die Recherche. Welche niedere Motivation so ein Verhalten antreibt, wage ich nicht zu beurteilen. Aber Journalist ist so jemand, der scheinbar die Mächtigen vor wirklichem Journalismus schützen will, nicht mehr.

Diese Form des „konstruktiven Journalismus“ ist nur konstruktiv für die Mächtigen: Für eine demokratische Gesellschaft und für den Journalismus ist sie aber maximal destruktiv und gefährlich. Diese Art von Journalismus, der keiner mehr ist, bedroht Presse und das Idealbild einer informierten Gesellschaft mündiger Bürger so viel stärker, als irgendwelche „Lügenpresse“-Rufer, die gerne skandalisiert werden. Es ist lächerlich, dass Journalisten ständig das verloren gegangene Vertrauen in ihre Zunft beklagen, die beschriebenen Zustände aber hinnehmen. Echte Journalisten müssten Hofberichterstatter und politische Pressesprecher in journalistischen Positionen eigentlich vom Hof jagen. Vielleicht gibt es dafür inzwischen einfach zu wenig echte Journalisten.

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