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Umgang mit „Desinformation“

EU-Zensur-Gesetz: Unternehmen sollen „schädliche Inhalte“ bekämpfen – auch wenn sie legal sind

Der seit Freitag voll greifende „Digital Services Act“ zwingt Unternehmen, gegen „Desinformation“ und „Hatespeech“ vorzugehen. Doch nicht nur das: Auch legale Inhalte, die als „schädlich“ eingestuft werden, sollen unterbunden werden.

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Seit Freitag greift der Digital Services Act (DSA) in Europa. Das EU-Gesetz kann als großer Bruder des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes verstanden werden, das bereits 2017 landesweit verabschiedet wurde. Wie das NetzDG soll auch der DSA in erster Linie gegen „Hatespeech“ und andere strafbare Inhalte, aber auch gegen „Desinformation“ im Internet vorgehen. 

Dazu werden eine Reihe von Werkzeugen geschaffen, die sich auf der Webseite der Europäischen Kommission nachlesen lassen. Zum einen werden große Online-Plattformen verpflichtet, Tools zu entwickeln, über die Nutzer problematische Inhalte ohne Aufwand melden können. Dies ist in Sozialen Medien bereits etabliert – neu ist jedoch, dass diese Funktion auch von Online-Händlern wie Amazon, Apple und Zalando sowie großen Suchmaschinen wie Google und Bing installiert werden muss. Zusätzlich soll ein „prioritäter Kanal“ für „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ geschaffen werden. Die Meldungen dieser „nachweislich über besondere Sachkenntnis und Kompetenz“ verfügenden Personen sollen vorrangig von den Plattformen bearbeitet werden. Wer genau als „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“ gilt und als solcher beschäftigt wird, ist noch nicht bekannt. 

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Europäische Kommission kann Zugang zu Sozialen Medien sperren

Die Plattformen werden durch das EU-Gesetz verpflichtet, illegale Inhalte schnellstmöglich zu entfernen. Was illegal ist, wird anhand von EU-Gesetzen entschieden. Im Einzelnen sollen auch nationale Gesetze herangezogen werden. Ob sich die Unternehmen an diese Vorgaben halten, wird auf nationaler Ebene von sogenannten „Koordinatoren für digitale Dienste“ überwacht. Sie sollen im Zweifel auch Sanktionen gegen die Plattformen verhängen. Gegen sehr große Plattformen kann die EU-Kommission direkt Geldbußen verhängen, die bis zu sechs Prozent des gesamten Jahresumsatzes des Unternehmens ausmachen können. 

Doch nicht nur das: Wie Tichys Einblick berichtete, kündigte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bereits an, dass die EU-Kommission mit dem neuen Gesetz im Zweifel auch den direkten Zugang zu Sozialen Medien sperren könne. Dies könnte zum Beispiel Anwendung finden, wenn die Plattformen nicht gegen rechtswidrige Inhalte bei sozialen Unruhen vorgehen. Breton: „Wenn die Verantwortlichen nicht sofort handelten, könnten wir nicht nur eine Geldstrafe verhängen, sondern auch den Betrieb der Plattformen auf unserem Territorium verbieten.“

Auch gegen „schädliche, aber nicht illegale Inhalte“ soll vorgegangen werden

Besonders am DSA ist, dass das Gesetz explizit nicht nur den Umgang mit strafbaren Inhalten regelt – sondern auch mit solchen, die nicht illegal, aber aus Sicht der EU-Kommission „schädlich“ sind. Auf ihrer Webseite beantwortet die Europäische Kommission diesbezüglich die Frage: „Wie kann gegen schädliche, aber nicht illegale Inhalte wirksam vorgegangen werden?“ An einer Stelle heißt es dazu: Das Gesetz reguliere „die Verantwortlichkeiten“ sehr großer Online-Plattformen „im Hinblick auf Desinformation, irreführende und falsche Behauptungen und Manipulationen im Zusammenhang mit Pandemien, die Schädigung gefährdeter Gruppen und andere aufkommende gesellschaftliche Schäden“. Die Firmen sollen demnach jährlich prüfen, wie hoch das Risiko ihrer Plattform sei, derartige „schädliche“ Informationen zu verbreiten, und entsprechend Maßnahmen ergreifen, um das Risiko zu reduzieren. 

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Dass die Europäische Kommission explizit Desinformation im Zusammenhang mit Pandemien als „schädlichen Inhalt“ aufführt, lässt aufhören. Bekanntlich legte unter anderem Elon Musk mit den „Twitter Files“ offen, dass die einflussreichen Social-Media-Unternehmen wie Meta (Facebook), Microsoft und Twitter auf Druck von Regierungen und Unternehmen wie Pfizer starken Einfluss auf den Corona-Diskurs hatten. Kritische Kommentare wurden nachweislich als „irreführend“ gekennzeichnet und einem „Shadowban“ unterworfen, der ihre Reichweite massiv verringerte. 

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Wenn Unternehmen von der Europäischen Kommission nun explizit dazu aufgefordert werden, Maßnahmen zu ergreifen, um kritische – angeblich „schädliche“ – Informationen auch in Zukunft zu bekämpfen, könnte das bedeuten, dass die Methoden von damals ein glanzloses Revival erleben. Dazu muss man sich bewusst machen, dass nach wie vor nicht geregelt ist, wer überhaupt entscheidet, was eine angebliche „Desinformation“ ist – und anhand welcher Kriterien.

Bekanntlich haben sich während der Corona-Pandemie viele kritische Positionen (beispielsweise zu Corona-Maßnahmen), die durch politisches Einwirken in ihrer Reichweite beschränkt wurden, später im wissenschaftlichen Diskurs durchgesetzt. Es liegt in der Natur der Sache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich stets von einer Außenseiterposition zur Mehrheitsmeinung etablieren müssen. 

Man will sich nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn Unternehmen – angestoßen vom DSA – in Zukunft im vorauseilenden Gehorsam vermeintliche Desinformationen in allen Lebensbereichen löschen oder in ihrer Reichweite beschränken. Von Meinungsfreiheit im Netz könnte dann wahrlich nicht mehr die Rede sein.

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