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„Reform wird gar nichts bewirken“

Faesers fauler EU-Asylkompromiss: An der Krise ändert sich nichts

Die Einigung in Brüssel im Europäischen Asylstreit ist eine Luftnummer. Experten sind sich sicher: Diese Reform wird gar nichts bewirken. Denn das Kernproblem klammert sie nach wie vor aus: Ohne Migrationsabwehr oder funktionierende Rückführungen wird sich an den europäischen Grenzen gar nichts ändern.

Die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten haben sich um einen umstrittenen Kernpunkt der europäischen Asylreform geeinigt. Die sogenannte Krisenverordnung sei unter den Regierungen beschlossene Sache, teilte die EU-Ratspräsidentschaft am Mittwoch mit. Sie ist ein zentrales Element der geplanten EU-Asylreform. Dank ihr könnte etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Zuletzt hatte Deutschland wegen „humanitärer Bedenken“ eine Einigung verschleppt. Unter massivem Druck der europäischen Partner hatte Bundeskanzler Olaf Scholz sein Kabinett dann doch auf Linie gebracht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte immer wieder für eine „europäische Lösung“ geworben und eine solche Einigung anstelle nationaler Maßnahmen als Ziel angeführt.

Grundsätzlich sehen die Pläne für die EU-Asylreform zahlreiche Ergänzungen und Verschärfungen vor, um unerwünschte Migration zu begrenzen. Nach der Einigung auf Ebene der Regierungen der EU-Staaten soll nun schnellstmöglich auch mit dem Europaparlament eine Verständigung über das Reformprojekt erzielt werden. Dabei drängt die Zeit angesichts der baldigen Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden und sich lange verzögern. Im Fall der geplanten Reform des Asylsystems wäre dies ein besonders großer Rückschlag. An dem Projekt wird bereits seit Jahren gearbeitet.

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Experten: Reform wird „gar nichts bewirken“

Doch ein großer Wurf ist die Reform nicht – im Gegenteil. So ist die Meinung von Experten fast einhellig negativ: Der Asylforscher Gerald Knaus kritisiert das Paket beispielsweise als wirkungslos. „Diese gesamte Reform steht schon seit einiger Zeit nur noch unter dem Druck: Wir brauchen irgendeine Lösung, weil wir schon so lange verhandelt haben.“ Der Kompromiss sei politischer Selbstzweck – „von dem ihnen bis heute kein Innenminister erklären kann, wie dieser Kompromiss in der Praxis irgendetwas verbessert.“ An den Krisen an der Außengrenze werde er nichts ändern. „Die Enttäuschung danach wird dann sehr groß sein.“

Auch der renommierte Migrationsforscher Ruud Koopmans sieht ein Umsetzungsproblem gegeben. Zentral für den Erfolg der EU-Pläne seien Rückführungsabkommen: „Ohne solche Abkommen werden die Pläne nicht funktionieren“, ist sich der in Berlin lehrende Experte sicher. Doch mit solchen Abkommen stockt es. Eine EU-Vereinbarung mit Tunesien, aktuell das Sprungbrett nach Europa, steht aktuell auf tönernen Füßen – ob der Präsident des Landes das Abkommen wirklich umsetzen will, ist fraglich. Gerald Knaus teilt die Kritik seines Kollegen: Die Kernidee der EU-Vereinbarung sei, mehr Verfahren an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Aber: „Wenn im letzten Jahr 21.000 Ägypter nach Italien mit Schiffen kamen, Italien aber im gesamten letzten Jahr nur 300 Ägypter zurückschicken kann – was bringen dann Verfahren an den Grenzen?“ Aktuell kämen die meisten Migranten aus Ländern wie der Elfenbeinküste und Guinea nach Italien – in beide Länder schob Rom im gesamten letzten Jahr drei Menschen ab. „Was bringen dann Verfahren an den Grenzen, wenn ohnehin alle bleiben, weil es keine Rückführungsabkommen gibt?“, fragt Knaus. Der Fokus auf vernünftige Maßnahmen fehle, „weil wir über diese Reform reden, die am Ende gar nichts bewirken wird.“

Reformstreit belegt erneut: Die EU ist für Krise nicht gemacht

Dabei drängt die Zeit. Das Migrationsproblem als solches ist seit Jahren bekannt, und das Bewusstsein darüber, dass der Migrationsdruck nur zunehmen wird, besteht. Dennoch verschleppen die europäischen Institutionen eine Lösung seit Jahren: Mal scheitert es an der Blockade einzelner Mitgliedsstaaten, mal steht vielleicht eine EU-Institution selbst im Weg. Mitten in der Krise droht jetzt ein Ping-Pong-Spiel zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat: Können Straßburg und Brüssel sich nicht einigen, dürfte es mit der Reform noch Jahre dauern. Das ist Zeit, die Europa nicht hat.

Effektives Handeln in der Krise hängt also nach wie vor hauptsächlich an den nationalen Regierungen – sie sind handlungsfähig, wo es die schwerfälligen EU-Institutionen nicht sind. Ob Maßnahmen einzelner Staaten oder multilaterale Handlungspläne durch mehrere betroffene Länder – irgendeine entschlossene Maßnahme ist längst nötig. Denn die EU-Einigung vom heutigen Mittwoch ist und bleibt ein potemkinsches Dorf. Ein reiner Show-Selbstzweck von Politikern wie Nancy Faeser, die jetzt eine „europäische Lösung“ feiern können, die am Ende wird wohl durch beherzte Maßnahmen nationaler Regierungen substituiert werden muss.

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