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Das KaDeWe ist pleite – der bezeichnende Verfall eines Symbols von Freiheit und Wohlstand

Das westberliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) steht kurz vor der Insolvenz. Über hundert Jahre überlebte das Kaufhaus erst das Kaiserreich, wurde zum Ziel der Nationalsozialisten, brannte im Zweiten Weltkrieg aus und wurde schließlich im geteilten Deutschland zum Symbol und Inbegriff des Freien Westens. Doch das Zeitalter der Gewöhnlichkeit überlebte es nicht.

 „Kaufhaus des Westen“ oder „KaDeWe“ ist weniger ein Name als eine Legende. Man kann annehmen, dass Adolf Jandorf einen hohen Anspruch an sich und sein Lebenswerk stellte, als er sein neues Kaufhaus vor über hundert Jahren so benannte. Die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts beeinflusste das Kaufhaus, doch das Kaufhaus beeinflusste auch die Geschichte – sodass es selbst geschichtsträchtig wurde und den Anspruch und die Vorstellungskraft seines Gründers, der es noch in der Zeit des Kaiserreichs für die wilhelminische Elite schuf, weit überstiegen haben dürfte. 

Das KaDeWe wurde im Zuge der Arisierung enteignet und Ziel des Judenboykotts. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg durch den Einsturz eines amerikanischen Kampfflugzeugs weitgehend zerstört wurde, erlangte es nach seinem Wiederaufbau in den 50ern vor allem im gespalteten Deutschland eine enorme Symbolwirkung. Jandorf hatte nicht wissen können, dass sein Kaufhaus des Westens eines Tages in Westdeutschland stehen und zum Wahrzeichen der freien Marktwirtschaft und des Wohlstands durch den Kapitalismus heranwachsen würde. 

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In meiner Familie ist das KaDeWe der Inbegriff des freien Westens gewesen – und im Umkehrschluss auch das Symbol für alles, was meine Vorfahren im Osten nicht hatten. Einmal erhielt meine Oma zu DDR-Zeiten die Erlaubnis, nach Westdeutschland zu reisen, aufgrund eines familiären Schicksalsschlags. Da ging sie einmal ins KaDeWe. Als sie danach wieder in den Osten zurückkehren musste, weinte sie eine Woche lang. 

Nach einem ganzen Leben in Armut und Aussichtslosigkeit hatte sie zum ersten Mal nur ganz kurz mit eigenen Augen gesehen, was Freiheit und Wohlstand erschaffen kann. Und es ist noch viel schöner und prächtiger gewesen, als sie es sich je vorgestellt hatte. Sie hatte nun die Gewissheit, dass ihre Träume tatsächlich wahr sind – doch sie würde weiterhin im Alptraum eingesperrt werden. In dem Wissen, dass nur ein paar Kilometer weiter eine ganz andere Welt liegt. Das Einzige, was sie davon trennt, ist der Sozialismus und einer Mauer. Wie soll man mit diesem Wissen jemals wieder froh werden?  

Gewöhnlicher als der Laden sind nur die Kunden

Ich wiederum kann mit diesem Wissen nicht ins KaDeWe gehen, als wäre es einfach nur ein ganz normales Kaufhaus. Es ist viel mehr als das – es ist wirklich das Kaufhaus des Westens. Es ist ein bittersüßes Symbol, für das was war und das was ist. Dass ich nicht auch nur hinter einer Mauer davon träumen kann, durch diese Türen zu gehen, sondern an einem Samstagnachmittag einfach so hinfahre, weil ich nichts Besseres zu tun habe – das habe ich den Müttern und Vätern der Wiedervereinigung zu verdanken. 

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Ich war bisher nur zwei Mal dort. Einmal mit meinen Eltern, weil das KaDeWe zu besuchen auf einer Berlin-Reise ganz einfach ein Muss ist. Und einmal vor etwa zwei Wochen, weil ich an einem Samstagnachmittag nichts Besseres zu tun hatte. Jedes Mal war es enttäuschender. Beim ersten Mal hatte es noch den Glanz der großen Erwartungen, immerhin ist es das einzig wahre KaDeWe aus den Erzählungen. Doch meine Eltern versicherten mir schon damals, dass es früher viel prächtiger war. Beim zweiten Mal beeindruckte mich zwar die Architektur noch, aber das KaDeWe von heute ist doch einfach nur ein Kaufhaus.

Man findet nichts, die Auswahl ist miserabel. Die Sachen sind nichts Besonderes, sondern einfach nur teuer. Noch gewöhnlicher sind nur die Kunden, die in ihren scheußlichen Klamotten, die sie sicher ein Vermögen gekostet haben, durch den Laden irren, auf der Suche nach ein paar Schuhen, mit denen sie sich aus ihrer Bedeutungslosigkeit freikaufen wollen. Die Menschen dort kamen sich sicher furchtbar individuell und charakterstark vor, doch in Wahrheit sahen sie alle gleich aus.

Ich hatte die Wahl: Ich könnte mich weiter dazu zwingen, dieses Theater als den großen Traum meiner Vorfahren zu betrachten – dann wäre ich wohl in ähnliche Depressionen verfallen wie meine Oma damals. Oder aber ich ändere den Zweck meines Besuchs und sehe das Ganze um mich herum als das an, was es ist: Eine soziologische Fallstudie. Ich entschied mich für letzteres und konnte meine Zeit dort sogar genießen. Es ist einfach zu ironisch gewesen, um nicht belustigt zu sein. Zusammen mit meiner Begleitung suchten wir nach Dingen, die wir vielleicht gebrauchen könnten, etwas wofür es sich lohnen könnte, etwas mehr zu investieren. Wir fanden rein gar nichts. Es gab etwa zwei Modelle schlichter schwarzer Aktentaschen, wenn man beide nicht haben wollte, hatte man eben Pech gehabt. 

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Wir standen kurz in der Schuhabteilung. Über die Rolltreppe waren immerfort Frauen im Anmarsch, die Geldbörse in Form ihres Mannes im Schlepptau. Der Reihe nach blickten sie sich gestresst um, um dann ihrem Gatten zuzusäuseln: „Magst du dich nicht kurz hinsetzen?“ Die ganze Etage war voll von Männern, die mit abwesendem Gesicht auf den Sofas geparkt wurden, während ihre Frauen ihre plumpen Füße in Higheels zwängten. „Ja, sieht ganz toll aus, Schatz“. In der Feinkostabteilung erklärten dagegen farblose Männer ihren viel zu hübschen Begleitungen, welchen Wein sie zu ihren Austern trinken sollen und wie normal es doch für sie sei, Austern zum Mittag zu essen. „Schmeckst du diesen unverkennlich süßen Geschmack nach Salatgurke?“ 

Wir übersprangen die Gurken in Muschelschalen und schauten uns im Buffet in der obersten Etage um. Was erstmal rentabel wirken mag, ist wahrscheinlich noch größere Abzocke als der Macarons für 5 Euro den Happen in der Etage darunter. Vor mir an der Schlange hatte sich eine Frau im Oberstudienrat-Look doch tatsächlich drei Salatblätter und einen Shrimp aufgetan. Das Buffet wird nach Gewicht gemessen. Es dauerte danach etwa zehn Minuten, bis die Verkäuferin der Kundin klarmachen konnte, dass die Meeresfrüchte und das Salatbuffet nicht kompatibel seien. Der Shrimp würde einzeln 1,50 Euro kosten und der Salat zusätzlich nach Gewicht berechnet werden. Das Ende der Diskussion war dann, dass die Kundin den einen Shrimp mit den Fingern aus dem Salat hob, um ihn nicht doppelt zahlen zu müssen, was ihr ein paar Cent sparte. 

Kann Gutes nur bestehen, wenn das Böse nebenan lauert?

Am Ende des Tages verließen wir den Laden mit zwei Tüten – von Hugendubel. Das Einzige womit wir etwas anfangen konnten, waren Bücher, die man auch überall sonst hätte kaufen können. So hübsch auch die kleinen Abteilungen von Chanel und Cartier gewesen sind, der größte Teil des Ladens war ganz einfach nichts Besonderes. Es hatte sogar ein bisschen einen sozialistischen Touch, wie dort alle das Gleiche trugen, alle das Gleiche kauften, sich im Grunde alle gleich verhielten. 

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Nun darf man einfaches typisch menschliches Herdenverhalten nicht mit politischen Ideologien verwechseln, die lediglich auf diesem Herdenverhalten bauen. Doch es ist nichtsdestotrotz beängstigend. Wenn man in einem Café sitzt und Menschen beobachtet, nimmt man sich selbst von diesen Menschen aus. Man vergisst, dass wenn man irgendwann auch aufstehen und das Café verlassen wird und dann wird der Beobachter selbst zur Safari-Attraktion. Wir sind alle Kinder unserer Zeit. Also frage ich mich – war das KaDeWe schon immer so und wirkte nur so besonders auf jemanden, der leere Regale gewohnt ist? Oder hat sich nicht doch etwas verändert? 

Ich denke, es ist etwas von beidem. Das KaDeWe ist nicht mehr das Symbol, für das was ist und das was war – sondern für das was war und das was vielleicht nie mehr sein wird. Das KaDeWe hat sich verändert. Das erzählen einem Westberliner wie Ossis. Es ist ein klarer Fall und ich möchte neben den Augenzeugenberichten Beweisstück A anführen: Das KaDeWe steht kurz vor der Insolvenz. Nach all den Jahren, in denen das Kaufhaus Machtwechsel, Verfolgung und Diktaturen überstanden hat, scheitert es nun in der Bundesrepublik Deutschland. 

Ist es die Geschichtsvergessenheit der Kunden, die Konsum nur noch zum Selbstzweck verstehen und nicht realisieren können, wie gut sie es haben? Vielleicht müssen wir einer bitteren Wahrheit ins Auge sehen: Dass etwas wirklich Gutes vielleicht nur dann bestehen kann, wenn das Böse nebenan lauert. 

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