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Ein Nachruf

Das Gewissen in Corona-Jahren: Zum Tod von Gunnar Kaiser

Der Schriftsteller, Lehrer und Journalist Gunnar Kaiser ist verstorben - und mit ihm einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit. Ein Nachruf.

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Der leidenschaftliche Schriftsteller, Journalist und ehemalige Lehrer Gunnar Kaiser ist verstorben. Bereits vor knapp zwei Wochen, am 12. Oktober, starb er nach einer schweren Krebserkrankung. Mit ihm verlässt uns ein Mensch, der in den letzten drei Jahren wie kein Zweiter das geistige Gewissen der Kritik und des Protests gegen die Corona-Politik war. Ein Nachruf.

Kontaktschuld und Brandmauern? Diskurs!

2016 begann Kaiser, der in Köln Philosophie, Germanistik und Romanistik studierte und hauptberuflich als Gymnasiallehrer für Deutsch und Philosophie tätig war, auf seinem Youtube-Kanal „KaiserTV“ literarische und politische Videos zu veröffentlichen. Er sprach über Literatur von Goethe und Nietzsche, antike bis neuzeitliche Philosophie und nicht zuletzt über aktuelle Fragen der Politik. Sein Kanal war aber auch eine Plattform, um mit Menschen unterschiedlichster politischer Couleur ins Gespräch zu kommen. Ungeachtet aller Kontaktschuldvorwürfe oder Brandmauern suchte er die politische Auseinandersetzung selbst mit Identitären wie Martin Sellner oder Sozialisten wie Moritz Neumaier. Und das stets mit feiner rhetorischen Klinge, Witz und spitzem Humor, manchmal gewürzt mit einem Schuss Polemik, niemals aber herablassend oder verächtlich. 

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In einer Zeit, in der Freiheit zunehmend unter Vorbehalt zu rücken drohte, verteidigte er die Grundlagen von Fortschritt und Wohlstand gegen Angriffe von links wie von rechts: individuelle Freiheit und eine marktwirtschaftliche Ordnung. Manche mögen nun einwenden: Ein Youtuber mit gerade einmal einer Viertelmillion Abonnenten ohne öffentliches Amt soll ein relevanter Intellektueller gewesen sein? Ich meine ja. Als freier Journalist und Gastautor arbeitete Gunnar Kaiser über zwei Jahrzehnte lang für verschiedene Medien, darunter die Neue Zürcher Zeitung, die WELT, den Schweizer Monat, die Jüdische Allgemeine und die Berliner Zeitung – behielt dabei immer seine Unabhängigkeit. Und machte sich außerdem einen Namen als Schriftsteller: sein Debütroman „Unter der Haut“, der 2018 im Berlin Verlag erschien, wurde bislang in sechs Sprachen übersetzt.

Die Pandemie-Politik konnte Kaiser nicht brechen

Mit dieser durchaus ansehnlichen Laufbahn in der politischen Öffentlichkeit wäre es vermutlich auch weitergegangen, wäre nicht im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie und damit eine Art mehrjähriger Massenpsychose über die Welt hereingebrochen. Eine, in der wissenschaftliche Institutionen, Universitäten, Ärzte, Politiker, Journalisten und eine Mehrheit der Bevölkerung völlig versagten – selbst die Justiz kannte bei der Pandemie-Politik plötzlich keine verfassungsmäßigen roten Linien mehr. Auch die Intellektuellen beschränkten sich darauf, noch weitere Einschränkungen, noch stärkere Grundrechtseingriffe zu fordern. Habermas redete aus nur schwach verhüllter Selbstsucht einer Art unumschränkter Gesundheitsdiktatur das Wort, Precht appellierte an blinde Gesetztestreue und Bürgerpflichten, andere verstiegen sich in Forderungen nach mehr Diktatur, alle aber stimmten sie ab Herbst 2021 in die unmenschliche Hetze gegen Ungeimpfte ein, die in Abscheulichkeit, Ausmaß und Rhetorik in der Geschichte der BRD ihresgleichen sucht. 

Nur selten erhob sich dagegen eine Stimme. Juli Zeh und Julian Nida-Rümelin versuchten es Mitte 2020 zaghaft, wurden aber übergangen und wagten in einem sich verengenden Meinungskorridor und einer immer hasserfüllteren Atmosphäre fortan keine substanzielleren Vorstöße mehr. Im Frühjahr sorgte noch einmal die Aktion #allesdichtmachen einer Gruppe mutiger deutscher Schauspieler für öffentliche Erregung, die letztlich aber von einem Sturm der Empörung weggefegt wurde. Und sonst?

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Gunnar Kaiser widerstand von Beginn an den Versuchungen der Unfreiheit. Bereits im September 2020 initiierte er zusammen mit Milosz Matuschek den weit beachteten „Appell für freie Debattenräume“, in dem sie sich gegen die um sich greifende Cancel Culture, Ausladungen unliebsamer Künstler und Autoren und Kontaktschuldargumentationen wendeten und forderten, „das freie Denken aus dem Würgegriff“ zu befreien. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hieß es in dem Appell: „Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit. Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend zur Schau gestellte Haltung und richtige Moral. Stammes- und Herdendenken machen sich breit. (…) Wie wollen wir in Zukunft Sachfragen von öffentlichem Interesse behandeln? Betreut und eingehegt – oder frei?“ 

Begleiter und Trostspender hunderttausender Verzweifelter

Für Gunnar Kaiser – und dies bleibt sein wesentlichstes Vermächtnis – waren die antiliberalen Tendenzen nie eine Versuchung, nie hat er in diesen Fragen je geschwankt. Auch wenn er dafür angefeindet wurde, für Kaiser war das eine Selbstverständlichkeit. Während der Pandemie wurde er auf diese Weise nicht nur entschiedenster Anwalt unveräußerlicher Menschenrechte, sondern Begleiter und Trostspender hunderttausender Verzweifelter, die sich fragten, ob sie selbst oder die Gesellschaft verrückt geworden sind. Für sie wurde er zum Sprachrohr: Ihn zeichnete aus, die Gefühle, die viele in dieser Situation teilten, zu artikulieren. Und dabei stand er konsequent zu seinen Prinzipien: Die Tatsache, sich als Lehrer an der evidenzlosen Maskierung von Schulkindern und deren routinehaften Massentestung beteiligen zu müssen, konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und beendete seine Lehrertätigkeit. Der simple Ausruf „Ich mache da nicht mit“ wurde fortan zu seinem pandemiepolitischen Leitstern. 

Zudem konnte er die Dinge klar beim Namen nennen: Prechts Corona-Buch „Von der Pflicht“ bezeichnete er als „Philosophie für Untertanen“, den Aberglauben an die Wirksamkeit absurdester Maßnahmen verglich er mit einem Kult. „Der Kult. Über die Viralität des Bösen“ hieß folgerichtig auch sein 2022 veröffentlichtes und in der Woche des Erscheinens auf Platz zwei der Spiegel Beststellerliste rangierenden Buch, in dem er sich mit der Frage beschäftigte, warum gute Menschen Böses tun und wir unsere Freiheiten nicht nur widerstandslos, sondern geradezu bereitwillig hergeben. Ebenso lesenswert war sein wenig später publiziertes Werk „Die Ethik des Impfens. Über die Wiedergewinnung der Mündigkeit.“ Darin lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass eine Impfpflicht gegen die Menschenwürde verstößt und dass, wie Stefan Zweig es einmal formulierte, „selbst die reinste Wahrheit, wenn anderen mit Gewalt aufgezwungen, zur Sünde wider den Geist“ wird. 

Bis zuletzt, auch nach seiner Erkrankung, setzte er die Arbeit an seinem Werk fort. Erst im kommenden Januar wird so posthum sein letztes Buch „Die Abschaffung des Menschen. Wie das Metaversum uns überflüssig macht“ in den Handel kommen. Sein Werk und seine klare Haltung in düsteren Zeiten werden zweifellos über ihn hinausweisen. Er wird fehlen – mir und gewiss vielen anderen. Ruhe in Frieden, Gunnar Kaiser.

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