„Ich kann mich weder bewegen noch sprechen, nur mit dem Auge blinzeln, um zu kommunizieren“, schreibt Simon Fieschi im Oktober 2020. Er blickt zurück auf den 14. Januar 2015 – auf den Tag, als er aus dem Koma erwachte. Nur langsam kommt er zu Bewusstsein. Er ist verwirrt, fühlt sich, als würde er an seinem „eigenen Sabber“ ertrinken. Überall in seinem Körper stecken Schläuche – auch in seinem Hals. Er „erstickt“ und „zuckt“. Die Maschine, die für ihn atmet, ist „schrecklich invasiv“.
Fieschi braucht Tage, um zu verstehen, was gerade mit ihm geschieht. Es ist seine Mutter, die ihm am Krankenbett mitteilt, was passiert ist – „wer tot, lebendig oder verletzt ist“. Denn für ihn verschwimmt alles, er kann sich nicht erinnern. Seine Mutter erzählt ihm, dass er der erste Mitarbeiter von Charlie Hebdo war, den die Kugeln aus der Kalaschnikow von Saïd und Chérif Kouachi trafen. Aus dem Lauf von zwei Al-Qaida-Terroristen, die wegen Mohammed-Karikaturen – „als Rache für die Ehre des Propheten“ – die Redaktionsräume des Satire-Magazins gestürmt hatten.
Der 7. Januar 2015 begann zunächst wie jeder andere Tag. Fieschi nahm als Webmaster gerade an der wöchentlichen Redaktionskonferenz teil. Wahrscheinlich sprach er mit den Redakteuren und Zeichnern gerade über die nächsten Karikaturen und Texte, als die Tür aufflog. Unter lauten „Allahu Akbar“-Rufen platzen die algerischen Terroristen herein und eröffneten das Feuer. Die Zeichnerin Corinne Rey hatte sie hereingelassen – sie tippte mit vorgehaltener Waffe den Türcode ein, nachdem sie kurz versucht hatte, die Terroristen in das falsche Stockwerk zu lenken. Sie tat, was verlangt wurde, weil sie wusste, was man ihr und ihrer Tochter, die sie gerade von der Kita abgeholt hatte, sonst antun würde.
Im Erdgeschoss hatten die Kouachi-Brüder nur Minuten zuvor demonstriert, dass sie gekommen waren, um zu töten. Sie trafen dort auf ihr erstes Mordopfer: Frédéric Boisseau, der als Wartungskraft im Gebäude gearbeitet hatte. Sein Kollege und Freund Jérémy Ganz erzählt vor Gericht später, dass die Terroristen sofort das Feuer eröffneten, als die Tür aufging. Dabei schrien sie „Charlie“. Boisseau wurde getroffen und von der Wucht der Kalaschnikow an die Wand geschleudert. Währenddessen beteuerte Ganz, dass die beiden Männer nur einen Wartungsauftrag hatten – dass es ihr erster Tag im Gebäude war. Und sie hatten ‚Glück‘, Saïd und Chérif Kouachi ließen von ihnen ab.
Jérémy Ganz schleppte seinen Freund verzweifelt in eine Toilette. Er umklammerte „Fredó“ und hörte nie auf, Druck auf die Schusswunde auszuüben, obwohl er wegen seiner Diabetes einen hypoglykämischen Anfall bekam. Er konnte die Polizei nicht erreichen und fürchtete, dass jede Sekunde ihre letzte sein könnte – dass die Terroristen zurückkehren, um sie zu töten. Der „Geruch von Blut“ verbreitete sich, während Ganz seinen Finger in der Not „in das Einschussloch“ presste. Ein Geruch, der Sekunden später auch den Konferenzsaal von Charlie Hebdo im zweiten Stock ausfüllen sollte.
Es fallen über 30 Schüsse in „einer Minute und neunundvierzig Sekunden“. So beschreibt es der Zeichner Laurent Sourisseau alias Riss später in seinem gleichnamigen Buch. Zuvor schauten sich Terroristen und Redaktion in die Augen – „Eine Sekunde lang, vielleicht zwei“. Auf Riss, der „reflexartig“ Schutz unter einem Schreibtisch suchte, wirkten die schwarz gekleideten Attentäter überrascht, so viele Leute in dem Raum vorzufinden. „Ihr Staunen wurde aber gleich von ihrer Aufgabe weggewischt“, beschreibt der heutige Leiter des Magazins – „Sie sollten töten“.
Bevor Riss an der Schulter getroffen wird, jagen zwei Kugeln in Fieschis Körper – eine dringt in seinen Hals ein, durchbohrt seine Lunge und verletzt sein Rückenmark. Er sinkt in seinem Stuhl zusammen und verliert das Bewusstsein. Vielleicht muss er so nicht mitanzusehen, wie die Kouachi-Brüder zehn seiner Kollegen und Freunde hinrichten – muss nicht hören, wie sie die Namen ihrer Opfer brüllen, bevor sie abdrücken. Riss, der wohl nur deshalb überlebte, weil er sich tot stellte, hörte hingegen genau, wie die Terroristen den Spitznamen des Herausgebers schrien.
Sie schrien den Namen des Mannes, der die Mohammed-Karikaturen gezeichnet hatte: „Charb“. Vielleicht war es kein Zufall, dass auch am Tag des Attentats eine Karikatur von Stéphane Charbonnier bei Charlie Hebdo erschienen war. Es war das Bild eines kleinen Terroristen, über dem geschrieben steht: „Immer noch keine Attentate in Frankreich.“ Dem Satz entgegnet der bewaffnete, bärtige Mann: „Na, warten Sie mal ab. Man hat bis Ende Januar Zeit, um die Festtagsgrüße auszurichten“. Es wirkt fast, als hätte Charb eine düstere Vorahnung gehabt – ein Mann, der wegen Morddrohungen unter Polizeischutz stand.
Charbonnier starb an der Seite seines Personenschützers – dem 49-jährigen Polizisten Franck Brinsolaro, einem Vater von zwei Kindern. Doch Fieschi lebt. Als er aufwacht, ist es still – er hat Mühe zu atmen. Dann hört er die Stimme eines Kollegen. Er sagt: „Oh, Scheiße, Simon“, bevor es wieder dunkel wird. Als er aus dem künstlichen Koma erwacht, gibt es für Fieschi nur noch Schmerz. Er entdeckt „das Gefühl eines gebrochenen Knochens, eines verletzten Fleisches, eines schreienden Nervs“. Während der körperliche Schmerz den psychischen verdrängte, hatte er seltsame Visionen und paranoide Gedanken.
Immer wieder wollte Simon Fieschi aufschreien und springen, doch er konnte es nicht – er konnte sich weder rühren noch sprechen. Er war intubiert, der Körper durch die Rückenmarksverletzung gelähmt. In den nächsten neun Monaten im Krankenhaus lernt Fieschi erst langsam wieder, sich zu bewegen. „Sobald ich schreiben konnte, rief ich meine Partnerin in mein Zimmer und bat sie zu gehen“, erzählt er fünf Jahre später. Er wollte nicht, dass sie mit dem Krüppel, als den er sich offenbar empfand, leben musste. Sie sollte ihr Leben ohne ihn „frei“ und neu beginnen – „doch sie weigerte sich“.
Fieschis Frau, eine Australierin, ist geblieben – „sie ist immer noch da“. So wie Maisie, mit der der 40-Jährige eine fünf Jahre alte Tochter hat, hat auch er nie wirklich aufgegeben. Obwohl die Ärzte ihm sagten, dass er nie wieder laufen könnte, lernte er, mit einer Krücke zu gehen. Simon Fieschi ist aufgestanden – auch wenn er nun sieben Zentimeter kleiner war als zuvor. Und er bestand auch darauf, bei den Prozessen gegen die Unterstützer der Terror-Brüder im September 2020 zu „stehen“. Simon Fieschi erzählte vor Gericht seine Geschichte, dabei merkte er an: „Ich habe den Daumenwiderstand verloren. Es klingt albern, aber ich kann keine Mittelfinger mehr zeigen, manchmal juckt es mich.“
„Wir werden (die Geste) für dich weitermachen“, schrieb die Redaktion von Charlie Hebdo am vergangenen Samstag – in einem Nachruf, denn Simon Fieschi ist tot. Am Donnerstag, dem 17. Oktober 2024, wurde sein lebloser Körper in einem Hotelzimmer in Paris gefunden. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat eine „Untersuchung zur Ermittlung der Todesursache“ eingeleitet, die bislang völlig unklar ist. Wir wissen also nicht, warum der Familienvater tot ist – ob er an einem natürlichen Tod, durch Fremdeinwirkung oder durch einen Suizid starb. Auch wenn Simon Fieschi 2020 bei Charlie Hebdo schrieb, dass er gelernt hat, „mit dem zu leben, was ich verloren habe und mit dem, was ich noch habe“ – er kämpfte auch Jahre später noch mit den Folgen des Attentats.
Der Zeitung LCA News sagte er Anfang Oktober, dass er vor 18 Monaten einen Burnout hatte. Er habe es nicht mehr ertragen können, mit dem ständigen Risiko zu leben, angegriffen zu werden. Er sehnte sich nach Ruhe, die er „ohne allzu große Schuldgefühle“ genießen wollte. Und sorgte sich wegen seiner kleinen Behindertenrente, ein „Parasit“ für die Gesellschaft zu sein. Doch das war er nicht. Simon Fieschi war ein „unermüdlicher Verteidiger der Freiheit“ – ein Mann, der sich weigerte, „diejenigen gewinnen zu lassen, die sie vernichten wollten“ (Charlie Hebdo).
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Was für ein Horror! Damals konnte man fast noch denken, es ist eine Einzeltat, Wahnsinn, was seitdem alles passiert ist…
Die Lektionen aus Hebdo sind dass dieser liberale Stuss über Freiheit überhaupt nichts wert ist wenn die Widersprüche der liberalen Gesellschaft in sich kollabieren.
Wie merkwürdig. Der Westen wird von Islamisten wegen der westl. Meinungsfreiheit in ihrer eigenen Heimat angegriffen um dann die Meinungsfreiheit über z.B. DSA selber abzuschaffen…so ähnlich wie mit dem Kopftuch, ihn Nahost kämpft der Westen dagegen, im Westen dafür…
Und ebenso unvergessen, wie Linke sofort „selbst Schuld!“ brüllten und mehr Sensibilität gegenüber den Koranverwirrten forderten, während sie weiter Hass und Galle über alles Christliche kippten. Und wer die Zustände aanprangerte, wurde sofort in die Nazi-Ecke geprügelt. Die Gefahr geht nicht von Rechts aus sondern von Religionsfanatikern, Irren und Linksradikalen – das Irrsein scheint die gemeinsame Schnittmenge zu sein.
Charlie Hebdo waren alles Linke.
Man hätte ihm sagen sollen, daß der frz. Staat soviel Geld für Maghrebiner u. andere ausgibt…, daß er, Simon Fieschi, wengistens s/eine kleine Rente verdient habe. RIP!