Das Gesicht grau, die Haut aufgequollen, die Augen müde. Der ehemalige Weltstar Kevin Spacey sieht unendlich geschafft aus, als er am Mittwoch vor einem Londoner Gericht ein Pressestatement abgibt. Vier Männer hatten dem amerikanischen Schauspieler sexuelle Übergriffe vorgeworfen, in einem Fall sexuelle Nötigung. Die vermeintlichen Opfer hatten berichtet, von Spacey gegen Ihren Willen gewaltvoll im Schritt gepackt worden zu sein. Ein Mann hatte vor Gericht geschildert, in einer Nacht so viel Alkohol und Marihuana bei Spacey konsumiert zu haben, dass er das Bewusstsein verloren habe. Als er aufwachte, habe Spacey gerade Oralsex an ihm verübt. Spacey hatte alle Vorwürfe abgestritten, die sexuellen Kontakte seien einvernehmlich gewesen. Nun hat die Jury den Schauspieler in allen Anklagepunkten freigesprochen.
„Ich kann mir vorstellen, dass viele von Ihnen verstehen, dass ich sehr viel zu verarbeiten habe“, sagt Spacey in die Kameras der Journalisten. In seinem Gesicht sind weder Erleichterung noch Freude zu erkennen – nur Erschöpfung und vielleicht traurige Ergriffenheit. Für ihn endet an diesem Tag ein sechsjähriger Horrortrip. Als 2017 im Zuge der frühen „MeToo“-Bewegung die erstes Vorwürfe gegen Spacey an die Öffentlichkeit gerieten, wurde der Schauspieler auf dem Höhepunkt seiner Karriere plötzlich zum Aussätzigen erklärt. Er verlor innerhalb eines Monats seine Rolle als zwielichtiger Demokraten-Präsident Frank Underwood in der Politthriller-Serie „House of Cards“. Die Serie wurde von Netflix kurzerhand so umgeschrieben, dass Spaceys Charakter starb. In einem anderen bereits abgedrehten Film wurde Spacey komplett herausgeschnitten, seine Szenen wurden mit einem anderem Schauspieler erneut gedreht. All das geschah bevor eines der vermeintlichen Opfer überhaupt Anklage erhoben hatte. Später sollten alle gerichtlichen Prozesse zu Spaceys Gunsten entschieden werden.
Der Fall eines brillanten Schauspielers
Spacey war 2017 noch einer der ganz Großen – zurecht, muss jeder zugeben, der seine Darbietungen in „Die üblichen Verdächtigen“, „House of Cards“, „Sieben“ oder „American Beauty“ gesehen hat. Er spielte oft Männer, die hinter einer bestechend freundlichen, unschuldigen Fassade, tiefste Abgründe versteckten. Die Rolle des skrupellosen, machtgierigen Frank Underwood war ihm wie auf den Leib geschnitten. Spacey vermochte es, im Zuschauer die Faszination für das Böse, die Anerkennung für raffinierte Skrupellosigkeit zu erwecken. Das beste Beispiel dafür sind die berühmten Szenen in „House of Cards“, in denen Spacey als Frank Underwood direkt in die in die Kamera spricht und damit den Zuschauer zum Komplizen seiner krummen Geschäfte macht. Ob er will oder nicht.
Es ist fraglich, ob Spacey diese Brillanz je zurückgewinnen kann. Ein längeres Interview des Zeit Magazins mit dem Schauspieler aus Juni zeichnet das Bild eines verbitterten, vielleicht sogar gebrochenen Mannes. Spacey berichtet von den Schwierigkeiten, sich seine Homosexualität einzugestehen, von einer Klinik für Sexualtherapie, der er besucht hat, von wöchentlichen therapieähnlichen Gesprächen mit seinem Manager, um seinen Charakter zu analysieren. Er beschreibt, dass er es in seiner plötzlichen Einsamkeit so vermisste zu arbeiten, dass er schließlich Angeboten von Kleinstproduktionen angenommen hatte.
Spaceys frühe Versuche, sich gegen den Cancel-Irrsinn zu wehren, waren wenn überhaupt nur mäßig erfolgreich. In einem YouTube-Video aus dem Winter 2018, gibt sich Spacey in der Manier von Frank Underwood, sagt provokativ: Ich weiß, was ihr wollt, ihr wollt mich zurück. Aber Spacey glänzt nicht mehr. Das ändert sich auch in den zwei weiteren Videos der Folgejahre nicht – im ersten ruft er dazu auf, alle Provokateure „mit Freundlichkeit zu töten“, im zweiten richtet er sich an suizidale Menschen und verspricht, dass „es besser wird“.
Das Unbehagen der Medien mit dem Rechtsstaat
Nach der Urteilsverkündung ist er nun tatsächlich frei, doch man wird erst sehen, ob er wieder durch die goldenen Türen Hollywoods gelassen wird. Amerikanische Medien spekulieren, dass es vermutlich sehr lange dauern wird, bis Spacey wieder für große Hollywood-Rollen gebucht wird, wenn es überhaupt je noch einmal passieren sollte. Deutsche Medien demonstrieren derweil ihr Unbehagen mit dem Rechtsstaat. In einem Stern-Kommentar heißt es beispielsweise: „Es sind Urteile wie der Freispruch von Kevin Spacey, die einen als Beobachterin hilflos zurücklassen. Im Zweifel für den Angeklagten heißt es, zurecht einer der wichtigsten Grundsätze des Strafrechts. Falsch fühlt er sich trotzdem manchmal an.“
Auch im NDR wird der Freispruch Spaceys geframt. Dort sagt der Autor: „Dass er unschuldig ist, ist damit nicht gesagt.“ Sowohl Schuld als auch Unschuld seien unbewiesen. Eine Bemerkung, die zwar faktisch korrekt ist, jedoch – derart vorgetragen – vor allem die Tendenz der westlichen Gesellschaften zeigt, eher dem vermeintlichen Opfer zu glauben. „Im Zweifel für den Angeklagten“ wird nicht mehr als große Errungenschaft unserer Zivilisation verstanden, die das Individuum vor willkürlicher Verurteilung schützt, sondern als irgendwie unmoralischer Juristen-Standard, der doch mehr Ärger mache, als dass er etwas nütze.
Ähnlich läuft es bei Rammstein
Das Unbehangen der deutschen Medien gegenüber der Unschuldsvermutung zeigte sich auch im Fall Rammstein in den letzten Tagen in entlarvender Weise. Angesäuert betonte der Spiegel kürzlich, dass der jüngste Gerichtsentscheid über die Rammstein-Berichterstattung des Magazins, ihnen ja nicht verboten hätte, über das „perfide Casting-System“ zu schreiben, mit dem junge Frauen über Jahre zum Sex mit Lindemann ausgewählt wurden. Überhaupt sei das Hamburger Gericht „neben zwei kleineren Punkten“ „nur bei einem der vielen relevanten Sachverhalte“ zu einer anderen Bewertung als der Spiegel gekommen. Tatsächlich hatte das Gericht aber die zentralen Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann wegen Beweismangels untersagt. Das schreiben auch juristische Fachmagazine. Der Spiegel darf nun nicht mehr behaupten, dass Lindemann Frauen mit K.O.-Tropfen, Drogen oder Alkohol sexuell gefügig gemacht hat.
Auch der Influencerin Kayla Shyx wurde vor ein paar Tagen vom selben Hamburger Gericht untersagt, zu verbreiten, dass Shelby Lynn und weitere Frauen von Lindemann „unter Drogen gesetzt“ wurden. Shyx hatte in einem Anfang Juni veröffentlichten Video ihre Erlebnisse bei einer Rammstein-Aftershow Party erzählt, dabei jedoch auch viel Hörensagen aus den Sozialen Medien einfließen lassen. Das Video wurde fast sechs Millionen Mal aufgerufen. Nun hat das Gericht klargestellt, dass Shyx lediglich belegen konnte, dass bei den Rammstein-Partys Alkohol angeboten wurde, jedoch nicht, dass die Frauen systematisch betrunken gemacht worden waren.
„Wir schreiben das Jahr 2023 und nicht 1823“
Till Lindemanns Anwalt kommentierte den genervten Umgang der deutschen Medien zu den Gerichtsentscheiden kürzlich im Cicero: Man könne natürlich die Frage aufwerfen, ob ein Rockstar heute noch mit Groupies ins Bett gehen müsse, ob man eine „Auswahl“ vornehmen solle nach optischen Kriterien. Der Jurist erklärte: „Das kann man alles kritisch bewerten und den moralischen Zeigefinger erheben. Ich finde diese gespielte Empörung völlig überzogen.“
Ähnlich verteidigte auch Spaceys Anwalt seinen Mandanten in London: „Es ist kein Verbrechen, Sex zu mögen, auch wenn man berühmt ist“, sagte der Jurist. Und ergänzte: „Es ist kein Verbrechen, Sex mit jemandem des gleichen Geschlechts zu haben, denn wir schreiben das Jahr 2023 und nicht 1823.“
Sex ist nicht illegal, nur weil er nicht gefällt
Vielleicht haben die westlichen Medien nicht nur ein Problem mit der Unschuldsvermutung. Sie scheinen auch nicht unterscheiden zu können, zwischen Sex, der ihnen nicht gefällt, und strafrechtlich relevantem Missbrauch. Es nicht verboten, auf Blowjobs im Backstage zu stehen, auf schnellen Sex und harte Schläge auf den Hintern. Man kann es unappetitlich finden, dass ein über 60-jähriger Mann sich Anfang zwanzig jährige Frauen zum Vögeln aussucht – oder im Falle Spaceys junge Männer. Doch solang die Sexualpartner volljährig sind und der Sex einvernehmlich war, ist auch das legal.
Es ist auffällig, dass eine Gesellschaft, die sich sonst immer gerne demonstrativ sexuell befreit gibt, plötzlich zur fingerhebenden Gouvernante wird. Ob die neu entdeckte Moral der Medien Fassade ist, oder nur Ausdruck einer fehlenden professionellen Distanz der Journalisten zum Objekt ihrer Berichterstattung, wissen nur die betroffenen Autoren.
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Das ist Cancelculture vom Feinsten. Dass die Unschuldsvermutung immer weniger gilt, macht Angst. Spätestens jetzt wird einem bewusst, was ein Rechtsstaat wert ist und welchem Mob man ausgeliefert sein kann, wenn er bröckelt.
Der Pressekommentar von Kevin Spacey war tatsächlich sehr bedrückend – ein gebrochen wirkender Mann. Dass die Medien trotz der Freisprüche bei ihrer Hetzjagd bleiben, dem hasserfüllten Mob weiterhin zur Seite springen, ist schrecklich. Umso besser finde ich es und freut es mich als Leserin, dass Sie sich für die Richtigstellung der Geschehnisse einsetzen.
Ich finde den Vergleich zwischen Spacey und Rammstein unpassend. Spacey trifft sich mit einem Bekannten, mit ihm kifft und säuft er. Spacey ist schwul. Dass der Bekannte später beklagt ihm sei einer geblasen worden, obwohl er nicht bei sich gewesen sei….na ja, ist zwar auch blöd, aber sowas wird wohl schwer unter Vergewaltigung zu subsumieren sein.
Lindemann. Nun, was da genau passiert ist weiß keiner. Spacey wurde freigesprochen. Bei Lindemann ist es bis jetzt unklar, warum dass überhaupt nicht untersucht wurde. Mag auch daran liegen, dass die Polizei in Litauen, wo das Konzert stattfand anders entscheidet. So. Und nur weil es bis jetzt nicht untersucht wurde, ihn zu verteidigen. Ich krieg davon Pickel!
Ich hatte mal das Vergnügen mit einer weltbekannten Band in einem Aufzug zu fahren. Mein Gott, waren die arrogant. Ich war damals schon 23 Jahre alt, die wahrscheinlich 40 Jahre alt. Ich hab mich neben denen wie ein kleines Kind gefühlt. Nie hätte ich mich getraut denen etwas entgegensetzen. Ok , ich hatte da einen Job, den ich nicht verlieren wollte. Ich war nüchtern. – Jedenfalls kann ich mir durchaus vorstellen, dass eine junge Frau, die berauscht von einem Konzert ihrer Lieblingsband, dann noch betrunken und evtl. bekifft auf einer Afterparty plötzlich völlig überfordert ist, wenn der Typ, dem sie gerade noch zugejubelt hat sie bumsen möchte. Der Typ ist 50 (!). Nein, beim besten Willen. Sowas kann ich nicht gutheißen, auch nicht wenn die junge Frau bescheuert genug ist sich so voll zu dröhnen oder nicht in der Lage war, darauf aufzupassen, dass niemand ihr etwas ins Glas schüttet.
Ich bitte doch darum dich mal in die Kage dieser Frau zu versetzen- ja, sie mag nicht bei dich gewesen sein – das gibt so einem Großkotz noch lange nicht das Recht ihr oder einer andern Frau, das anzutun was da passiert ist. Was auch immer das gewesen sein mag. Wenn wir damit anfangen, dann wird es bald schwer für eine Frau ihre erkämpfte Freiheit zu leben.
.. nur weil es nicht gefällt… ist es legal…
Einmal umgekehrt…
ich sehe ein Körperteil von… greife zu und fest zu…
meione hand und finger entscheiden …
ne gefällt mir nicht…
Und das Ganze ist dann legal!!!`???
A ha
wie „Krank“ sind wir in der gesetzgebung und Auslegung“ geworden.
Dabei sind beide Beispiele, Kevin Spacey und Rammstein, stark links. Rammstein kommt aus der Punkszene der späten DDR und Kevin Spacey sagte über House of Cards „Er spielt alles, nur keinen Republikaner“. Mir völlig egal unter welchen Vorwänden diese Leute abgesägt werden. Ihr seid doch völlig daneben hier sexuell Abartige in Schutz zu nehmen nur um der MeToo Seite eins reinwürgen zu wollen.
Ein übriges tragen youtuber mit einer immensen Reichweite bei, die in ihrer Bubble gebunden sind. Es ist haarsträubend, was in der Causa Lindemann auf dieser Platform verbreitet und auch mit Vehemenz behauptet wird, unabhängig des Wahrheitsgehalts.
Ich glaube, das ist inzwischen einfach nur ein Vernichtungsinstrument – wie passt die Prüderie sonst zusammen mit Frühsexualisierung, Drag-Queens für Kinder, Fetisch-Paraden etc.?
Wer einmal darein gerät, kommt ev. wieder raus, aber wie eine Möwe aus einer Öllache – geteert und gefedert fürs Leben.