„Die Ostdeutschen sollten dankbarer sein“, schreibt ein Journalist der Augsburger Allgemeinen am Freitag in einem Kommentar zum Umfragenhoch der AfD in Ostdeutschland. Seine These: Im Osten werde „viel zu wenig gewürdigt, mit welchen Summen der Westen den Wiederaufbau des maroden Landes finanziert hat“. Statt Dankbarkeit für die Mühen der Westdeutschen zu zeigen, würden sich viele Ostdeutsche zunehmend das Leben in der DDR zurückwünschen und deswegen die AfD wählen.
Der Autor heißt Christian Grimm, hat selbst in Leipzig studiert und ein Volontariat bei der Thüringer Allgemeinen absolviert. Er müsste sie also kennen, „die Ostdeutschen“ – die DDR wiederum kann er mit seinen circa 35 Jahren, wenn überhaupt nur als Kleinkind erlebt haben. Inzwischen ist er Berliner, „Hauptstadtkorrespondent“ der Augsburger Allgemeinen, und schreibt mit spürbarer Distanz über seine ehemaligen Genossen: „Die Ostdeutschen hatten einen wohlhabenden Sponsor, der ihnen den Weg in Demokratie und Kapitalismus materiell leichter machte. Der reiche Onkel hat also ein großes Dankeschön verdient, doch der lieben Verwandtschaft aus der abgeschafften DDR kommt es nicht über die Lippen.“
Das „Bekenntnis zu einer Diktatur, die man einst selbst gestürzt hatte“, sei eine „Provokation“ der Ostdeutschen, um den „westdeutsch geprägten Eliten eins auszuwischen“. Dankbarkeit und Protest, so schließt der Autor seinen Artikel, würden sich nicht vertragen.
Wie ist dieses Statement zu verstehen? Die verdammten Ossis sollen mal endlich dankbar sein und aufhören, aus Protest die falsche Partei zu wählen? Man fragt sich: Wie sieht denn dankbares Wählen aus? Immer wieder die Regierungspartei wählen – auch wenn sie das Land herunterwirtschaftet – das kennen die Ostdeutschen schon aus ihrer alten Heimat. Wenn die Ostdeutschen nun ihre Unzufriedenheit mit der Regierung über den Wahlzettel ausdrücken, ist doch genau das eine Wertschätzung der Demokratie, in der sie nun seit über 30 Jahren leben.
Regierungskritik gehört zu Demokratie
Ja es gibt sie, die Ostalgiker in Ostdeutschland. Die „Es war ja nicht alles schlecht in der DDR“-Romantiker, die sich zurückwünschen in die Zeiten, als es im Supermarkt nicht so viel Auswahl gab und „jeder eine Wohnung bekam“. Es mag auch zunehmend Ostdeutsche geben, die sich tatsächlich einen autoritären Führungsstil zurückwünschen. Eine Fraktion, auch unter den AfD-Wählern, die der Meinung ist, dass es doch nicht so schlecht wäre, wenn Wladimir Putin nach der Ukraine auch Deutschland überfallen und hier „aufräumen“ würde. Sie versprechen sich ein Ende des LGTBQ-Wahns, der Masseneinwanderung und des Klimairrsinns – und sind dafür tatsächlich bereit, ihre erst vor Kurzem zurückgewonnene Freiheit zu opfern.
Doch ist den Journalisten und Politikern, die so selbstsicher über die Ossis schimpfen, schon einmal in den Sinn gekommen, dass es genauso Ostdeutsche geben könnte, die ihr Kreuz bei der AfD machen, weil sie sich nichts sehnlicher zurückwünschen, als den Westen, nach dem sie sich damals hinter der Mauer gesehnt haben? Ein Land, in dem es wirtschaftlichen Aufschwung gab, Wohlstand, sichere Straßen und eine freie Debattenkultur. Ein Ort, in dem das Staatsfernsehen einem nicht sagte, was man zu denken hatte und in dem man frei reisen konnte.
Sehnsucht nach dem Westen von damals
All das, was den Westen einst gegenüber der DDR auszeichnete, sehen sie nun seit Jahren verschwinden. Die Wirtschaft wird sehendes Auges gegen die Wand gefahren, hartes Arbeiten wird durch hohe Abgaben bestraft. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind in lächerlichem Zustand, genauso wie die staatlichen Schulen. Reisen wird zum Luxusgut, weil es „dem Klimaschutz zuliebe“ absichtlich von der Regierung verteuert wird. In der Öffentlichkeit gibt es wieder Dinge, die man besser nicht sagt, wenn man keine Repressionen befürchten möchte. Im Fernsehen belehrt einen der Öffentlich-Rechtliche-Rundfunk derart offen ideologiegetrieben, dass viele Menschen verzweifelt nach dem „Westfernsehen“ suchen. Unsere Bundesregierung schafft eine Meldestelle nach der anderen, bei der Mitbürger in guter Stasi-Manier auffällige Subjekte melden können – Falschparker zum Beispiel, oder „Antifeminsten“.
Der Staat dringt immer weiter in unsere Privaträume ein. Er möchte uns vorschreiben, wie wir heizen (Wärmepumpe), wie viel Wasser wir benutzen (Sparen für den Klimaschutz), was wir essen (vor allem pflanzenbasiert) und wie wir sprechen (genderinklusiv). Er möchte uns im Namen des Hitzschutzes direkt auf dem Handy informieren, wenn es draußen heiß ist, als wären wir nicht in der Lage, das selbst festzustellen. Eigenverantwortung ist ein Fremdwort geworden in diesem Land. Spätestens seit die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen und eine allgemeine Impfpflicht diskutiert wurde, wissen alle Deutschen: Das Kollektivinteresse wird von unserer Bundesregierung höher bewertet als die Freiheit des einzelnen.
Viele Ostdeutsche fühlen sich gerade durch diese Entwicklungen an die DDR erinnert. Sie empfinden keine Ostalgie – im Gegenteil, sie sind erschüttert darüber, wie die einst schöne Bundesrepublik Deutschland nun durch sozialistische Politik immer weiter verkommt. Von der AfD erhoffen sie sich eine Veränderung. Das regierungskritische Wahlverhalten der Ostdeutschen als undankbar zu bezeichnen, sagt vor allem etwas über das eigene Demokratieverständnis aus – und offenbart, dass gerade Ossi-Kritiker sich nach Wahlen wie in der DDR zu sehnen scheinen.
Sehr guter Kommentar!
Ossi-Bashing ist so ziemlich die bekloppteste Strategie, die man verfolgen kann… Besser kann man die Leute nicht gegen sich aufbringen.
Und von Dankbarkeit zu reden, ist der Gipfel – das müsste ja wohl eher andersherum sein. Schließlich waren die Ossis diejenigen, die alles ausbaden mussten nach 45, während der Westen wieder aufgebaut wurde.
Kann es sein, dass es im Westen so manchen gibt, der die Wiedervereinigung gerne rückgängig machen würde? Erst recht, wenn der Ossi nicht pariert?