„Mehr als 150 Verletzte bei Eritreer-Protest in Tel Aviv“, „Straßenschlachten in Stuttgart“, „Verletzte in Zürich“, „Eritrea-Festival in Stockholm eskaliert“ – solche und ähnliche Schlagzeilen dominieren seit Wochen die Nachrichten und würden es wohl auch diesen Samstag tun, wenn die Stadt Stuttgart eine für heute geplante Eritrea-Veranstaltung nicht im „Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ abgesagt hätte. Man wollte so verhindern, dass die deutsche Polizei wieder zum „Prellbock“ zwischen „oppositionellen Eritreern“ und Mitgliedern von Vereinen wird, die dem Regime um den eritreeischen Diktator Afewerki nahestehen sollen. Und das ist angesichts der vielen Verletzten und der bürgerkriegsähnlichen Szenen auf unseren Straßen einerseits verständlich, andererseits jedoch nur eine Verschiebung eines weitgehend unbekannten Problems. Denn wir wissen nicht mal so genau, wer hier eigentlich seine Konflikte auf unseren Straßen austrägt. Wer sind diese Oppositionellen? Wer ist die Brigade Nhamedu? Wer ist Asayas Afewerki und welchen Einfluss hat der Diktator in Deutschland?
Vom Unabhängigkeitskämpfer zum Diktator
Eritrea gilt als der zweitjüngste Staat in Afrika, weil das heute 3,8 Millionen Einwohner starke ostafrikanische Land erst im Jahr 1993, nach einem 30-jährigen Krieg mit Äthiopien seine Unabhängigkeit erlangte. Asayas Afewerki war zu Zeiten des Krieges ein junger Mann und begründete mit anderen 1971 die „Eritreischen revolutionären Volkspartei“, aus der später die „Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF)“ hervorging. Die EPLF kämpfte im Unabhängigkeitskrieg gemeinsam mit der äthiopischen Opposition und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) gegen das äthiopische Militär (des kommunistischen Derg-Regimes), bis im Jahr 1991 schließlich Eritreas Hauptstadt Asmara eingenommen und der Krieg so beendet werden konnte – 1993 folgte nach einem Referendum die offizielle Unabhängigkeit. Asayas Afewerki wurde in diesem Jahr Parteivorsitzender der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ), die aus der EPLF hervorging, und damit auch Staats- und Regierungsoberhaupt. Für einen großen Teil der etwa 25.000 Eritreer, die noch während der Kriegsjahre nach Deutschland flohen, war Afewerki also ein Unabhängigkeitskämpfer – sie erlebten nicht mehr selbst, was der Mann seinem Volk in den Folgejahren antun sollte. Deshalb sind viele von ihnen auch heute noch Unterstützer des Regimes.
Asayas Afewerki ist inzwischen seit 30 Jahren an der Macht und führte in dieser Zeit kein einziges Mal eine demokratische Wahl durch – die in den 90er Jahren von der Nationalversammlung beschlossene demokratische Verfassung trat ebenfalls nie in Kraft. Stattdessen baute der heute 76-Jährige eine Diktatur auf, in der es laut UN-Berichten „keine unabhängige Justiz, kein Parlament und keine anderen demokratischen Institutionen“, sondern eine gewalttätige Willkürherrschaft gibt. In der Menschen nach Belieben des Diktators und seiner Schergen verhaftet, getötet, gefoltert und politisch verfolgt werden. Das wohl charakteristischste Element seiner Herrschaft ist aber die Zwangsarbeit. Jeder Eritreer zwischen 18 und 50 Jahren muss einen Wehrdienst leisten – der eigentlich auf 18 Monate begrenzt ist, in Wirklichkeit aber nach Belieben der Militärregierung verlängert werden kann. Damit es genug Zwangsarbeitskräfte in der Landwirtschaft, auf dem Bau, in der Industrie und im Militär gibt. Das ist der Hauptgrund, warum heute so viele Eritreer die Flucht nach Deutschland und in andere europäische Länder wagen.
Der lange Arm von Afewerki
Doch auch dort, auch bei uns, sind sie nicht vor dem langen Arm des Terrorregimes sicher. Es ist seit Jahren bekannt, dass eritreische Botschaften, Konsulate, Gemeinschaftsorganisationen (mahbere-koms) und die YPFDJ, eine Jugendorganisation der eritreischen Einheitspartei, in Deutschland lebende Eritreer unter Druck setzen und Gelder sammeln, die das heimische Terrorregime mitfinanzieren. Laut Befragungen im Rahmen einer Studie des Leibniz Institutes aus den Jahren 2018 und 2019 würden Anhänger des Regimes von Afewerki sogar Flüchtlingsunterkünfte aufsuchen, um die dort lebenden Eritrea zur Zahlung der Diaspora Steuer aufzufordern. Diese Steuer wurde nach Erlangen der Unabhängigkeit 1993 eingeführt – eritreische Staatsbürger im Ausland müssen seither zwei Prozent ihres Jahreseinkommens, egal ob Arbeitseinkommen oder Sozialleistung, an das Regime abführen.
Viele Eritreer, die mit dem Regime nichts zu tun haben wollen, weigern sich die Steuer freiwillig zu leisten. Sind sie auf die Ausstellung von Passdokumenten oder Urkunden seitens der Eritreischen Botschaft angewiesen, haben sie jedoch ein Problem. Die Botschaften geben die Dokumente erst heraus, wenn der Betroffene eine „Erklärung des Bedauerns“ unterzeichnet hat und einwilligt, künftig die Diaspora-Steuer zu zahlen. Mit Unterzeichnung der Erklärung bekennt man sich schuldig, gegen nationale Interessen Eritreas verstoßen zu haben und erklärt, dass man bei einer möglichen Rückkehr in sein Heimatland jede Bestrafung akzeptiert, die das Regime für angemessen hält. Nachdem ein Eritreer mit subsidärem Schutzstatus gegen die Ausländerbehörde geklagt hatte, die wollte, dass der Mann sich bei der Botschaft einen Pass ausstellen lässt, sprach das Bundesverwaltungsgericht im Oktober 2022 ein Urteil (Urt. v. 11.10.2022, Az. BVerwG 1 C 9.21) zu der Angelegenheit. Es stellte klar, dass eine solche Erklärung unzumutbar sei und die Ausländerbehörde Betroffenen einen Reiseausweis ausstellen muss – weil niemand zur Erklärung einer Straftat gezwungen werden dürfe. Fraglich bleibt dabei jedoch, wie die Ausländerbehörde die Identität entsprechender Menschen bestätigen soll.
Orthodoxe Kirchen als Einflussinstrument
Die Botschaften sind jedoch nicht die einzigen Stellen, die im Auftrag des Regimes Gelder von Eritreern in Deutschland kassieren. Auch orthodoxe Kirchen (die Mehrheit der Eritreer, die nach Deutschland fliehen, sind orthodoxe Christen) verlangen laut der zuvor genannten Studie des Leibniz Institutes Gebühren für kirchliche Taufen und Eheschließungen, die anschließend nach Eritrea überwiesen werden. Orthodoxe Kirchen seien oftmals regimetreu und würden versuchen, die Kontrolle über die in Europa lebenden Eritreer auszubauen. Gemeinden, die sich einer politischen Parteinahme verweigerten, würden unter Druck gesetzt, sich zu positionieren. Georg König, der Diakon der eritreisch orthodoxen Kirche Berlin, die sich nach eigenen Aussagen gegen den Einfluss des Regimes stellt und deshalb schon Probleme hatte, sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass von vornherein die Absicht des Präsidenten (Afewerki) gewesen sei, „die Kirche für seine persönlichen Zwecke zu benutzen, auszubeuten regelrecht, und das ist ihm auch gelungen, bis heute. Wir verurteilen das aufs Schärfste. Und alles, was über die Botschaft hier in unseren Gemeinden getrieben wird – das ist unakzeptabel.“
Doch das Regime setzt sogar noch früher an, um seinen Einfluss auf Staatsbürger im Ausland auszuüben – und zwar durch den Einsatz von regimetreuen Dolmetschern, die nicht nur falsch übersetzen, sondern auch Anweisungen geben sollen, dass man sich nicht zu kritisch über das Regime äußern solle. So berichtete die Rechtsanwältin Antje Becker, die seit den Neunzigern Asylbewerber aus Eritrea vor Gericht vertritt, gegenüber der Zeit, dass es ihr immer wieder begegne, dass „Mandanten mit politischem Druck konfrontiert werden“. Laut dem Verein Mekri, würden die Dolmetscher bei manchen Flüchtlingen „wirtschaftliche Probleme“ als Fluchtgrund angeben, obwohl Betroffenen vor dem Militärdienst geflohen seien – genauso würden Foltererfahrungen von Oppositionellen einfach nicht in das Protokoll aufgenommen. Etliche Menschen hätten zudem darüber berichtet, ihr Dolmetscher habe während der Anhörung gesagt: „Sprich nicht schlecht über dein Land.“
Auf den Straßen kämpfen keine Eritreer, sondern Äthiopier
Reueerklärung, Diaspora-Steuer und Einflussnahme von Kirchen und Dolmetschern – unter diesen Umständen ist es keine Verwunderung, dass regimekritische Eritreer in Deutschland nicht von den angeblich so unpolitischen Kulturvereinen und deren Ausrichtung der Eritrea-Festivals begeistert sind. Immerhin soll dort die Militärdiktatur, die ihr Leben selbst tausende Kilometer weiter beeinflusst, verherrlicht werden. In den vergangenen Jahren seien laut Medienberichten immer wieder Generäle, Musikgruppen und Propagandisten zum Festival nach Deutschland eingeflogen worden. Und es würden Spenden gesammelt – Gelder, die direkt in den Finanzhaushalt von Diktator Asayas Afewerki fließen. Das und die diesbezügliche Untätigkeit der deutschen Regierung wären sicher gute Gründe, friedlich zu protestieren – doch davon kann bei den Ausschreitungen der letzten Wochen nicht im Ansatz die Rede sein. Woher kommt also die Gewalt der „Oppositionellen“ – und wieso kommt sie jetzt, nachdem das Festival jahrelang friedlich, ohne Vorkommnisse, abgehalten wurde?
Das könnte schlicht und ergreifend daran liegen, dass es sich bei den „Regime-Gegnern“ zu großen Teilen gar nicht um oppositionelle Eritreer handeln soll, sondern um Äthiopier. Genauer gesagt: um Mitglieder der „Brigade Nhamedu“. Laut Tichys Einblick gebe es diese Gruppe erst seit einigen Monaten – genau wie die Ausschreitungen. In sozialen Medien wie TikTok kursieren zahllose Videos mit Überschriften wie „Brigade Nhamedu – The Blue Revolution“, in denen die gewalttätigen Ausschreitungen der letzten Monate gefeiert werden. Die Männer in den Videos – zum Beispiel von den besonders blutigen Ausschreitungen in Israel – tragen blaue T-Shirts mit dem Symbol der Flagge Eritreas – aber nicht der aktuellen, sondern der blau-grünen Version aus dem Jahr 1952, als Eritrea ein föderativer Teilstaat Äthiopiens wurde. Eritreer und Tigrinya sprechen dieselbe Sprache (tigrinisch), es wird berichtet, dass es für Menschen aus Tigray deshalb ein leichtes ist, sich als Eritreer auszugeben und so bessere Chancen im Asylverfahren zu haben.
Laut der jungen Welt erklärte auch der FDP-Sprecher für Innenpolitik, Jörg-Uwe Hahn, Anfang September, dass die Anmelderin der „Gegendemo“ bei den schweren Ausschreitungen im Juli in Gießen keine Eritreerin, sondern eine Äthiopierin sei. Und auch der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) bestätigte, „dass es sich bei den Gewalttätern um gewaltbereite Gruppen unter Führung der aus Tigray (Nordäthiopien) stammenden und vermutlich extremistischen Vereinigung ‚Brigade N’Hamedu‘ handelt“. Laut Medienberichten soll die Gruppe der „Volksbefreiungsfront von Tigray“ (TPLF) zuzuordnen sein – eine ehemalige marxistisch-leninistische Befreiungsbewegung (die im Unabhängigkeitskrieg mit den Eritreern gegen das äthiopische Derg-Regime kämpfte) und heutige Regierungspartei in der autonomen äthiopischen Region Tigray. Und genau daher könnte der Hass gegen das Eritreer-Festival und Anhänger des Regimes stammen. Im Tigray findet seit knapp zwei Jahren ein blutiger Bürgerkrieg statt – in dem auch Eritreas Machthaber Afewerki mitmischt.
Auf unseren Straßen kämpfen Äthiopier gegen Eritreer
Das Oberhaus des äthiopischen Parlaments beschloss nach jahrelangen Spannungen mit der „abtrünnigen Region“ im November 2020 die Regionalregierung in Tigray abzusetzen. Ministerpräsident Abiy Ahmed wurde damit berechtigt, eine Übergangsregierung einzusetzen und militärisch gegen die Regionalregierung in Tigray vorzugehen – seither herrscht Krieg. Und aufseiten des äthiopischen Militärs kämpft ausgerechnet Tigrays Nachbarstaat Eritrea – wobei die eritreischen Truppen laut NZZ für die schrecklichsten Kriegsverbrechen in der Region, Massenhinrichtungen und Massenvergewaltigungen, verantwortlich gemacht werden. Als im Oktober 2022 Friedensverhandlungen geführt wurden, soll das Eritreische Regime sie boykottiert haben – man machte keine Anstalten seine Truppen aus dem Tigray abzuziehen.
Die Brigade Nhamedu besteht aus äthiopischen Nationalisten, sie wollen das eritreische Regime und seine Anhänger – auch in der Diaspora – für die Kooperation mit dem Feind bestrafen. Wollen, wie es in Social-Media-Videos heißt, Blut sehen. Und mehr noch: Sie sollen auch einen Machtwechsel in Eritrea anstreben. Laut dem eritreisch-amerikanischen Journalisten Elias Amare würden „diese blauen Hemden“ die Unabhängigkeit Eritreas und seine Flagge nicht anerkennen. Stattdessen würden sie sich für die nationalistisch Agenda „Greater Tigray“ der TPLF einsetzen, die große Teile Eritreas und seiner Küste des Roten Meeres als ihre eigenen beanspruchen soll. Allerdings scheint Amare wiederum dem Regime in Eritrea nicht allzu abgeneigt zu sein, zumindest gab er auch Vertretern der eritreischen Regierungspartei Interviews.
Die ganze Angelegenheit ist hoch komplex, fest steht aber: Die Brigade Nhamedu begeht auf deutschem Boden zahllose Straf- und Gewalttaten – gegen die deutsche Polizei und Regime-Unterstützer. Wenn diese deutsche Staatsbürger sind, haben sie dank Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch das Recht, einen widerlichen Diktator zu befürworten und Feste zu seinen Ehren zu feiern – auch wenn einem das nicht gefallen mag. Die Bundesrepublik ist dennoch alles andere als machtlos. Die deutsche Regierung wäre nämlich in der Pflicht den langen Arm von Afewerki, die Bedrohungen, Einflussnahme und die illegale Beschaffung von Geldern, auf deutschem Boden zu unterbinden. Genau wie sie in der Pflicht wäre, gewalttätige Ausschreitungen zu unterbinden und diejenigen, die sich unrechtmäßig in unserem Land aufhalten und gegen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien verstoßen, abzuschieben.
Na da wünsche ich der Brigade Nhamedu mal viel Erfolg bei ihren Unternehmungen und hoffe dass sich auch die bundesdeutsche Polizei warm anziehen darf. Ich hab die Nase voll von BRD Gebetskören auf halbe Sachen und undefiniert im Raum herumgeisternder Menschenwürde.
„gegen die deutsche Polizei und Regime-Unterstützer“
Interessante Formulierung. Wie Bruno Ganz in „Der Baader Meinhof Komplex“ sagt: Globale Konflikte werden uns auch hier betreffen. Die BRD hat 2015 gezeigt dass ihre Grenzen nichts bedeuten. Sie sind Fiktion. Also warum nicht diese Gruppen um ihre Rückzügsräume kämpfen lassen? Abschiebung ist Träumerei.
Die israelische Regierung hat angekündigt, die Gewalttäter bei dem „Eritrea-Festival“ in Tel Aviv mit ca. 140 Verletzten, Gewalttäter, die die Polizei angriffen, abzuschieben! Im angeblich „humanitären“ D. schreckt man vor solchen Maßnahmen zurück, man schaut lieber zu, lässt alles laufen, duckt sich weg – dafür bestraft man GEZ-Verweigerer und Ordnungsstrafen-Verweigerer (Falschparker, geringe Geschwindigkeitsüberschreitungen) hart.
Die ganze Verlogenheit der Refugees-Welcome-Politik in einem Text: Deutschland soll „bunt“ werden, aber die Zustände in den Herkunftsländern interessieren im Ernst niemanden. Es geht den linken Weltverbesserern nicht darum, anderen Menschen zu helfen – es geht ihnen um das gute Gefühl abends vorm Einschlafen.
Sehr geehrte Frau Schwarz, es fällt mir auf, dass Sie sich oft tief in Themen einarbeiten, mit denen man sich nicht gerne beschäftigt, weil diese so komplex und/oder so widerwärtig sind. (So geht es mir jedenfalls.) Und dann lese ich Ihre Artikel und werde umfassend informiert, ohne mich selbst mehr mit solchen Dingen beschäftigen zu müssen, als der Lebensfreude zuträglich wäre… Vielen Dank dafür!
Hochachtungsvoll Karl Krumhardt