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„Kulturell unsensibel“

Anwaltsperücke könnte gecancelt werden, weil sie nicht über Afros passt 

Über 300 Jahre lang ist die weiße Pferdehaarperücke Tradition und Pflicht vor den britischen Gerichten gewesen. Nun könnte sie endgültig abgeschafft werden - weil sie „kulturell unsensibel“ sei und nicht über Afros oder Kopftücher passe.

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Sie sind hässlich, nicht mehr wirklich zeitgemäß und doch ikonisch: die altmodischen Perücken, die Richter und Anwälte in bestimmten britischen Gerichten und ehemaligen britischen Kolonien bis heute tragen müssen, lassen doch manchmal an der Traditionsliebe der Briten zweifeln. Traditionell aus Pferdehaar hergestellt – aber inzwischen natürlich für tierliebe oder allergische Juristen auch in veganer Variante erhältlich – und gerne mal ein halbes Kilo schwer, wurde der Kopfschmuck vor 300 Jahren eingeführt. 

Die Kopfbedeckung hatte damals aber keine wirklich tiefere Bedeutung, als dass sie am Ende des 17. Jahrhunderts eben im Trend war. Perücken zu tragen, wurde unter der Herrschaft von King Charles II, 1660 bis 1685, besonders beliebt und Anwälte trugen sie im Gericht als Symbol ihres Standes und ihrer Autorität. Später wurde sie zu einem festen Bestandteil und formaler Pflicht. 

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Nach langem Streit wurde die Tradition in Großbritannien bereits 2007 aufgebrochen, heute tragen Anwälte im Zivil- und Familiengericht keine Perücken mehr und es ist auch vor dem UK Supreme Court keine Pflicht. Übrig geblieben sind damit nur die Strafgerichte, doch auch hier könnte bald damit Schluss sein – weil mehrere schwarze Anwälte sich beschwert haben, dass die Perücken „kulturell unsensibel“ seien und besonders Menschen mit „afro-karibischem Haar“ diskriminieren würden. 

„Nach Fragen von Rechtsanwälten zu Perücken und Haardiskriminierung hat der Anwaltsrat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Gerichtskleidung im Kontext aller geschützten Merkmale prüfen soll“, erklärte ein Sprecher des Anwaltsrats, der Rechtsanwälte in England und Wales vertritt, im Telegraph. „Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden derzeit im Rahmen unseres regelmäßigen Dialogs zu Fragen der Gleichstellung und Vielfalt mit der Justiz besprochen.“ 

„Was in der schwarzen Kultur oft übersehen wird, ist, dass das Haar eine unerklärliche Bedeutung hat und völlig mit der eigenen Identität verwoben ist“, erklärte Rachel Bale, eine Anwältin mit Afro dem Telegraph. Man könne die Perücke nur schwer über natürliche afrikanische Frisuren wie Afros ziehen. Sie wies außerdem auch auf die Benachteiligung verschiedener Religionen durch die Perücken hin, die etwa nicht über die Turbane von Sikhs oder das Kopftuch von Muslimas passen würden. 

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Die Perücken sind immer weißblond und dem europäischen Haar nachempfunden – obwohl man argumentieren könnte, dass bei Pferdehaar zu keiner Ethnie eine Ähnlichkeit besteht. Ob Afro, aufwendig gestyltes Frauenhaar oder Glatze, die Perücke wird einfach obendrauf gesetzt, das Echthaar schaut dann gegebenenfalls darunter hervor. Schön sieht das nicht aus, keine Frage, doch eigentlich haben damit alle Juristen mit eigenen Haaren gleich schlechte Voraussetzungen. 

Interessant ist dabei: Obwohl England seine Kolonien in Asien und Afrika lange aufgegeben hat, trägt man die Perücken dort bis heute – mit Stolz. John Mary Mugisha, einer der angesehensten Anwälte Ugandas, sagte vergangenes Jahr dem Spiegel im Rahmen einer Reportage, wenn es nach ihm ginge, würde die Tradition ewig so bleiben. „Es ist ein Zeichen von Prestige, es ist schon ein erhebendes Gefühl, die Perücke zu tragen.“ Möglicherweise werden die Perücken in Afrika damit die in Großbritannien überleben. 

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