Zu Besuch bei Tarot-Toni Hofreiter
Von Sarah Victoria | Die Wege der Zukunft scheinen unergründlich, aber zum Glück behält ein Mann den Überblick: Tarot-Toni, das bayerische Urgestein der Grünen, weiß dank seiner Karten, wo die Zukunft hinführt. Ich habe ihn in der Pause der Zirkusvorstellung besucht.
Abseits vom bunten Treiben in der Zirkusmanege, gleich hinter dem Kassenhäuschen, findet sich ein schmaler Weg. Neugierig wage ich einen Blick um die Kurve und erspähe einen kleinen Wohnwagen, der versteckt zwischen zwei Zirkuswägen Platz findet. Am Wegesrand stehen lauter Blumentöpfe mit exotisch aussehenden Lilien und vermoosten Holzpfeilen, die einem den Weg zum Eingang weisen. An der Eingangstür hängt ein Schild: „Tarot-Tonis Kartenzauber“.
Noch bevor ich mein Handy entsperren kann, um ein Bild zu machen, fliegt plötzlich die Tür auf und ein lautes „Ich grüße Sie!“ schallt mir entgegen. Vor lauter Schreck lasse ich mein Handy in einen der Blumentöpfe fallen. Möglichst vorsichtig versuche ich, mein Gerät aus den gelb-orangenen, trichterförmigen Blüten zu befreien und richte mich wieder auf.
„Dieses Prachtstück ist aus der Gattung der Bomarea, eine bekannte Kletterpflanze.“, erklärt mir ein Mann mit blonder Wallewalle-Mähne. „Darüber haben Sie doch promoviert!“, platzt es aus mir heraus.
„Sie können mich ruhig Toni nennen, meine Pronomen sind er/ihm. Ich sehe, dein drittes Auge ist stark. Warst du damals auch in Südamerika und hast dich mit der dortigen Flora und Fauna bekannt gemacht?“
„Ähm nein, ich war nur auf Google. Ich meine, Ecosia.“
Er nickt verständnisvoll. „Ich denke gerne an meine Reise damals zurück. Also natürlich erst, nachdem ich die Flugmeilen kompensiert habe. Ein tolles Land, voll freier Flüsse…wären da nicht diese Soja-Multis.“ Sein Blick fällt wieder auf mich. „Du willst etwas über die Zukunft wissen?“
Ich nicke und gemeinsam betreten wir den Wohnwagen. Der kleine Raum ist voller Pflanzen, aus dem Badezimmer kommt ein heller Nebel. An den grün gestrichenen Wänden hängen eingerahmte florale Malereien. „Sind die Bilder von ihren Kindern gemalt worden?“, frage ich freundlich nach. „Das sind meine Kunstwerke.“, antwortet er fast beleidigt. „Wow. Ich meine, so… farbenfroh!“ Ich beschließe, weitere Fettnäpfchen zu vermeiden und setze mich schweigend an den kleinen Tisch, auf dem schon ein großer Kartenstapel liegt.
„Von wegen beleidigte Leberwurst, ich bin Vegetarier!“
„Ich ziehe jetzt fünf Karten aus dem kleinen Arkana-Tarot. Gemischt habe ich meine Karten schon, als du noch vor meinem Wohnwagen standest. Die Tarotkarten habe ich zum Teil auch selber gemalt. Zurzeit nutze ich die Ukraine-Edition, in blau gelb, ein Geschenk aus Lviv. Frau Strack-Zimmermann hat die Trumpfkarten aus der großen Arkana eingesackt, angeblich wollte sie mit Herrn Lindner teilen. Naja…“ Er legt die Karten nebeneinander auf den Tisch und hält einen kurzen Moment inne, bevor er weiterredet. „Der König der Schwerter. Die Karte sagt, dass wir in harten Zeiten leben. Ich meine, persönlich geht es schon, aber politisch ist es schlimm. Der Krieg in Europa, der rechte Faschismus und nicht zu vergessen: Die Klimakrise ist da. Politiker müssen unbedingt mehr Verantwortung übernehmen und die Hand des Staates besser lenken.
Was haben wir als nächstes, ah, die zwei Münzen. Die stehen dafür, Dingen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ich finde ja, feministische Außenpolitik, der Veggie Day und die stark gefährdete Rotbauchunke, meine liebste Krötenart, verdienen mehr Aufmerksamkeit. Karte Nummer drei sind die fünf Kelche, wie passend. Sie stehen für Melancholie und Trauer, ausgelöst durch die russische Invasion oder Vergabe von Ministerposten natürlich. Seit wann zählt es nicht, einen bayerischen Migrationshintergrund zu haben, Herr Gott nochmal, ständig krieg ich Untertitel. Und von wegen beleidigte Leberwurst, ich bin Vegetarier!“ Er atmet einmal tief durch. „Äh, bitte vergiss den letzten Teil. Aber Hopfen und Malz sind noch nicht verloren! Der Bube der Münzen verkörpert ein Geschenk oder ein Angebot. Als Deutsche sind wir natürlich so wohlhabend, dass wir keine Geschenke benötigen. Aber wir können geben, so viel geben. Wir müssen der Ukraine mehr geben, Europa mehr geben und natürlich der ganzen Welt mehr geben – vor allem Waffen. Und als Abschluss die Karte für die Zukunft, in dem Fall der Ritter der Stäbe. Die Karte steht für Energie, Einsatzbereitschaft und sofortiges Handeln. Also nichts anderes als schweres Gerät, wie etwa Panzer und Artilleriegeschütze. In die Ecke habe ich sogar einen kleinen Kampfhubschrauber neben die Friedenstaube gemalt.“
Damit kommt er zum Ende seiner Lesung. Ich bedanke mich und frage noch nach einer Rezeptur für gute Haarmasken, bevor ich den Wohnwagen verlasse. Draußen atme ich erleichtert durch, der Nebel im Wohnwagen hat mich ganz schläfrig gemacht. Auf dem Rückweg ruft mir Tarot-Toni noch einen letzten Satz zu: „Und nicht vergessen: Waffen, Waffen, Waffen!“