Wie war das nochmal? Damals vor Corona?

Von Gesche Javelin | Vorweihnachtszeit 2019 – es ist erst zwei Jahre her, fühlt sich aber an wie ein völlig anderes Leben. Man hat sich persönlich getroffen, einfach so, im realen Leben. Ohne darüber nachzudenken, ob man gleich eine Ordnungswidrigkeit kassiert, weil man sich nicht an die Corona-Regeln hält. Heiserkeit, Schniefnase und Husten hin oder her.
Vor genau zwei Jahren lief ich quatschend mit meinem fünf Freunden durch die Europa-Passage. Wir lachten und freuten uns schon auf den Weihnachtsmarkt, auf den wir geradewegs zusteuerten. Im Vorbeigehen sahen wir einen Ständer mit Hüten – ob die uns wohl stehen würden? Ich blieb stehen, setzte einen besonders opulenten Hut auf und posierte albernd mit meinen Freundinnen, bis wir die Hüte lachend wieder zurücklegten. Ein paar Meter weiter kam mir schon der köstliche Geruch von gebrannten Mandeln und das Gedudel der Weihnachtslieder entgegen.
Voller Vorfreude drängten wir uns in die Menschenmassen. Mir lief schon das Wasser im Mund zusammen. Also schnell zu den gebrannten Mandeln und, nicht zu vergessen, zum Schmalzgebäck.
Nachdem wir die schier endlose Schlange überwunden hatten, kuschelten wir uns dicht aneinander gedrängt in eine Ecke und genossen unsere reichliche Beute. Die Tüten wurden herumgereicht und jeder aß beim Anderen mit, bis wir nicht mehr konnten.
Kurz darauf hetzten wir zum Bahnhof, um in letzter Minute in die Bahn zu springen. Schwer atmend quetschen wir uns auf einen Vierer-Sitz. In der Bahn war es brechend voll – die Menschen standen dicht gedrängt beieinander. Kaum zu glauben, dass der Vierer-Platz noch frei war. Um uns herum erfüllten Quatschen und Lachen, Kindergeschrei, Tütenknistern und viel zu laute Kopfhörer-Musik den Waggon.
Heute scheint mir diese Erinnerung völlig fremd. Die Straßen sind zwar immer noch voll, aber von der vorweihnachtlichen Fröhlichkeit und Leichtigkeit ist kaum noch etwas zu spüren. Stattdessen herrschen Abstand, Angst und Masken. In ein Geschäft und auf den Weihnachtsmarkt kommst du nur noch mit QR-Code, der deinen „G-Status“ nachweist. Ach ja, und – fast hätte ich es vergessen – die Maske muss hier natürlich auch getragen werden. Die Dinger kann man sich ja gar nicht mehr wegdenken, auch wenn ich aus gesundheitlichen Gründen selbst keine tragen kann.
Ist das schon das neue „normal“?
Ich beobachte mit Erschrecken, dass es mir immer unbekannter wird, wie mein Leben früher einmal war. Es scheint so fremd, dass ich im ersten Moment richtig verwirrt bin, wenn ich in einem Film Menschen ohne Maske und Abstand im Supermarkt sehe. Freunde wollen sich nicht mehr umarmen, manche nichtmal mehr treffen: Geimpft vs. ungeimpft ist der neuste Trennungsgrund. Derweil heißt der Werbeslogan für Weihnachten 2021: „Weiße Weihnachten auch im Gesicht. Für jeden fünf FFP2 Masken.“
Das Absurde wird normal und das Normale immer absurder. Manchmal frage ich mich, wo das noch enden soll. Wird die Welt irgendwann wieder normaler? Kann ich irgendwann wieder, mit Heiserkeit und einer wetterbedingten Schniefnase durch die Gegend laufen, ohne Angst haben zu müssen, schräg angeguckt oder gemieden zu werden? Ich hoffe es.
Gesche Javelin, im Jahr 2005 geboren, ist froh, wenn sie 2024 die Schule verlassen kann. Träumt davon die Welt zu bereisen, ihren eigenen Reiseblog zu starten und eine bessere und vor allem freiere Zukunftsversion zu erschaffen. Liebt gute Bücher und offenen Diskurs, der leider auch immer mehr zu einem Traum wird. Sammelt Stifte und schreibt gerne über gesellschaftliche Themen, wie zum Beispiel die Schule und den Umgang mit uns Jugendlichen.