Weihnachtsmärkte für Ungeimpfte verboten? Machen wir halt einen Weihnachtsspaziergang

Von Larissa Fußer | Meine Freundin hatte mich überreden müssen. Schon seit Wochen lag sie mir in den Ohren, dass sie mit mir auf den Weihnachtsmarkt gehen wollte. Ich hatte mich bisher gesträubt: „Die meisten Weihnachtsmärkte in Berlin machen freiwillig 2G“, hatte ich gemurrt. „Was wollen wir denn da?“ Was ich natürlich nicht verriet: der Corona-Irrsinn war für mich nur einer der Gründe, nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen zu wollen. Eigentlich hatte ich schon länger keine Lust mehr, mich in das vorweihnachtliche Getümmel zu stürzen. Seit ich vor ein paar Jahren angefangen habe, die Weihnachtstage am Strand, statt im verregneten Berlin zu verbringen, hat sich mein Weihnachtsgefühl beständig gegen null bewegt. Dieses Jahr war’s nun komplett verschwunden und ich bekenne: Cocktail im Bikini am Strand gefällt mir einfach besser, als Glühwein in Wollsocken auf dem Sofa.

Doch meine Freundin wollte ja so gerne und ich wurde es – dem Lockdown sei Dank – auch langsam leid, meine Freitagabende damit zu verbringen, Internetforen nach neuen Serienempfehlungen zu durchforsten. Also sagte ich meiner Freundin, dass ich mir es mal anschauen würde. Das Problem war nur: Die Berliner „Senator*Innen“ hatten inzwischen für alle Weihnachtsmärkte verpflichtend 2G eingeführt. Wir sollten also draußen bleiben. „Ach, davon lassen wir uns doch nicht unterkriegen“, sagte meine Freundin und grinste keck, als wir gemeinsam die neue Verordnung durchlasen. „Dann stellen wir uns einfach vor den Weihnachtsmarkt – da soll es auch Zelte geben, habe ich gehört“.
An einem Freitagabend trafen wir uns – eingemummelt in mehreren Leggins, Pullis, Jacken, Socken, Schals und Mützen – und fuhren gemeinsam zum Berliner Gendarmenmarkt, wo einer der schönsten Weihnachtsmärkte in Berlin seine Zelte aufgeschlagen hatte.

Nach wie vor skeptisch parkte ich mein Auto, holte mir ein Parkticket und spazierte die Straße entlang. Es dauerte nicht lange, da fiel mein Blick auf die Weihnachtsbeleuchtung, die mir von überall entgegen blinkte. Die ganzen Straßen, Häuser, Läden und Straßenlaternen waren mit goldenen Lichtern geschmückt. Es sah sehr hübsch aus und ich begann mich zu freuen, dass ich hier war, anstatt zu Hause vor dem Fernseher zu hocken. Zusammen stapften wir in Richtung Weihnachtsmarkt und staunten nicht schlecht: an beiden Seiten des eingezäunten Marktes standen mindestens zwanzig Meter lange Menschenschlangen und warteten mehr oder weniger geduldig darauf, eintreten zu dürfen. Die ganze Einlassprozedur dauerte offenbar so lange, weil bei jedem Gast der Impfausweis mit dem Personalausweis abgeglichen wurde. Neben mir meckerte ein junger Mann zu seinem Kumpel: „Man, da ist man ja im Club sicherer – da sind zumindest alle getestet. Wenn ich mir hier in dieser engen Schlage Corona hole, bin ich richtig bedient“. Sofort traten ein paar Leute entnervt einen Meter von ihm zurück und er lächelte – so meine ich – durch seine FFP2-Maske.

Ganz vorne, direkt neben der Einlassbude, stand das Zelt, das wir gesucht hatten. Offenbar ohne 2- oder 3G-Vorgaben sammelten sich dort Menschen an einer Bar und vor Feuerschalen und tranken Glühwein, Grog und heiße Schokolade. Überall waren Lichterketten aufgehängt, aus Boxen erklang Geigenmusik. Es war wirklich schön – wenn man über 50 ist. In unserem Alter war niemand in diesem Ungeimpften-Unterschlupf zu entdecken und als die Violine anfing „My heart will go on“ zu fiedeln, nahmen wir spontan Reißaus. Wir spazierten auf die Friedrichstraße auf der Suche nach anderen mit uns barmherzigen Buden – vorbei an einem abnorm breiten Fahrradweg, den unsere rot-grüne Regierung auf einem neuerdings für Autos gesperrten Straßenabschnitt eingeführt hatte – und hörten plötzlich Gesang. Naja es war eher Gegröle – als ich genauer hinhörte, konnte ich den Text von „Mamor, Stein und Eisen bricht“ erkennen. Wir folgten der Musik und kamen so zu einer kleinen Glühweinbude, die sich vor einem Hotel platziert hatte. Drum herum waren kleine Stehtische drapiert und in der Mitte stand die Quelle des Schlagergesangs – ein um die 50-jähriger Mann mit E-Gitarre. Die Stimmung erinnerte eher an Après-Ski als an besinnliche Vorweihnachtszeit. Meine Freundin, eine ehemalig- passionierte Wiesn-Gängerin, und ich waren sofort angetan. Wir holten uns also Glühwein und stellten uns um eine der Flammen herum.


Da standen wir dann also, wippten zur Musik und sippten an unseren Tassen. Ich kam mir plötzlich ganz schön komisch vor. So hatte ich mir mit 16 nicht das Ausgehen Anfang 20 vorgestellt. Etwas peinlich berührt schaute ich mich um und guckte mir die anderen Leute an. Die meisten waren zwischen 50 und 60 Jahre alt, manche sprachen Englisch, andere quatschten im breitesten Berliner Dialekt. Alle waren gut gelaunt. Als ein älterer Mann plötzlich lautstark „Ohhhhhhh ich hab’ solche Sehnsucht…“ anstimmte, musste ich lachen. ‚Schwere Zeiten erfordern Maßnahmen‘, dachte ich mir, und stimmte in den Gesang mit ein. Meine Freundin hatte auch schon längst angefangen mit zu klatschen und so standen wir da – singend und schunkelnd in der Dezemberkälte auf der Friedrichstraße.

Nach einer kurzen Zeit stellte sich eine Männergruppe an unseren Tisch und begann zu plaudern. Meine Freundin und ich tauschten bedeutungsschwere Blicke aus und öffneten unauffällig unsere Haare. Einer der Männer war ganz aufgebracht und erzählte seinem Freund: „Du ich war gestern im Impfzentrum und wollte mich mit Biontech impfen lassen und die haben das einfach nicht gemacht. Die haben gesagt, ich kriege nur Moderna!“. Ich guckte mir das aufgebrachte, nahezu aufgelöste Gesicht dieses jungen Mannes an und kramte unwillkürlich wieder nach meinem Haargummi. Als sein Freund dann noch anfing über „Covidioten“ und „Impfverweigerer“ zu schwadronieren, hatten meine Freundin und ich genug. Da es eh kalt geworden war, beschlossen wir, zurück zum Auto zu gehen.

Als wir nur noch wenige Meter von meinem Flitzer entfernt waren, mussten wir an einer Polizeisperre vorbei. Zwischen mehreren großen Polizeiwannen standen vielleicht zwanzig ältere Männer und Frauen. Die meisten hatten krause Frisuren, einer hatte sich eine Lichterkette umgehängt – alle sahen etwas hippiemäßig aus. In der Mitte der Menschenmenge zählte gerade ein Redner Fälle von Impfnebenwirkungen auf. Ich kannte die Gruppe nicht, sie schien aber gegen die Einführung einer Impfpflicht zu demonstrieren. Als wir uns einen Weg durch die Menschen bahnten, fing von der anderen Straßenseite plötzlich jemand an zu schreien: „Ihr seid Faschisten! Faschiiiiiiiiiiiiisten“. Ich drehte mich um und sah, dass es ein junger Mann war, der da brüllte. Obwohl er nicht mich, sondern die Demonstranten meinte, lief es mir kalt den Rücken herunter. Etwas paralysiert liefen meine Freundin und ich an den Polizeiwägen vorbei zum Auto. Soviel zu besinnlichen Weihnachten, dachte ich mir – und sehnte mich nach meinem Cocktail am Strand.

1 Antwort

  1. Hans Fritz sagt:

    Danke, schöner Text, besinnlich und doch aktuell.
    Als alter weißer Mann lese ich Ihre Texte sehr gerne und erinnere mich an meine Jugend.
    Obwhl:
    Die Leute sagen immer, die Zeiten werden schlimmer.
    Die Zeiten bleiben immer,
    die Leute werden schlimmer. (Ringelnatz)
    Aber zum Glück nicht alle.