Weihnachten 2021: 3G, 2G, kein G in Kirchen – doch wo ist der Glaube geblieben?

Von Sarah Victoria | Weihnachten, das bedeutet für mich Tannenduft, ganz viel Essen und ein Spaziergang durch die Nachbarschaft auf dem Heimweg aus der Kirche. Viele Jahre saß ich mit meiner Familie erst im Familiengottesdienst, später in der Christmette unserer kleinen evangelischen Gemeinde. Dieser Besuch war mit meinen Eltern nicht verhandelbar, wobei ich sowieso nicht auf die Idee gekommen wäre, stattdessen zu Hause zu bleiben. Zum einen fand ich es schön, an Weihnachten ein bisschen religiösen Kontext herzustellen, sich zu besinnen und vielleicht bekannte Gesichter zu treffen. Außerdem war ich einige Jahre Mitglied der Jugendarbeit und damit an der Gestaltung des Familiengottesdienstes beteiligt. Und das heißt an Weihnachten natürlich nichts anderes als Teil des Krippenspiels zu sein.

Zwecks Personalmangel wurde das schauspielerische Resümee schnell gefüllt, vom Hirten über die heiligen drei Könige (damals schon geschlechtsneutral interpretiert), von klassischer und moderner Inszenierung, mit und ohne Gesangseinlagen, war alles dabei. Irgendwann fand diese Karriere ihr Ende, aber die Tradition des Kirchenbesuchs blieb. Die kleine evangelische Kirche platzte dabei immer aus allen Nähten, es wurden bis zuletzt so viele Stühle wie möglich rein getragen, dazu aufgerufen, sich noch etwas enger an den hustenden Sitznachbarn zu kuscheln und wenn wirklich alles voll war, wurden die letzten Besucher noch mit auf die Orgelbank gequetscht. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, an diesem Tag Stühle abzuzählen, Leute vor der Tür stehen zu lassen oder gar Teilnehmerlisten zu führen. Gerade letztere werden in einer bayerischen Kleinstadt sowieso mündlich geführt.

Diese Zeiten erscheinen gerade so fremd, obwohl sie erst ein paar Jahre zurückliegen. Der Weihnachtsgottesdienst wird auch dieses Jahr wieder stattfinden. Doch dieses Jahr muss man, so wie letztes Jahr, erst bei der Gemeinde anrufen, um einen Platz zu reservieren. Es gibt kein Krippenspiel, keinen Kinderchor, kein gemeinsames Singen. Dafür Maske, Abstand und einen Spender Desinfektionsmittel am Eingang. Das schon fast obligatorische Duo für einen Gottesdienst, der mit Reizhusten geplagte ältere Herr und das unglückliche Neugeborene, werden dieses Jahr vermutlich nicht anwesend sein. Zu groß das Risiko, sich mit einem Virus anzustecken, oder gar in den Verdacht zu geraten, nicht gesund, also unsolidarisch, zu sein. Und unsolidarisches Verhalten wird weder von der evangelischen, noch von der katholischen Kirche toleriert.

Das Problem ist nur, dass jeder den Begriff Solidarität anders interpretiert. Die einen lassen sich aus Solidarität impfen, die anderen aus Solidarität testen und manche sogar beides. Als Glaubensgemeinschaft verbunden durch den gemeinsamen Glauben, geteilte Werte oder wenigstens die goldene Regel – dachte ich immer. Doch dann folgten bereits Einschnitte ins Gemeindeleben. Immer mehr Kirchgemeinden entschieden sich, erst die 3G und mittlerweile die 2G-Regel in Pfarrheimen und Gemeindehäusern einzuführen. Teilweise, weil es die Infektionsschutzverordnung oder der „Ampelstand“ so vorsah, teilweise aber auch aus Überzeugung oder Bequemlichkeit. In unserer Stadt entschied sich etwa die katholische Kirche für die 2G-Regel in ihrem Pfarrheim.

Was zur Folge hat, dass Ehrenamtler, die bis vor kurzem noch Gottesdienste geplant, die Jugendarbeit gestaltet oder sich sozial engagiert haben, nicht mehr im Pfarrheim erwünscht sind, sollten sie nicht vollständig geimpft oder genesen sein. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis an der Kirchentür ein großes „2G“ hängt und verkündet, dass nur noch solidarische Gläubige das Gotteshaus betreten dürfen. Der Rest darf dann draußen beten, während innen von genau dem Kind erzählt wird, das in einem Stall geboren wurde, weil die Eltern von allen Herbergen abgewiesen wurden. Soviel Ironie kann man sich kaum ausdenken.

Statt empört, oder zumindest lautstark besorgt, über die Einschränkung der Religionsfreiheit zu sein, freut sich die Amtskirche über die Selbstverständlichkeit, Gottesdienste ohne G-Regeln veranstalten zu dürfen. Und während die meisten Gemeinden dieses, von der Bundesregierung gnädigerweise erteilte, Privileg annehmen und auf eine Hygienekontrolle am Eingang verzichten, entscheiden sich andere Kirchenvorstände für die Einführung der 2G-Regel in ihren Gotteshäusern, manche mit dem Zugeständnis, dass sie über die Weihnachtsfeiertage immerhin einen Gottesdienst für Getestete anbieten.

Der Landesbischof der ELKB, Heinrich Bedford-Strohm, entschuldigt sich ausdrücklich für diese anmaßende Freiheit der Kirchen und betont, dass die Gottesdienste im Rahmen staatlicher Vorgaben mit Anmeldungen und Abstand stattfinden. „Im Lichte dieser bewährten Schutzmaßnahmen ist das Feiern dieser Gottesdienste auch zu verantworten“, heißt es in seiner Stellungnahme. Diese findet sich auf der Internetseite der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (ELKB), auf der das RKI und bayerische Gesundheitsministerium bald öfter zitiert werden als die Bibel. Seit ein paar Monaten unterstützt die evangelische Landeskirche auch die Impfkampagne der Bundesregierung mit dem Slogan „Corona-Impfung? Na klar!“, verteilt Buttons und lässt Kirchen zu Impfzentren werden. Die Kirche und der Staat verschmelzen gefühlt immer mehr zu einer Einheit, was gerade für die evangelische Kirche, die Luther sogar im Namen führt, bedenklich ist (Stichwort: Zwei-Reiche-Lehre).  

Die Kirche entfernt sich durch diese enge Verknüpfung mit der Politik Schritt für Schritt von ihrem Dasein als Wächter, greift in Sphären ein, die eigentlich dem Weltlichen überlassen sein sollten. Sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche, setzen bei ihrer Planung der Weihnachtsgottesdienste auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchengemeinden. Den Gemeinden ist es grundsätzlich erlaubt, Gottesdienste zu feiern, ob mit G-Regeln oder ohne ist ihnen allerdings freigestellt. Dieses Prinzip, das sich bei der evangelischen Kirche auch historisch bewährt hat, möchte ich gar nicht kritisieren. Kirchengemeinden sollten das Recht haben, Entscheidungen über ihre Gottesdienste zu treffen. Mich stört eher die Beeinflussung dieser Entscheidungen durch politische Narrative, die im Gegensatz zu theologischen Inhalten stehen. Denn solche Narrative sollten, gerade von einer evangelischen Amtskirche, immer hinterfragt werden. Und ich habe den Eindruck, dass der gesellschaftliche, von Angst geprägte Grundtenor immer mehr in die theologische Arbeit übergreift.

Dabei sollten doch gerade Kirchen Orte der Begegnung sein, ihre Vorstände Verteidiger eines religiösen Menschenbildes, das sich gegen den materialistischen Zeitgeist wendet, das Spaltungen kritisiert und alles daran setzt, Brücken zwischen Menschen zu schaffen. Und welche Geschichte eignet sich mehr für die Übermittlung dieser Botschaft als die Weihnachtsgeschichte?  Ich weiß ja nicht, was sich Matthäus und Lukas beim Verfassen der Weihnachtsgeschichte gedacht haben, aus meiner Zeit als Krippenspiel-Darstellerin ist mir aber vor allem eine Botschaft hängen geblieben, die genau drei Wörter enthält und brandaktuell ist: Fürchtet euch nicht! Ob geimpft, genesen, getestet, für Kirchen sollte eigentlich nur ein G zählen – und das ist der Glaube.

1 Antwort

  1. Helmut sagt:

    Den Glauben beibehalten aber den Kirchen adieu sagen, das ist meine Erkenntnis. Bedford-Strohm hat mit seinen Aeusserungen in den letzten Jahren feste mitgeholfen meinen Glauben an die Kirche zu verlieren.