Wahl-Reform der Ampel: Ein Angriff auf den Wählerwillen
Von Sebastian Thormann | Schon seit Jahren ist die Rede davon, dass unser Wahlrecht nicht richtig funktioniert – ein aufgeblasener Bundestag macht Deutschland zur Demokratie mit dem größten Parlament. Selbst das EU-Parlament ist kleiner. Auf der ganzen Welt gibt es nur ein Parlament, das größer ist: Der Nationale Volkskongress im diktatorischen China.
Und das nimmt die Ampel jetzt als Anlass für einen Angriff auf den Wählerwillen. Wenn es nach der Ampel geht, sollen Wahlkreisgewinner am Ende nicht in den Bundestag einziehen, wenn ihre Partei schon vermeintlich „genug“ Wahlkreise proportional zum Zweitstimmenergebnis gewonnen hat.
Direkt gewählte Abgeordnete, sie hat man zum Ursprung des Übels eines Mega-Bundestags ausgemacht hat. Sie hätten ihre Sitze nicht „verdient“, weil ihre Partei proportional gar nicht so viele Zweitstimmen gewonnen hätte. Bisher ließ man sie aber noch unangetastet und nutze die extra „Ausgleichsmandate“, um die gewünschte Proportionalität nach Zweitstimmen zu bekommen. Es gäbe verschiedene Wege dem Auswuchs eines Riesen-Parlaments zu begegnen, ein Grabenwahlrecht, in dem Erst- und Zweitstimme schlicht sauber voneinander getrennt werden wäre z.B. eine Lösung. Oder man reduziert die von Anfang an vorgesehene Gesamtzahl der Abgeordneten, immerhin an sich schon bei knapp 600. Die Ampel nimmt jetzt aber den Vorschlaghammer und attackiert stattdessen die direkt gewählten Abgeordneten. Damit wird die Erststimme de facto wertlos und unsere Republik wird vollends zum Parteienstaat.
Denn dass die Ampel mit direkt gewählten Abgeordneten nichts anfangen kann, liegt auch daran, dass sie das ganze Parlament, die ganze Wahl und die gesamte Politik ausschließlich streng nach Parteilinien betrachten kann. Nur durch das Perspektive von Parteien, nicht von Abgeordneten, die „nur ihrem Gewissen“ verpflichtet sind. Direkte Abgeordnete, die sind doch nichts anderes als Nummern im Parteienapparat – so sieht es die Koalition. Dass diese Abgeordneten aber ein von der Partei unabhängiges, eigenes Mandat haben, das ignoriert man völlig. In nicht wenigen Wahlkreisen kann man klare Unterschiede zwischen Erst- und Zweitstimmenergebnissen sehen – die Wähler vor Ort machen dort ganz bewusst Personen nicht Parteien zu ihren Volksvertretern. Wer soll denn der Parteilinie widersprechen, wenn nicht solche Abgeordneten, die sich auf eine eigene Legitimation außerhalb von Parteitagen berufen können?
Zugegeben, zu viele auch der Direktabgeordneten lassen sich heute schon von der eigenen Partei treiben und folgen lieber der Linie aus Berlin. Aber wenn man nun ihre Unabhängigkeit völlig eliminiert, wie es die Ampel ganz offen vorhat, dann zerstört man auch jede Chance darauf, dass Abweichler und Rebellen innerhalb einer Partei, länger als eine Legislaturperiode im Parlament bleiben.
Und auch die jetzt schon viel beschworene fehlende Bürgernähe, wird damit kein bisschen kleiner. Nach dem ersten Ampel-Vorschlag zur Wahlrechtsreform hätte es etwa in Bayern (nach den Ergebnissen der letzten Wahl 2021) für jedem fünften Wahlkreis keinen direkten Vertreter in Berlin gegeben. Nach dem endgültigen Vorschlag der Ampel werden es wohl nicht so viele – aber dafür steht jetzt eine ganz andere Gefahr am Horizont: Dass es in einem ganzen Land keinen Direktabgeordneten mehr gibt. Denn jetzt soll auch die Grundmandatsklausel, nach der Parteien unter 5 Prozent bundesweit mit drei Direktabgeordneten trotzdem einziehen, fallen. Damit zielt die Regierung ganz offen auf Linke und CSU ab. Wenn die CSU nun bei der nächsten Wahl alle Wahlkreise in Bayern gewinnt, aber bundesweit unter die 5 Prozent rutscht – was nicht unwahrscheinlich ist, durch das rein bayernweite Antreten – dann stünden alle bayerischen Wahlkreise ohne Vertreter in Berlin da. Einfach so.
Und ein Problem damit hat bei der Ampel wohl niemand – im Gegenteil, ein mögliches Ende der CSU im Bundestag ist ganz offen erwünscht. Für Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist es „absurd“, dass die Regionalpartei nur in Bayern antritt. Sie habe es also quasi verdient rauszufliegen.
Man kann natürlich von der CSU und ihren Direktabgeordneten halten, was man will. Aber man müsste sich an der Stelle nur die Frage stellen, was passieren würde, wenn die Regierung in Polen oder Ungarn ähnliche Vorhaben durchdrückt.
Wahlkreisgewinner, die ihren Sitz nicht bekommen, zufällig vorwiegend von der Opposition, eine oppositionelle Volkspartei, die ausgelöscht wird – wie würde man so etwas nennen? Legalisierte Wahlmanipulation? Man braucht nicht viel Fantasie, um sich die schrillende Aufregung über ähnliche Vorhaben im Ausland vorzustellen. Und doch plant die Ampel genau das: Ein radikaler Wahlrechtsumbau, der die Opposition benachteiligt und im Parlament unabhängige Stimmen verschwinden lässt.