Tucker Carlsons unerwünschte Enthüllungen zum Sturm aufs Kapitol
Von Boris Cherny | Der 6. Januar 2021 wird den Amerikanern wohl auf ewig in Erinnerung bleiben. An dem Tag, an dem der US-Kongress die Abwahl Donald Trumps endgültig bestätigte, stürmten unzählige Unterstützer Trumps, in der Hoffnung, die Zertifizierung des Wahlergebnisses zu verhindern, das Kapitol. Die Bilder gingen um die Welt. Menschenmengen, die Türen und Fenster einschlugen. Verängstigte Abgeordnete, die Zuflucht vor dem Mob suchten. Der Sturm auf das Kapitol hatte mit dem berühmten „Qanon-Schamanen“ Jacob Chansley sogar ein Gesicht in den Medien. Doch nun eröffnet der konservative Moderator Tucker Carlson eine neue Perspektive auf diesen denkwürdigen Tag.
Carlson ist sicherlich keine Person frei von Kontroversen. Seit Jahren stellt er für viele Journalisten des Mainstreams den größten medialen Kontrahenten dar. Doch egal was man von Carlson hält, kann man die Enthüllungs-Arbeit von ihm und seinem Team hier nicht leugnen. Jahrelang waren über 40.000 Stunden Videoüberwachungsmaterial des 6. Januars unter Verschluss. Vermeintlich seriöse amerikanische Medien wie CNN, MSNBC, die New York Times oder die Washington Post machten keinerlei Anstalten, das Videomaterial von der Verwaltung des US-Kapitols einzufordern. Nicht einmal Mitglieder des Komitees des Repräsentantenhauses (das ominöse „January 6th Committee“), das sich mit der Aufklärung der Ereignisse des 6. Januars beschäftigen sollte, schauten sich die Überwachungsvideos an (nur einzelne Mitarbeiter schauten sich Teile des Materials an). Stattdessen beschäftigte sich das Komitee lieber damit, fast schon eine Hexenjagd auf den Ex-Präsidenten Donald Trump und seine Helfer zu veranstalten.
Jetzt erhielt Carlson vom neuen republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy Zugang zum Videomaterial. Dabei kam raus: Der berüchtigte „Qanon-Schamane“ beispielsweise wurde von mehreren Polizisten im Kapitol herumgeführt. Keiner der Polizisten griff ein. Chansley wurde schließlich zu fast 4 Jahren Haft verurteilt. Auch sonst präsentierte Carlson an vielen Stellen Videos von eingedrungenen Demonstranten, die friedlich durchs Kapitol liefen. Die Polizei des Kapitols meint, das ungestörte Passieren vieler Demonstranten im Kapitol sei eine Deeskalationstaktik der zahlenmäßig unterlegenen Einsatzkräfte gewesen. Zumindest für manche Situationen mutet das aber komisch an, denn teilweise waren die Polizisten, wie in Chansleys Fall, in den Gängen in deutlicher Überzahl.
Doch was fast schon interessanter als Carlsons neue Videos, ist die Reaktion sowohl der amerikanischen als auch der deutschen Presse und Politik. Das Weiße Haus verurteilte prompt die Veröffentlichung des Videos. Viele Medien des Establishments empörten sich über den Sprecher des Repräsentantenhauses McCarthy, da er es wagte, das Videomaterial an die Presse, insbesondere an Tucker Carlson herauszugeben. Gleichzeitig monierte man, Carlson würde den Sturm verharmlosen. In Deutschland titelte die Presse, von der SZ bis zur WELT, Tucker Carlson verharmlose den Mob oder Sturm des 6. Januars. Zugegebenermaßen hatte Carlson die Videos so dargestellt, als seien sie der klare Beweis dafür, dass die Mehrheit der Stürmer des Kapitols friedliche Touristen gewesen sind.
Aber trotz Carlsons Äußerungen, sind die neuen Videoaufnahmen wichtige Aspekte des 6. Januars und sollten nicht verharmlost werden. Die Polizei des Kapitols hat offensichtlich nicht alles getan, um schnellstmöglich die Ordnung wiederherzustellen. Die Verschwörungstheorien, die sich wohl für immer um das Vorgehen der Polizei ranken werden, sind nicht verwunderlich.
Von Carlsons Behauptungen kann man halten, was man will, doch die neuen Videos an sich völlig zu verwerfen, ist entlarvend. Ist es nicht wichtiger, dass zwei Jahre und ein Untersuchungskomitee später, äußerst wichtige Details über den so schicksalhaften 6. Januar erschienen sind?
Für zahlreiche Journalisten in Deutschland und den USA ist es offensichtlich lieber, über die Interpretation Carlsons als über sein Quellenmaterial zu berichten. Das ist bedauerlich, doch überraschen tut es niemanden mehr.