Taiwan – Ein Reisebericht
Von Sebastian Thormann | „Solange es noch geht“ – das war das vielleicht etwas düstere Motto, warum es für mich vor ein paar Wochen nach Taiwan ging. Klar, eine chinesische Invasion erwarten die meisten, wenn erst in ein paar Jahren. Aber nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde wohl einmal mehr jedem bewusst, wie schnell ein Land zum Kriegsgebiet werden kann. Chinesische Militärübungen rund um Taiwan, inklusive von Schüssen weit in die Hoheitswässer Taiwans, haben das Mitte 2022 auch für die kleine Insel vor Chinas Küste verdeutlicht. Aber Taiwan hatte mein Interesse schon länger geweckt, nun war nur der Punkt gekommen, an dem ich gesagt habe: Lieber früher als zu spät dorthin.
Nach 17 Stunden in Taiwan gelandet, war Taipei der erst Stopp. Die Hauptstadt der Insel, hat mehr als 2,6 Millionen Einwohner und gab mit ihren vielen Hochhäusern einen Vorgeschmack auf das, was auch in vielen anderen Teilen der Insel gilt: Gebaut wird im bevölkerungsdichten Taiwan gerne hoch, wie in den US-Großstädten und ganz anders als in vielen europäischen Städten. Ziel Nr. 1 war es dann, unter strömenden Regen, einen der alten Tempel zu besuchen, die inmitten von Wohnhochhäusern wie kleine Inseln der Vergangenheit immer wieder auftauchen – auch wenn bei weitem nicht alle so alt sind, wie sie im Vergleich mit den modernen Gebäuden aussehen.

Mengjia Longshan-Tempel
Danach ging es weiter Richtung Innenstadt, zur Nationalen Sun Yat-Sen Gedenkhalle. In der Halle, gebaut in der Nachkriegszeit in klassischem, altem chinesischem Stil, thront überlebensgroß Präsident Sun, der erste Präsident und Staatsgründer der Republik China. Hier wird einmal mehr deutlich wie sehr die Geschichte von dem chinesischen Festland und Taiwans verwoben sind. Denn Taiwan, das ist schließlich offiziell die „Republik China“. Gegründet 1911, war sie einst der Staat, der über China herrschte, bzw. über weite Teile davon in den Zeiten der Bürgerkriege, die China in den 1920ern und 30ern plagte.

Nationale Sun Yat-Sen Gedenkhalle
Angeführt wurde die Republik China damals von der Kuomintang (Nationalistische Partei Chinas), dessen Mitbegründer Sun war. Überall hingen dementsprechend in der Sun Yat-Sen Gedenkhalle seine „Drei Prinzipien des Volkes“ als politische Leitlinien der Republik China aus: Nationalismus, Demokratie und Wohlfahrt des Volkes. In Deutschland wohl undenkbar.
Während dieser Zeit herrschte Japan über Taiwan, das es noch vorher zu Zeiten des chinesischen Kaiserreiches besetzt hatte und erst 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an die Republik China zurückgeben musste – just zu dem Zeitpunkt als der Kuomintang den Bürgerkrieg in Festland-China gegen die Kommunisten verloren hatte. Damals wurde in Peking die „Volksrepublik China“ gegründet, die heute die alleinige Vertretung des Landes beansprucht, während sich die Nationalisten unter Führung von Chiang Kai-shek auf das zuvor befreite Taiwan zurückzogen.


Rechts: Nationale Konzerthalle bei Nacht
Und er war auch schon unser nächstes Ziel: Die Nationale Chiang Kai-Shek Gedenkhalle, sie ist mit Abstand noch monumentaler als die zu Ehren Suns und eine der großen Sehenswürdigkeiten Taipeis. Wenn man am Platz der Freiheit ankommt, an dessen Ende die Chiang Kai-Shek-Halle bietet sich einem ein imposantes Bild: Vorne das riesige Tor, der Platz flankiert von der Nationalen Theaterhalle und der Nationalen Konzerthalle flankiert, beide ebenfalls in altem Stil gebaut, und über all dem thront oben auf einem Hügel die Chiang Kai-Shek-Halle mit einer riesigen Statue des Präsidenten. In der Anmutung erinnert es ein kleines bisschen an das Lincoln Memorial, wenn auch Chiang wegen seiner autoritären Herrschaft heute deutlich umstrittener ist.


Aber das wohl bekannteste Gebäude in Taipei bleibt der Wolkenkratzer Taipei 101, von 2004 bis 2009 das höchste Gebäude der Welt mit einer Höhe von mehr als 500 Metern. Bis auf knapp 450 Meter kommt man als Besucher innerhalb von Sekunden hoch. Ein nächtlicher Blick auf die Metropole Taipei durfte also auch nicht fehlen.

Guangzhou Nachtmarkt
Abendprogramm war dann auch der Besuch einer der legendären Nachtmärkte, wo man so ziemlich jedes Tier was in Taiwan rumläuft oder um die Insel herumschwimmt frittiert finden konnte. Nachdem in Taiwan viel in traditionellem Chinesisch angeworben wird und viele Taiwaner zwar sehr gutes Englisch, viele Ältere aber auch gar keins sprechen, habe ich hier Überraschungen, was die Tierart angeht, vermieden und lieber Dumplings gewählt.


Aber Stadt war schließlich nicht das Einzige, was ich in Taiwan sehen wollte. Daher ging es die nächsten Tage nach draußen: Als erstes in das Bergdorf Jiufen, wo man im alten Stadtkern traditionellen Tee probieren und außerdem einen Blick auf die pazifische Ostküste Taiwans werfen konnte.
Danach war die Hafenstadt Tamsui dran, die an der Westküste Taiwans ebenfalls in der Nähe Taipeis liegt. Mit dem Fort San Domingo gab es dort ein prominentes Stück europäische Architektur. Ursprünglich von den Spaniern gebaut, diente es zuletzt lange Zeit als britisches Konsulat, bis die es nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Republik China (aufgrund der Ein-China-Politik des kommunistischen Festlands) aufgaben.


Weiter zum Strand: Dort versuchte vor mehr als 100 Jahren schonmal jemand die Insel einzunehmen. Damals waren es die Franzosen, die Ende des 19. Jahrhunderts Krieg gegen Qing-Dynastie führten und an der Spitze Tamsuis landeten. Aber an der Invasion Taiwans bissen sie sich die Zähne aus. Tamsuis Verteidiger verhinderten einen Vormarsch nach Taipei und so war die Landung gescheitert.
Taipei und Umgebung waren aber nicht der einzige Stopp meiner Taiwan-Reise. Von da aus ging es noch einmal nach Süden, nach Taichung. Die zweitgrößte Stadt Taiwans liegt an der Westküste, in etwa auf halber Höhe zwischen Nord und Südspitze. Neben Stadtbesichtigung war hier vor allem eins angesagt: Natur. Denn von Taichung kommt man recht gut an den Sonne-Mond-See, einen Bergsee, der definitiv eines der ländlichen Highlights Taiwans ist.



Nach gut zwei Stunden Busfahrt angekommen, ging es dort per Boot gleich zu mehreren Sehenswürdigkeiten: Den buddhistischen Xuan-Zang-Tempel, die Cien-Pagode, die einem einen sehenswerten Blick über den Seen bietet, und die Seilbahn in Ita Thao, die einen im späten Dezember mit Weihnachtsmusik vom „I Wish You A Merry Christmas“ bis hin zu „Feliz Navidad“ begrüßte – eine skurrile Szene gerade bei Sonnenschein und umgeben von kaum jemanden, der Englisch sprach. Weihnachtstimmungen war trotzdem vielerorts weit verbreitet – seien es Hotelangestellte mit aufgesetzten Rentierhörnern oder Weihnachtsgetränke auch fernab von jeder Touristenmeile.


Am letzten Tag ging es dann nochmal so richtig raus in die Natur: Im Naturpark Xitou konnte man urwaldähnliche Landschaft bewundern. Beim Mittagessen auf der Bank musste man nur aufpassen, dass man dabei nicht von dreisten Affen bestohlen wurde, die keinen Versuch ausließen sich etwas von den Tischen der Touristen zu holen.
Für mich war Taiwan damit nach allem vor allem eins: Eine Reise wert. Man kann den Taiwanern nur wünschen, dass ihnen ihre Freiheit und Unabhängigkeit im „Herzen Asiens“ – wie sich das Land anpreist – auch in Zukunft erhalten bleiben. Denn Taiwan zeigt auch: Ein anderes China ist möglich, ein Land in Freiheit und Wohlstand, ohne Diktatur, ohne Kommunismus, und ohne imperiale Bestrebungen.
Dieser Thormann ist ein großartiger Auslands-Korrespondent, man müsste ihn mal nach Israel senden!