Sunak vs Truss – Wer wird Großbritanniens neuer Premierminister?

Von Jonas Kürsch | In Großbritannien dreht sich dieser Tage alles nur um die eine Frage: wer wird Boris Johnson als konservativer Parteivorsitzender beerben und damit im kommenden September zum nächsten Premierminister des Vereinigten Königreichs gewählt werden? Während meiner Englandreise war ich mit dieser Frage tagtäglich konfrontiert, denn an jedem Zeitschriftenstand, auf jedem Fernsehsender und in jedem Pub schien das von vielen als „Entscheidungswahl“ bezeichnete Mitgliedervotum der Tories ein allgegenwärtiges Dauerthema zu sein. 

Rishi Sunak oder Liz Truss?

Schon seit Johnsons Rücktrittserklärung in diesem Juli stellten sich etliche Wettbewerber in mehreren Wahlgängen den 365 Parlamentsabgeordneten der konservativen Tories zur Wahl. Unter den Wettstreitern waren viele in Großbritannien bekannte und gleichermaßen umstrittene Persönlichkeiten, darunter die amtierende Handelsministerin Penny Mordaunt sowie die jetzige Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch. Auffallend war dabei vor allem das dezidiert konservative Auftreten aller aussichtsreicheren Kandidaten. Fast alle Teilnehmer bekannten sich als Unterstützer des Brexit und erklärten die von Boris Johnson verfolgten Abschiebungen illegaler Flüchtlinge nach Ruanda weiterhin als gesetztes Ziel der eigenen politischen Leitlinie. Anders als in der deutschen CDU, wo zuletzt mit gesichts- und (weitestgehend) positionslosen Berufspolitikern wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und selbstverständlich auch Angela Merkel als Parteivorsitzenden das eigene Parteiprofil über viele Jahre hinweg bis zur Unkenntlichkeit verwässert wurde, scheint man hierzulande tatsächlich noch mit konservativen Grundwerten das politische Programm der Conservatives bewahren zu wollen.

Aus diesen Vorwahlen gingen letztlich der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak und die amtierende Außenministerin Liz Truss als finale Kandidaten hervor, die sich nun in einer parteiinternen Abstimmung der Basis stellen müssen. Sunaks Name war zuletzt auch in den deutschen Medien mehrfach zu lesen, weil er mit einigen anderen Kabinettsmitgliedern aus Protest gegen Johnsons Führungsstil wirkungsstark zurückgetreten war. Bei den Konservativen verhalf ihm das nicht unbedingt zu größerer Beliebtheit – im Gegenteil, die Basis macht Sunak jetzt den Vorwurf, er habe sich im Rahmen eines perfiden Putschversuchs gegen den noch amtierenden Premierminister verschworen. Zudem hatte Sunaks Ansehen unter einer ganzen Reihe von Skandalen und Fehlleistungen während der Pandemie gelitten. Besonders die in seiner Amtszeit stark gestiegenen Wohn- und Lebenskosten sowie seine zögerliche Reaktion darauf, machten ihn bei der Bevölkerung immer unbeliebter. Die erst vor kurzem aufgedeckten Finanzskandale seiner Familie verhalfen ihm auch nicht gerade zu besseren Umfragewerten.

Truss hingegen wird für ihre Loyalität von der Parteibasis respektiert. Sie hatte sich nicht an dem Umsturzversuch gegen Johnson beteiligt und war dem Premierminister bis zu dessen Rücktrittserklärung eine enge Verbündete geblieben. Auch ihr bodenständiges Auftreten verhalf ihr im Vergleich zu größerer Sympathie an der Basis: während sie mit Supermarktohrringen für etwa 4 Pfund die jüngste TV-Debatte bestritt, zeigte Sunak sich vor den Kameras mit einem hochwertigen Designer-Anzug, der mehrere tausend Pfund gekostet haben soll. 

Welche Themen liegen den Briten am Herzen?

Vor allem Wirtschafts- und Finanzthemen spielen bei der Wahl des neuen Parteivorsitzenden eine große Rolle. Die steigende Inflation ist auch in Großbritannien zu einem ernsten Problem für viele Familien und Mittelstandsverdiener geworden. Das Ziel der beiden Kandidaten ist nahezu identisch: man will die Inflation bekämpfen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Nur in der Herangehensweise zeigen sich große Unterschiede: Sunak wollte zunächst große Steuersenkungen vermeiden, da er sie nicht als nachhaltig empfand und befürchtete, man würde die Kosten der Pandemie somit nur auf den Folgegenerationen ablegen. Truss hingegen warb von Anfang an mit massiven Steuersenkungen für ihre Kampagne. Sie wolle verhindern, das Großbritannien steuerpolitisch zu einem zweiten Frankreich werde und sich stattdessen mit niedrigen Abgaben darum bemühen, das Vereinigte Königreich wieder zu einem attraktiven Sitz für große Firmen zu machen.

Truss fügte hinzu, dass sie im Falle ihres Wahlsieges die Kriminalitätsrate innerhalb von 2 Jahren um 20% reduzieren könne. Sie fordert, dass die Polizei sich wieder auf echte Gewaltverbrechen und nicht auf „Hass und Hetze im Netz“ fokussieren solle. In diesem Zusammenhang bekräftigte sie auch ihre starke Ablehnung gegenüber der politisch korrekten Ideologie des zeitgenössischen Wokeismus und kündigte an, eine Reihe von Gesetzen zur Zensur im Internet wieder abschaffen sowie die sozialen Medien stärker deregulieren zu wollen. 

Mit einem freiheitlichen und wirtschaftsliberalen Kurs will Truss das Königreich wieder zu einer Weltwirtschaftsmacht aufbauen. Dieser Kurs scheint bei der Parteibasis gut anzukommen, weshalb Truss momentan in den Umfragen mit mehr als 30 Prozentpunkten vor ihrem Konkurrenten liegt. Dieser versuchte daher sein Programm abzuändern, erklärte in einem weiteren Fernsehduell, dass Steuersenkungen unter Umständen doch nicht so schädlich seien, wie zuerst angenommen. 

Noch ist das Rennen offen

Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung werden erst am 5. September bekanntgegeben und bis dahin bleibt der Wahlausgang ungewiss. Jüngst forderte eine Reihe von Tories im Rahmen einer Petition sogar, man solle Boris Johnsons Namen ebenfalls auf den Wahlzettel schreiben, da eine beträchtliche Anzahl von Konservativen ihn gerne als Premierminister behalten würde und seinen Rücktritt ablehne. Der Daily Express berichtete ebenfalls, dass Johnson laut Insidern am liebsten selbst zur nächsten Parlamentswahl in drei Jahren als Premierminister antreten würde. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass dem Premierminister ein erfolgreiches Comeback gelingen wird. 

Eines ist jedoch sicher: egal wie die Wahl ausgehen wird, die Politik von Boris Johnson wird noch lange einen großen Einfluss auf das Vereinigte Königreich ausüben.