Sprengt Polen die EU-Kommission?

Von Jonas Kürsch | Die europäische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) könnte unter Umständen im Rahmen einer internen Revolte als de facto Regierungschefin der Europäischen Union entmachtet werden. Ihre vermehrte Kritik an den angeblichen Brüchen des Europarechts durch die polnische PiS-Regierung und die Ankündigung, man würde neben den üblichen Sanktionsmechanismen gegen Polen nun auch eine Nichtauszahlung der dem Land zustehenden Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaubonds als Strafoption betrachten, führten jüngst zu einem hochangespannten Verhältnis zwischen der Kommissionschefin und der polnischen Regierung.
Nun hat der Vorsitzende der polnischen PiS-Partei angekündigt, man wolle gegen Von der Leyen „alle Geschütze auffahren“ und würde fortan sämtliche EU-Entscheidungen per Veto blockieren, sollte die Kommission ihren Zahlungsversprechen nicht nachkommen. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warnte im Rahmen dieses Konfliktes gar, man dürfe Europa nicht zur Basis eines „Vierten Deutschen Reiches“ werden lassen. Sollten die Polen diesen radikalen Schritt umsetzen und den EU-Rat langfristig beschlussunfähig machen, so könnte diese Vertrauenskrise das politische Karriereende der Präsidentin Von der Leyen bedeuten.
Wenn Polen sich verweigert, sind neue EU-Reformen kaum zu erreichen
Im EU-Rat (also jener europäischen Institution, in der die europäischen Staatschefsgemeinsam die politische Leitlinie der Union vorgeben) herrscht grundsätzlich ein Wahlmodus der Einstimmigkeit. Alle Staatschefs müssen einem Reformpaket oder einem vom europäischen Parlament beschlossenen Gesetzesentwurf zustimmen, um diesen zu ratifizieren. Auch im Ministerrat ist – je nach Politikfeld – häufig eine Konsensentscheidung notwendig. Polens Ankündigungen sollten von der Kommission daher durchaus ernst genommen werden: würden die polnischen Vertreter diesen Plan umsetzen, so ließen sich die von Von der Leyen erwünschten Umstrukturierungspläne der europäischen Gemeinschaft auf lange Zeit nicht verwirklichen. Die Kommission wäre somit in ihrem Kern entmachtet.
Einer der Hauptvorwürfe gegen Polen lautet, das Land würde sich nicht an die Überlegenheit des europäischen Rechts halten und die nationale Verfassung über das Europarecht stellen. Besonders ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts aus dem letzten Jahr, dem zufolge die souveräne Staatsverfassung nicht mit dem EU-Recht vereinbart werden könne, sorgte für große Unruhe in der zunehmend zentralistisch ausgerichteten EU. Dabei wurden in der europäischen Geschichte weder ein gemeinschaftlicher Vertrag noch eine europäische Strukturreform umgesetzt, die wortwörtlich das Europarecht über nationales Recht stellen. Im Gegenteil, der EU-Gründungsvertrag von Amsterdam sichert den einzelnen Mitgliedsstaaten im zweiten Paragraphen des vierten Artikels sogar zu, dass die Union die „grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen“ der einzelnen Nationen achten müsse. Es war letztlich eine undemokratische und in vielerlei Hinsicht willkürliche Aneinanderreihung von Gerichtsbeschlüssen des Europäischen Gerichtshofes, durch die man das Europarecht außerhalb des vertraglichen Regelwerks über die nationale Rechtssprechung gestellt hat.
Daher sind sich auch Rechtsexperten keineswegs so einig, wie es die Vertreter der EU gerne sehen würde, was den vermeintlichen „Rechtsbruch“ durch das polnische Gericht angeht. Vielmehr stellt sich – angesichts der voranschreitenden Entmachtung nationaler Entscheidungsträger durch die EU – vermehrt die Frage, ob es nicht eher die Union gewesen ist, die das eigene Recht im Rahmen unzähliger Kompetenzüberschreitungen in
den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach gebrochen hat.
Von der Leyen ist angezählt – und das ist auch gut so!
Polen ist nicht das einzige Land, dessen Regierung mit der Arbeit von Ursula von der Leyen unzufrieden ist. Auch die ungarische Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident Orban, dem die Präsidentin in der Vergangenheit „rassistische Diskriminierung“ und damit einen Bruch des Europarechts vorgeworfen hat. Politikexperten vermuten daher, dass Orban die PiS-Regierung vermutlich unterstützen würde, sollte diese einen institutionellen
Putschversuch gegen Von der Leyen unternehmen. Das politische Ende der Ursula von der Leyen käme nicht unverdient. Unter ihrer Präsidentschaft wurde die Europäische Union im Rahmen von Corona-Wiederaufbaufonds, einer fast schon zentralistisch gesteuerten EU-Impfpolitik und der
Entwicklung radikaler Strukturreformen immer stärker zu einer supranationalen und antiföderalen Machtinstitution aufgebaut. Die vertragsrechtlich garantierte Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten wurde im Rahmen dieser paneuropäischen Agenda immer radikaler eingeschränkt. Hinzu kommen die ominösen Umstände ihrer einstigen Ernennung zur Kommissionschefin. Man sollte es immer wieder erwähnen: Frau Von der Leyen wurde nicht vom europäischen Volk gewählt. Sie wurde von Altbundeskanzlerin
Merkel im Rahmen eines der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannten Deals mit den anderen Staatschefs der EU in diese Position fast schon hinein gezwängt. Vermutlich gab man ihr das Amt damals auch, um sie vor den Konsequenzen ihrer brenzligen Berateraffäre im Verteidigungsministerium zu beschützen.
Vor allem aber gäbe Von der Leyens Rückzug aus der Politik den Europäern die Chance, nach dem Chaos der drei vorangegangenen Jahre endlich wieder an die Wahlurne zu treten, den illiberalen EU-Bürokraten einen Denkzettel zu verpassen und freiheitliche Selbstbestimmung zu wählen.