Sozialistische Verfassung in Chile gestoppt
Von Boris Cherny | Am Sonntag stimmte Chile über eine neue Verfassung ab und die Linke des Landes erlitt eine heftige Niederlage. Denn der Verfassungsvorschlag, unterstützt durch den sozialistischen Präsidenten Chiles Gabriel Boric, fuhr eine desaströse Wahlniederlage ein. Die linksgerichtete Verfassung konnte zwar abgewendet werden, doch die Ergebnisse lassen die politischen Fragen des Landes offen.
Tausende Menschen auf den Straßen Santiagos feierten das Ergebnis. Sie wehten chilenische Fahnen und sangen die Nationalhymne. Knapp 62 Prozent der Wähler lehnten den Verfassungsentwurf ab. Die neue Verfassung sollte ein sozialistisches Experiment in Chile werden. Chilenische Linke priesen das Dokument als die progressivste Verfassung auf der ganzen Welt an. Sie hätte einen exzessiven Wohlfahrtsstaat verankerte und Klima- und Umweltschutz in den Mittelpunkt der Staatspolitik erhoben. Außerdem sollte sie Chile zu einem „plurinationalen Staat“ umerklären und damit auch den chilenischen Ureinwohnern Vorrechte im Hinblick auf bestimmte politische Posten und regionale Autonomie geben. Auch Frauen sollten, statt Gleichberechtigung mit Männern, Vorteile im politischen Prozess erhalten, wie z. B. durch Bevorzugung auf Wahllisten. Das Land sollte zu einer „paritätischen“ Republik werden.
Chile ist ein polarisiertes Land. Das liberale Wirtschaftssystem, kreiert von Pinochet in den 80er Jahren, steht unter massiver Kritik vonseiten linker Parteien. Die Rechte der chilenischen Ureinwohner auf Autonomie werden kontrovers diskutiert und das Misstrauen gegenüber politischen Parteien und dem Establishment ist auf Rekordniveau. Die aktuelle Verfassung Chiles stammt noch aus der Zeit der autoritären Pinochet Regierung. Viele sehen sie als nicht mehr zeitgemäß an und halten das dort etablierte politische System für veraltet.
2019 brach eine Protestwelle gegen den damaligen Präsidenten Sebastián Piñera von der liberal-konservativen „Vamos Chile“ Partei aus. Die Proteste wurden, oft ausufernd in gewaltsamen Ausschreitungen, durch Sozialisten und Links-Anarchisten angeführt. Zu ihren Hauptforderungen gehörte neben einer linken Reform der Wirtschaft auch eine neue Verfassung. Im Rahmen der Proteste wurde am 25. Oktober 2022 auch die größte Demonstration in der Geschichte Chiles, mit über 3 Millionen Teilnehmern landesweit, veranstaltet. Als Reaktion auf die Proteste gab die Regierung am Tag darauf nach und setzte ein Referendum über die aktuelle Verfassung an. Die Ergebnisse des genau ein Jahr später stattfindenden Plebiszits waren ein Erfolg für die Sozialisten. 80 Prozent der Wähler waren für eine neue Verfassung. Auch die darauffolgenden Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung brachten eine sozialistische zwei Drittel Mehrheit hervor. Die Wahlen lagen im allgemeinen südamerikanischen Trend der letzten Jahre, sozialistische Politiker zu wählen, wie vor kurzem in Peru oder Kolumbien.
Die linke Tendenz in Chile wurde letztendlich durch die Wahl Gabriel Borics, der sich selbst als „linker als die Kommunistische Partei“ bezeichnet hat, bestätigt. Doch mit der Zeit wurde es für die chilenische Bevölkerung offensichtlich: Statt einem pragmatischen Wechsel, bekamen sie mit der sozialistischen Regierung und verfassungsgebenden Versammlung ideologisierte Kulturreformen. Nachdem anfangs die vorgeschlagene Verfassung hohe Popularität in Meinungsumfragen besessen hatte, hatte sie diese bereits bei der Veröffentlichung der ersten kompletten Fassung im Mai 2022 bereits wieder eingebüßt. Die Niederlage der Sozialisten am Sonntag, in der Deutlichkeit zwar unvorhergesehen, war letztendlich erwartet worden.
Mit dem Wahlergebnis ist Chile vor einer sozialistischen Verfassung verschont geblieben. Die Pinochet-Verfassung bleibt vorerst in Kraft, auch wenn Präsident Boric und andere Politiker zu einer Neuwahl der verfassunggebenden Versammlung aufgerufen haben. Ein zweiter Verfassungsentwurf wird Chiles Konflikte angemessen adressieren müssen, aber eben pragmatisch und nicht in Form einer linken Wunschliste.
Interessanter Artikel.
Aber es wird wohl der 25. Oktober 2021 gewesen sein… 😉