„Sondervermögen“, „Flüchtling“, „Zigeuner“: Die modernen Auswüchse der Sprachkontrolle
von Jonas Aston | Die modernen Kommunikationsmittel, zunächst das Radio, später das Fernsehen und jetzt das Internet, haben die Macht der Sprache und der Worte verstärkt. Anliegen können nun von Musik und sogar von bewegten Bildern begleitet werden. Gerade in letzteren liegt eine magische Kraft, die den Sinus geradezu betäuben und das sachliche Urteilsvermögen mindern kann. Den Unterschied zwischen gedruckten und bewegten Bildern hat schon Goethe in der „Zahmen Xenia“ wunderbar auf den Punkt gebracht.
„Man kann viel dummes Zeug reden,
Kann es auch schreiben,
Wird weder Leib noch Seele töten,
Alles wird gleich bleiben.
Doch dumme Dinge vor das Auge gestellt,
Hat ein Zauberrecht;
Denn es hält die Sinne gebunden,
Bleibt der Geist ein Diener.“
Eine Untersuchung des deutschen Wahlkampfes zur Bundestagswahl 1976 von Mathias Kepplinger ergab, dass die Oppositionsparteien durchweg schlechter dargestellt wurden als die Vertreter der Regierungsparteien. Die von den Medien gewählte Bildsprache, die gewählten Bilder und Sequenzen begünstigten diese, während die Oppositionspolitiker deutlich häufiger aus ungünstigen Blickwinkeln gefilmt wurden, was sie letztlich unsympathischer erscheinen ließ. Am Ende setzte sich Helmut Schmidt knapp gegen seinen Herausforderer Helmut Kohl durch und die sozial-liberale Koalition konnte fortgesetzt werden. Es ist klar, dass die Sprache mit dem Aufkommen der modernen Kommunikationsmittel mächtiger geworden ist als je zuvor.
Der Zweck der Sprache ist es, zu kommunizieren und Informationen zu vermitteln. Genau das wollen Politiker erschweren und behindern. Der deutsche Finanzminister bezeichnete kürzlich die Aufnahme von Schulden auf hohem Niveau als „Sondervermögen“. Doch trotz Lindners sprachlicher Verwandlungskünste bleibt der Kredit nichts anderes als eine Schuld. Die gesetzten Sprachgebote haben längst den gesamten politischen Alltag übernommen. Die Wahrnehmung der Realität soll damit verändert werden – möglicherweise glaubt man sogar, mit Sprachregelungen die Fakten verändern zu können.
So ist beispielsweise der Begriff „Zigeuner“ aus dem Sprachgebrauch getilgt worden. Das war die klassische Bezeichnung für ethnische Gruppen, die vor etwa 1000 Jahren Indien verlassen haben und seitdem in Europa leben. Der Begriff „Zigeuner“ wurde durch „Sinti und Roma“ ersetzt. Ein Begriff, der ungenau ist, da Sinti und Roma nur zwei der zahlreichen Zigeunerfamilien beschreiben. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Öffnung Osteuropas kam es zu einer verstärkten Zuwanderung dieser ethnischen Gruppen nach Mittel- und Westeuropa. Dies brachte auch zunehmende Probleme mit illegaler Prostitution, Diebstahl und Bettelei mit sich. Mit der Streichung des Wortes „Zigeuner“ hoffte man, das negative Image dieser Völker aus der Welt schaffen zu können. Doch die grundlegenden Probleme wurden nicht gelöst.
Nach einer kurzen Zeit der Verwirrung wurden die gleichen negativen Assoziationen, die einst mit Zigeunern verbunden waren, auch auf die Sinti und Roma übertragen. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass es nie Bestrebungen gab, die Juden anders zu nennen. Und das, obwohl sie die am meisten diskriminierte Gruppe des 20. Jahrhunderts waren. Dahinter verbirgt sich ein einfaches Prinzip. Jeder gruppenbezogene Begriff, der einen negativen Beigeschmack hat, wird aus dem Sprachgebrauch verbannt. Und in dem Moment, in dem der neue Begriff die gleichen Assoziationen hervorruft, wird auch er ausgerottet. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein neuer Begriff für „Sinti und Roma“ erfunden wird – die Probleme sind ja nicht verschwunden.
Ein weiteres Beispiel ist die Bezeichnung all jener, die 2015 nach Deutschland eingewandert sind, als „Flüchtlinge“. Angemessener wäre der Begriff „Wirtschaftsmigrant“ – schließlich ist bekannt, dass die meisten der Zuwanderer keinen Fluchtgrund im engeren Sinne hatten, sondern aus finanziellen Gründen auswanderten. Wir sollten uns nicht moralisch über diese Einwanderer erheben, denn die wirtschaftlichen Möglichkeiten hierzulande übertreffen die in ihrem Heimatland bei weitem. Aus Sicht der deutschen Interessen sollte diese Zuwanderung aber gestoppt werden. Natürlich kann man auch wollen, dass der deutsche Sozialstaat alle Einwanderer aus aller Welt unterstützt, aber dann sollte man es auch so nennen. Ansonsten werden Fakten suggeriert, die nicht den Tatsachen entsprechen.
Es führt doch am Ende dazu, dass die Begriffe anders konnotiert werden: Höre ich heute „Flüchtling“, denke ich jedenfalls schon nicht mehr an ein bepacktes vertriebenes Mütterchen, sondern an einen muslimischen jungen Mann ohne Ausweis, aber mit Handy….