Ruhrbesetzung 1923 – Die Weimarer Republik im Ausnahmezustand

Von Marius Marx | In diesem Jahr – 2023 – jähren sich eine Reihe von in der deutschen Geschichte herausragenden historischen Ereignissen: genau 70 Jahre sind seit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, 80 seit Goebbels´ Sportpalastrede nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad im Februar 1943 und 90 seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 vergangen. Heute allerdings schauen wir zurück auf ein Jahr, das in diesem ein besonderes Jubiläum feiert: Das Jahr 1923. Dessen hundertstes Jubiläum haben wir uns zum Anlass genommen, schlaglichtartig zwei der wichtigsten Ereignisse dieses Jahres im Rahmen unserer Apollo-History-Reihe zu beleuchten: Nachdem wir uns dabei zunächst der Hyperinflation gewidmet haben, soll heute eine Episode der deutschen Geschichte in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken, ohne die die anderen, vermutlich eindrücklicheren und bis heute im kollektiven Gedächtnis präsenten Ereignisses des Jahres 1923 wohl kaum vorstellbar gewesen wären. Die Rede ist von der mehrmonatigen Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen.
1923 – Schicksalsjahr der Deutschen
Die deutsche Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist wahrlich voll von Ereignissen, Phasen oder Jahren, die einst oder im Rückblick, gemeinhin als Schicksalsjahre, Umbrüche oder Revolutionen gelten: Denke man bspw. nur einmal an die Völkerschlacht bei Leipzig 1813, an die gescheiterte erste deutsche Revolution 1848, an die Reichsgründung infolge des Deutsch-Französischen-Krieges im Jahre 1871 oder natürlich an den Ersten Weltkrieg von 1914-18. Doch blickt man auf die Zeit der ersten Demokratie auf deutschem Boden, blickt man auf die Weimarer Republik, so könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass sich hier die Geschichte eines gesamten Jahrhunderts innerhalb weniger Jahre gleichsam verdichtet ereignet hat. Wenn denn eine Epoche die häufig nur allzu schnell verliehene Zuschreibung, sie sei eine „historische“, mit Fug und Recht verdient hat, dann ist es mit Gewissheit die zwischen dem Ersten der beiden Weltkriege und der Machtübernahme der Nationalsozialisten, diejenige zwischen Ausrufung und Abschaffung der Republik.
In diesen nur mehr 14 Jahren geraffter Geschichte jagte eine Staats- und Wirtschaftskrise – unterbrochen von Zeiten der relativen Stabilität – die nächste, folgte sogar der ersten Republikausrufung am 9. November 1918 gleich am selben Tag noch eine zweite, wurde regelmäßig auf Putsch- und Umsturzversuche reaktionärer Kreise mit Generalstreiks der Arbeiter geantwortet, wechselten sich Regierungen beinahe im Jahrestakt ab und standen Unruhen, Kundgebungen, Proteste, Streiks, Straßenkämpfe und nicht selten auch Politikermorde auf der politischen Tagesordnung. Innerhalb dieser im wahrsten Sinne des Wortes geschichtsträchtigen Epoche ragt nun wiederum ein Jahr heraus, das angesichts von Häufung, Ausmaß und Intensität multipler gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Krisen geradezu sinnbildlich wie kein zweites Jahr für die „gespaltene Republik“ steht. Die Rede ist vom Jahr 1923. 1923 war das Jahr der Zuspitzung, in dem ein Bürgerkrieg realistisch erschien und die Republik drohte, an ihren Extremen und ihrer prekären Wirtschaftslage zu zerbrechen. 1923 war das Jahr der Hyperinflation, in dem unzählige Deutsche Milliarden Mark und dennoch im Grunde nichts besaßen; es war das Jahr der Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen und das des Umsturzversuches eines gewissen österreichischen Weltkriegsgefreiten namens Adolf Hitler. Sage und schreibe drei Kanzler versuchten sich 1923 an Krisenmanagement und Staatsführung. Kurzum: 1923 kam es in der Weimarer Republik auf nahezu allen Ebenen zum Krisen-Showdown. Und trotz alledem war 1923 aber gleichzeitig auch das Jahr der Überwindung der Dauerkrisen, an dessen Ende das Land zumindest vorübergehend Stabilität und Frieden fand und die demokratischen Kräfte als vorläufige Sieger dastanden.
Vor dem Hintergrund des hundertjährigen Jubiläums sowie der durch das Zeitgeschehen bedingten hohen Aktualität – die Inflationsrate in der Bundesrepublik Deutschland befindet sich seit Juli 2021 auf absolutem Rekordniveau, auf Coronakrise folgt Energie- und Versorgungskrise – erfreut sich dieses außergewöhnliche Jahr der deutschen Geschichte gegenwärtig wieder eines breiteren sowohl geschichts- als auch populärwissenschaftlichen Interesses. So erschienen erst im vergangenen Jahr mit „1923: Ein deutsches Trauma“ des irischen Historikers Mark Jones sowie „Im Rausch des Aufruhrs. Deutschland 1923“ des deutschen Journalisten Christian Bommarius zwei Monografien, die sich aus verschiedenen Perspektiven explizit mit den Ereignissen des Jahres 1923 auseinandersetzen. Sowohl Forschung als auch Öffentlichkeit beschäftigen sich in jüngster Zeit also wieder verstärkt mit der Geschichte der Weimarer Republik und insbesondere der des Krisenjahres 1923. Und das ist auch wichtig. Denn wie schon vor 100 Jahren stehen wir auch heute wieder – international wie national – vor einer ganzen Reihe an nicht unerheblichen Krisen. Und obschon es entgegen der marxistischen Geschichtsphilosophie freilich keine historischen Gesetzmäßigkeiten gibt – die Zukunft ist kontingent -, läuft derjenige, der die Geschichte nicht kennt, Gefahr sie zu wiederholen.
Wie kam es zur französischen Invasion des Ruhrgebiets?
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erarbeiteten die aus ihm siegreich hervorgegangenen Entente-Mächte Frankreich, Großbritannien und die USA unter Ausschluss der Kriegsverlierer den Versailler Friedensvertrag. Trotz quasi-unannehmbarer Friedensbedingungen ratifizierte die junge Republik unter alliierter Androhung der Wiederaufnahme von Kriegshandlungen und der Besetzung deutscher Gebiete in Person des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger im Mai 1919 den Vertrag. Neben empfindlichen Gebietsabtretungen, der erheblichen Verkleinerung der deutschen Streitkräfte und der Festschreibung der alleinigen Kriegsschuld des Deutschen Reiches sah der Versailler Vertrag zudem vor, dass die Weimarer Republik horrende finanzielle und materille Reparationsleistungen, insbesondere an Frankreich, aufzubringen habe. Gerade diese Reparationsleistungen entwickelten sich in der Folgezeit zu einem regelrechten diplomatischen Zankapfel. Ende 1922 stellte die alliierte Reparationskommission dann einen geringfügigen Lieferrückstand deutscher Reparationen an Frankreich fest. Vorgeblich durch diese Tatsache veranlasst rückten am 11. Januar 1923 schließlich insgesamt drei französische und belgische Kolonnen mit einer geschätzten Truppenstärke von 70 bis 100 000 Mann von ihren Brückenköpfen um Düsseldorf und Duisburg aus, um in den folgenden Tagen das Rheinland sowie sämtliche Großstädte des Ruhrgebiets zu besetzen und dort den Ausnahmezustand zu verhängen.
„Einheitsfront“ der Empörung
Nicht nur die deutsche Bevölkerung in den besetzten wie in den unbesetzten Regionen, auch sämtliche Parteien reagierten mit einhelliger Empörung. Der Unmut über den französischen Einmarsch brach sich tags darauf deutschlandweit in unzähligen patriotischen bis nationalistischen Massenprotestkundgebungen Bahn. Zum Teil entwickelte sich aus dieser anfänglichen Empörung in der Folge eine regelrechte „Kultur des Hasses“, die sich neben dem französischen Staatspräsidenten Raymond Poincaré auch gegen französische Zivilisten und Studenten richtete und antifranzösische Ausschreitungen und Propaganda hervorbrachte.
An dieser Stelle sei mir zur Illustration der Stimmungslage im Januar 1923 ein kleiner lokalhistorischer Exkurs gestattet.
Am 17. Januar, also drei Tage nach Beginn der Ruhrbesetzung, hielt Göttingens Oberbürgermeister Dr. Georg Calsow im Rahmen einer Ratssitzung eine ergreifende Ansprache, die – so steht es handschriftlich im Ratsprotokoll vermerkt – von den anwesenden Kollegien „stehend angehört“ wurde. Darin verurteilte er die „erpresserischen Raubgelüste Frankreichs“, erklärte, dass auch „die Einwohnerschaft Göttingens (…) in mehrfachen Versammlungen ihrem Empfinden (…) gegenüber dem Deutschland angetanen, in der Geschichte der Kulturvölker noch nicht dagewesenen, Völkerrechtsbruch unserer Feinde“ Ausdruck gegeben habe und betonte schließlich, dass Deutschland „solchem Gebahren sadistischen Vernichtungswillens“, „solcher Vergewaltigung“ und „feindlicher Willkür“ mit „einem tiefempfundenen Bewusstsein unlösbarer Zusammengehörigkeit aller Teile des Reiches und aller Schichten der Volksgenossen“, mit „dem Empfinden des Einheitswillens aller, unter Zurückstellung alles Trennenden“ und mit „Opferwilligkeit“ beantworten werde, „bis dem deutschen Volke ein neuer Morgen aufgeht“. Im Anschluss an diese hochemotionale Rede verabschiedeten die städtischen Kollegien, eine Entschließung, in der sie der Reichsregierung die Göttinger Unterstützung gegen die „brutale Gewaltpolitik“ zusicherten. Im Wortlaut hieß es dort: „Die städtischen Kollegien Göttingens als Vertreter der gesamten Bürgerschaft erheben schärfsten Protest gegen den Einbruch der Franzosen ins Ruhrgebiet und geloben, die Reichsregierung in ihren Abwehrmaßnahmen gegen brutale Gewaltpolitik opferfreudig zu unterstützten.“ Dass diese Haltung nicht etwa die Ausnahme darstellte, sondern durchaus repräsentativen Anspruch hatte, bezeugt die eine Woche später eingegangene Antwort des Reichspräsidenten Friedrich Ebert: „Für die mir (…) übermittelte Kundgebung der städtischen Kollegien Göttingens sage ich freundlichen Dank. Das deutsche Volk wird in Einigkeit opferbereit und entschlossen auch den Stürmen dieser schweren Tage standhalten (…).“
Diesen Worten ließen Reichsregierung und -kanzler dann auch Taten folgen: die Arbeiterschaft in den besetzten Gebieten wurde aufgefordert, ihre Arbeit niederzulegen und, soweit möglich, jegliche Kooperation mit den Okkupanten zu vermeiden. Der „passive Widerstand“ gegen die Besatzungstruppen wurde zur offiziellen Staatsdoktrin.
Übergriffe der Besatzungstruppen: Essener Blutsamstag und Massenausweisungen
Im weiteren Verlauf des Jahres kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen der Besatzungsgruppen auf deutsche Zivilisten. Vielerorts kam es zu Krawallen und regelrechten Gewaltexzessen. Dokumentiert sind unter anderem Fälle tödlicher Gewaltakte und nichttödliche, wie brutales Verprügeln von Zivilisten mit Gewehrkolben und Peitschen, die häufig Frauen, Alte und Behinderte trafen: Zeitgenossen sprachen deshalb bisweilen von „Gewaltherrschaft“. Fester Bestandteil der Besatzungserfahrung von Frauen waren zudem auch die Angst vor Vergewaltigung und sexueller Gewalt. Insgesamt wurden 1923 mehr deutsche Mädchen und Frauen vergewaltigt, als französische Soldaten während der Besatzung ums Leben kamen. Nur etwa in einem Drittel der Vergewaltigungsfälle kam es zu Verurteilungen. Und selbst wenn es zu einer solchen kam, fielen die Strafmaße überwiegend mild aus. Die überwiegende Mehrheit kam mit ihren in Deutschland begangenen Straftaten davon.
Der wohl drakonischste Übergriff der Besatzer ereignete sich am 31. März in den Essener Krupp-Werken. Als ein Trupp französischer Soldaten Fahrzeuge beschlagnahmen sollte, kam es zum Konflikt. Erst hunderte, bald tausende Arbeiter versammelten sich und umstellten die entsprechende Werkhalle. Als alle Versuche die Pattsituation aufzulösen scheiterten, beschlossen die Franzosen kurzerhand, sich ihren Weg ins Freie gewaltsam zu bahnen. Der genaue Hergang der Ereignisse ist zwar ungewiss, aber beim Versuch die Halle zu verlassen und durch die aufgebrachte Menge zu kommen, eröffneten sie das Feuer auf die unbewaffneten Arbeiter. Insgesamt 13 Demonstranten kamen ums Leben; sieben von ihnen wurden von hinten – also vermutlich auf der Flucht – erschossen.
Beinahe harmlos erscheint demgegenüber das Vorgehen der Besatzer gegen Staatsbedienstete. Nach und nach wurden im Laufe des Jahres sämtliche Beamte mitsamt ihren Familien aus dem Ruhrgebiet vertrieben. Mehrere hunderttausend Menschen waren so 1923 gezwungen ihre Heimat zumindest vorübergehend zu verlassen. Zu dieser Gruppe der aktiv Ausgewiesenen gesellte sich im Jahresverlauf eine weitere besonders leidgeplagte Gruppe, die neben ihrer Heimat sogar ihre Familien verlassen musste: die sogenannten Ruhrkinder.
Im Ruhrgebiet, wo Lebensmittelimporte Teil des Ringens um die Herrschaft über das besetzte Gebiet und die Kontrolle der Versorgungsnetze zu einem wichtigen Schlachtfeld wurden, ähnelten die Zustände 1923 zeitweise denen einer veritablen Hungersnot. Um die Not der Ruhrkinder zu lindern wurden schließlich mehrere nationale wie internationale Hilfskampagnen ins Leben gerufen: die neu eingerichtete „Zentralstelle für Kinderhilfe im Ruhr- und Rheingebiet“ organisierte so die Evakuierung von Kindern aus dem Besatzungsgebiet in Kinderheime an der Ostsee oder in Nachbarländer wie Dänemark oder die Schweiz. Insgesamt 300.000 Kinder verließen auf diese Weise 1923 temporär ihre Heimat, kamen in staatlichen Kinderheimen oder bei Patenfamilien unter.
„Passiver Widerstand“ als Inflations-Katalysator
In finanzieller wie wirtschaftlicher Hinsicht erwies sich die Politik des passiven Widerstandes als geradezu katastrophal. Denn mit dem patriotischen Appell zur Arbeits- und Kooperationsverweigerung zwangsläufig verbunden, war parallel allerdings die staatliche Verpflichtung, die Löhne der hunderttausenden arbeitslosen oder in Kurzarbeit befindlichen Arbeiter zu übernehmen, um auf dieses Weise den Generalstreik in den besetzten Gebieten aufrechterhalten zu können. Aus dieser ursprünglich nur für einen kurzen Zeitraum geplanten Strategie entwickelte sich allerdings eine mehrmonatige, zunehmend kostspielige Angelegenheit. Die Weimarer Republik suchte diesen enormen Geldbedarf mit Hilfe einer bis dato vollkommen präzedenzlosen Geldmengenausweitung zu decken. Der fortgesetzte passive Widerstand gegen die Ruhrbesetzung befeuerte auf diese Weise den immer schnelleren Wertverlust der deutschen Mark und die rasante hyperinflatorische Entwicklung bis zum November 1923. Trotz einer wahren Welle der Solidarität, die sich insbesondere durch die Ruhrhilfe – in dessen Rahmen Deutsche in unbesetzten Gebieten Geld für diejenigen unter französischer und belgischer Herrschaft spendeten – ausdrückte, führte die längerfristige Aufrechterhaltung des passiven Widerstands die Weimarer Republik an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs.
Als sich Gustav Stresemann, Nachfolger Wilhelm Cunos im Amt des Reichskanzlers Ende September 1923 dazu gezwungen sah, das Ende des passiven Widerstandes zu verkünden, überwogen schließlich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die Schäden der Ruhrbesetzung: Frankreich, dessen vorgebliche Motivation für den Einmarsch in der Steigerung der deutschen Reparationsleistungen lag, erhielt 1923 nur einen marginalen Bruchteil der Leistungen, die es andernfalls bekommen hätte. Deutschland hingegen ruinierte Währung und Wirtschaft und damit die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Dennoch entschieden sich die verantwortlichen politischen Akteure auf beiden Seiten monatelang dafür, ihren verhängnisvollen, einmal eingeschlagenen Weg treu zu bleiben, war doch der Einsatz auf beiden Seiten zu groß und wäre doch ein Strategiewechsel einem Eingeständnis des Scheiterns gleichgekommen.
Spätfolgen eines verhängnisvollen Jahres
Obschon in Deutschland die „Goldenen Zwanziger“ folgen sollten, erschütterte diese fatale Politik mittelfristig nicht nur das Vertrauen in die politische Elite und das Parteiensystem, sondern in das politische System insgesamt. Nach den Irrungen und Wirrungen der Hyperinflation und den verheerenden Folgen der Ruhrkrise suchte bald eine Mehrheit der Deutschen ihr Heil in tendenziell autoritären, völkisch-nationalistischen Parteien. In Folge der gesellschaftlichen, politischen und sozialmoralischen Folgen der Katastrophen des Jahres 1923 wurde der Staat schließlich zum großen Verlierer. Das Unvermögen, die Grundversorgung und ein Mindestmaß sozialer Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, wurde zuallererst der Weimarer Republik und ihren politischen Akteuren angelastet. Die Verwerfungen von 1923 wurden auf dieses Weise teuer mit demokratischer Substanz und Vertrauen in Demokratie und Parlamentarismus bezahlt.
In seinem erst posthum publizierten autobiografischen Werk „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ hat der jüdisch-österreichische Schriftsteller Stefan Zweig mit Blick auf die Spätfolgen des Krisenjahres 1923 folgendes festgehalten: „(…) die ganze kriegsmüde Nation [sehnte] sich eigentlich nur nach Ordnung, Ruhe, nach ein bisschen Sicherheit und Bürgerlichkeit. Und im Geheimen hasste sie die Republik, nicht deshalb, weil sie diese wilde Freiheit etwa unterdrückt hätte, sondern im Gegenteil, weil sie die Zügel zu locker in den Händen hielt. (…) Nichts war so verhängnisvoll für die deutsche Republik wie ihr idealistischer Versuch, dem Volke und selbst ihren Feinden Freiheit zu lassen. Denn das deutsche Volk, ein Volk der Ordnung, wusste nichts mit seiner Freiheit anzufangen und blickte schon voll Ungeduld aus nach jenen, die sie ihm nehmen sollten.“