Neues aus Italien: Rom geht vor die Wildschweine

Von Elena Klagges | Ragazzi, zu allererst möchte ich mich für die lange Pause entschuldigen. Der letzte Bericht ist leider schon einige Zeit her, doch die Universitätsprüfungen am Ende des Semesters haben mehr Zeit und Nerven abverlangt als gedacht.Jedenfalls war ich vor kurzem mal wieder für einen Kurztrip in Rom, wo zur Zeit einiges los ist.
Die erste Hammer-Meldung: In Rom sind die Wildscheine einmarschiert. Ganz neu ist dieses Phänomen nicht, dafür ist der ganze Müll in der Stadt ein zu einfach gefundenes Fressen für die Tiere. Aber bisher handelte es sich noch um periphere Stadtgebiete. Jetzt hausen die Schweine mitten in der Stadt, halten den Verkehr auf und haben Berichten zufolge sogar schon Menschen angegriffen.
Zu dem großen Glück der Wildschweine ist der Platz momentan auch da. Die meisten Römer sind selber schon an ihre Ferienziele gereist und überlassen die Stadt den Touristen. Was auf der einen Seite auch seinen Charme hat. Ich, die die Hitze sehr gut erträgt, war direkt nach der Landung in Fiumicino, als ich mir endlich zwei Schichten Wollpullover ausziehen konnte, um mir bei diesen schrecklichen Klimaanlagen im Flugzeug nicht den Tod zu holen, wieder in Italien akklimatisiert.
Also den kurzen Stopp in der Hauptstadt voll ausnutzen und zunächst in die Galleria Doria-Pamphilij. Zwischen einigen Ausländern und unzähligen Ventilatoren wurde ich in diesem Palast einer klerikalen Familie aus dem 15. Jahrhundert in den Bann gezogen. Unendliche Prachtstücke der alten Meister, von Velazquez über Tintoretto bis hin zu Poussin, tapezierten die meterhohen Decken der repräsentativen Räume. So bestaunte ich nicht nur die bildende Kunst, sondern träumte gleichzeitig im Ballraum zu stehen, in einem wunderschönen Kleid mitten unter der wichtigen romanischen Gesellschaft, unter mir der Holzboden knarzend, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und dann in der Mitte der Führung ein extra abgedunkelter Raum, in dem DER Caraviggio, ein Bildnis von Johannes dem Täufer mit Lamm, hing – nur, um dann festzustellen, dass das Bild schief hing!
Ach, wie ich die Italiener vermisst habe. Sie wissen, was für ein Reichtum Roma, caput mundis, zu bieten hat. Da macht das eine oder andere schief hängende Bild doch nichts aus. Und es stimmt, diese Farben, die Architektur, die Pracht der Stadt, welche gerade in der Abenddämmerung in einem rosafarbenen Goldschimmer zum Erleuchten kommen, könnten Rom noch als die ursprüngliche Weltstadt Europas gelten lassen. Wären da nicht das politische Chaos, die wirtschaftliche Krise und die Migrationsprobleme. Italien ist in diesen Tagen sagen wir mal führungslos. Die im Frühjahr 2021 vom Staatspräsidenten Mattarella ernannte Regierung, Draghis Regierung nationaler Einheit, ist gefallen. Momentan überlebt er mehr schlecht als recht Vertrauensvoten, wobei man eigentlich noch gar nicht weiß, ob er überhaupt weiterhin das Amt des Ministerpräsidenten fortführen möchte. Das Ausland vor allem schätzt den ehemaligen EZB Präsidenten als ruhigen und gesonnenen Staatsmann mit viel Erfahrung. Die Italiener widerum sind geteilt. Einige sehen in dem Verlassen des Plenarsaals durch die mitte-rechts Parteien Lega und Forza Italien eine Art Revanche Berlusconis, nachdem er 2011 durch einen ,,Coup’’ unter anderen unterstützt von Draghi abgesetzt wurde. Andere halten verzweifelt an ihm fest und sehen Draghi naiverweise noch fest im Sattel.
Nun, man wird sehen was passieren wird. Wahlen, bis dato erst im Frühjahr 2023 angesetzt,wären immerhin ein demokratischer Fortschritt, aber längst noch keine sichere Gegebenheit.
Nach der Galerie wollte ich vor dem pranzo ein bisschen bummeln und da erschlug es mich. Auf der Via del Corso überrannte mich eine wild gewordene Horde konsumsüchtiger Touristen, die die Werte und Schätze dieses Landes nicht einmal wahrnahmen. Mit Handys vor den Sonnenbrillen, mit angeschwollenen Füßen in verschwitzten Sandalen – teils mit teils ohne Socken – verstopften sie wie die Wildschweine oben die Straßen. Aiutò, dachte ich mir. Wie kann es nur sein, dass ein Bekannter ausgerechnet im August die Stadt genießen möchte?! Nun, er sagt auch, Rom ist die schönste Stadt der Welt – wären da nur nicht die Römer an sich. Doch ich muss dem widersprechen. Gerade die Einwohner Roms sind mir doch sympathisch, und wenn vereinzelt auch nur wegen ihres geschmackvollen Stils. Dabei sollte ich betonen, dass ich das alltägliche Rom mit Zeit, Ruhe und Nerven genießen kann und hier aus meiner subjektiven Perspektive schwärme.
Doch am Nachmittag, nach einem köstlichen Mittagessen, lichtete sich die Situation und die Piazza del Popolo präsentierte sich fast menschenleer in vollster Schönheit. Da zahlte es sich wieder aus, hitzeresistent zu sein und bella Roma noch strahlen zu sehen – ohne den Massen jeglicher Art. Die Stadt bleibt, wie ich zu sagen pflege, das dreckigste Juwel der Welt – und ebenhochkarätig.
Kleiner Tipp: Für einen Besuch dort bleibt Anfang September mit die beste Zeit für meinen Geschmack. Langsam kehren die Einheimischen zurück und mit ihnen etwas Normalität in den Gassen. Und auch die Erkundungstour gestaltet sich bei Anfang bis Mitte zwanzig Grad angenehmer als unter brüllender Hitze.
Jetzt geht es aber auch für mich ans Meer nach Sizilien, denn das muss man den Italiener lassen: Im Tourismus waren sie immer und sind sie ungeschlagen. Freundlich und sympathisch bieten sie die beste mediterrane Küche, klischee-erfüllende Unterhaltung und unvergessliche Ferien