Nach der Pandemie die Party? Die Feierwut der jungen Leute zeigt nur ihre innere Leere

Von Jonas Kürsch | Die staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie haben tiefe und deutlich sichtbare Narben hinterlassen. Die Lockdowns, Maskenregelungen und Impfdrangsalierungen haben das Denken, Handeln und Leben vieler Menschen nachhaltig verändert. Vor allem auch bei jungen Menschen, die teilweise auf engem Raum gefangen und von der Außenwelt für mehrere Monate oder gar Jahre isoliert auf das Ende der Pandemie warten mussten, haben die Maßnahmen gefährliche Auswirkungen gezeigt.
Mit Wiedereröffnung der Nachtclubs, Bars, Kneipen und Diskotheken entdeckten viele Jugendliche nun das Nachtleben wieder für sich. Der Partyhype scheint nach Corona so stark wie nie zuvor ausgeprägt zu sein. Es ist allerdings nicht ungewöhnlich, dass (gerade junge) Menschen sich in Zeiten größter Schwermut in die Feierlaune stürzen. Schon die Weimarer Republik war für ihr ausschweifendes Nachtleben als krassem Gegensatz zu der in den 1910er Jahren noch vorherrschenden Zerstörungswut des ersten Weltkrieges bekannt.
Das Nachkriegsleben der Weimarer Republik
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 endete auch das bis dahin grauenhafteste Gemetzel der Weltgeschichte, bei dem mehrere Millionen Menschen ihr Leben und den über Dekaden hinweg aufgebauten Wohlstand verloren hatten. Die unmittelbare Zeit danach war nicht viel ruhiger. Besonders die frühen Jahre der neugegründeten Weimarer Republik waren von politischer Instabilität, Hyperinflation und einer Reihe bürgerkriegsähnlicher Konflikte geprägt. Putsch- und Umsturzversuche der zentristischen Regierung in Berlin durch Kommunisten und Royalisten waren an der Tagesordnung, ebenso die regelmäßige Ausübung politisch motivierter Attentate, wie beispielsweise die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zeigt.
Erst ab etwa 1923 würde das Land für eine Weile zur Ruhe kommen und auch der Wohlstand in Deutschland mit der Einführung einer Währungsreform zumindest zeitweise zurückkehren. Die (zumindest für manche Teile der Bevölkerung) florierende Wohlstandsentwicklung im Land löste eine zügellose Feierwut aus. Vor allem das Vaudeville-Theater der 1890er Jahre, das Cabaret und Burlesque-Vorstellungen entfachten große Begeisterung. Schauspielerinnen und Sängerinnen wie Marlene Dietrich oder Lilian Harvey konnten mit ihrer liebreizenden Art die Gemüter der Bevölkerung im Sturm erobern. Historiker sind sich weitestgehend einig, dass die Deutschen, denen Inflation, Kriegsverderben und die allumgebende Unsicherheit der zurückliegenden Jahre noch tief im Mark steckten, nun mit der Eroberung des Nachtlebens und der Vergnügungssucht einen Weg gefunden hatten, um dem Elend ihrer Vergangenheit zumindest für den Augenblick zu entkommen.
Das Leben in der Post-Covid Ära
Auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts ist dieser Eskapismus deutlich zu erkennen. Die Coronapolitik hat neben der emotionalen Vereinsamung der Menschen auch zu wirtschaftlichen und ideologischen Umbrüchen in Deutschland geführt, die vielen Jugendlichen Angst vor den Konsequenzen der politischen und gesellschaftlichen Instabilität machen. Hinzu kommt ein surreal anmutender Krieg in der Ukraine, dessen langfristige Auswirkungen auf unser Leben noch vollkommen unbekannt sind. Exzessive Partys sind daher bei vielen eher eine Flucht aus dem niederschlagenden Alltag als ein Ausdruck von Lebensbejahung.
Die über Jahrzehnte hinweg in Schulen anerzogene linksliberale Weltanschauung der meisten Jugendlichen ist in wenigen Jahren an der kalten Realität zerschellt. Ob wir in diesem Zusammenhang nun vom Glauben an den „ewigen Frieden“, die Unverletzbarkeit des Grundgesetztes, der in ihm festgehaltenen Grundrechte oder von der Mär über die unabhängigen demokratischen Institutionen unsere Landes sprechen: der Traum vom „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ ist für viele zerplatzt. Das zu akzeptieren und nach sinnvollen Lösungen zu suchen, fällt vielen schwer.
Diese ideologische Leere, zusammen mit der Einsamkeit und Isolation der Pandemie, hat bei einigen jungen Leuten zu geistesgesundheitlichen Problemen geführt. Immer mehr Jugendliche sind schon jetzt auf medikamentöse Schlafmittel angewiesen – hinzu kommt eine sichtbar ansteigende Zahl von jüngeren Konsumenten diverser Pharmazeutika zur Bekämpfung von Depressionen. Außerdem war schon zu Coronazeiten immer wieder von überfüllten Kinder- und Jugendstationen in psychologischen Gesundheitseinrichtungen zu lesen. Der Wunsch, sich auf auf Partys mit Alkohol und Ballermann-Gegröle abzuschießen, ist nur ein weiteres Symptom dieser Entwicklungen und sollte nicht unterschätzt werden.
„Die Welt nach Corona wird die gleiche Welt sein, nur ein wenig schlimmer.“
-Michel Houellebecq