Nach dem Premierminister-Beben: Neu-Regierungschef Rishi Sunak hat ein Problem
Von Jonas Kürsch | Die beiden Parteiflügel von Boris Johnson und Liz Truss sind im Machtkampf um Downing Street Nr. 10 geschwächt worden, während der zentristische Mainstream-Flügel des neuen Premierministers Rishi Sunak gestärkt aus der Regierungskrise hervorgeht. Das hat allerdings nicht zu bedeuten, dass die Tories langfristig von ihrem bisherigen Kurs abrücken werden, denn Rishi Sunak sitzt alles andere als fest im Sattel.
Das neue Kabinett ist ein schwacher Kompromiss für alle Partien
Zuerst aber ein Lob: das Kabinett des neuen Premierministers und die neue Besetzung der Ministerämter ist aus strategischer Sicht geschickt gewählt. Liz Truss hatte ihrer Zeit den großen Fehler gemacht, die wichtigsten Kabinettsposten ausschließlich (oder zumindest größtenteils) mit Abgeordneten des Unterhauses zu besetzen, die ihren eigenen Ideen sehr nahestehen: das Gesundheitsministerium ging an ihre Vertraute Thérèse Coffey, das Finanzministerium ging an den Hardcore-Kapitalisten Kwasi Kwarteng, die anti-woke Kemi Badenoch ernannte Truss zur Handelsministerin und das Innenministerium wurde der erzkonservativen Suella Braverman anvertraut. Obwohl parteiinterne Gegner wie Tom Tugendhat und Penny Mordaunt in ihrem Kabinett ebenfalls integriert wurden, war klar zu erkennen, dass die prominentesten Regierungsämter entweder an die Vertreter ihres eigenen oder des ihr nahestehenden Johnson-Flügels verteilt wurden.
Truss’ riskanter Versuch, ohne den gegnerischen Flügel der Tories zu regieren, ist nachweislich gescheitert. Für Sunak muss daher von Anfang an klar gewesen sein, dass ein regierungsfähiges Kabinett ohne die Hilfe des Truss- und des Johnson-Flügels vollkommen ausgeschlossen ist. Deshalb hat er die wichtigsten Kabinettsposten unter den einzelnen Richtungsflügeln clever aufgeteilt: prominente Mitglieder der Truss-Regierung sind in einigen einflussreichen Ministerämtern verblieben, während derJohnson-Flügel und die Mainstream-Konservativen ebenfalls mit wichtigen Posten ruhig gestellt werden konnten – zumindest vorerst.
So klug dieser Schachzug im ersten Moment auch gewesen sein mag: Sunak ist nun der Premierminister eines politischen Patchwork-Kabinetts, dessen Mitglieder für drei unterschiedliche Teile der konservativen Wählerschaft Politik machen wollen. Die Minister der neuen Regierung kommen daher programmatisch nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner. Der Premierminister muss schon jetzt mit angezogener Handbremse die Regierungsgeschäfte leiten, schließlich könnte eine weitere parteiinterne Revolte auch ihn binnen weniger Wochen den Kopf kosten.
Sunak ist bei seinen Parteimitgliedern und dem Wahlvolk unbeliebt
Hinzu kommt, dass große Teile der Parteibasis den amtierenden Premier noch immer als Königsmörder in Erinnerung behalten, denn schließlich markierte sein Rücktritt als
Finanzminister den Anfang vom Ende der Ära Boris Johnson. Außerdem sollte man nicht die Wut jener Truss-Anhänger unterschätzen, die Sunak wegen seiner Sticheleien während der 40-tägigen Amtszeit der letzten Regierungschefin für den Umsturz ebenfalls mitverantwortlich machen. Auch parteiextern wird Sunak nicht gerade als Sympathieträger wahrgenommen. Für seine teuren Designeranzüge wurde er schon während der TV-Debatten zur Tory-Wahl im Sommer als dekadent verspottet. Der reichste Parlamentarier, ehemalige Hedgefonds- Manager und Schwiegersohn eines milliardenschweren indischen IT-Moguls wurde in der Vergangenheit immer wieder als bürgerfremder Karrierepolitiker skizziert. Unterstützt wird dieses Bild durch eine ältere Interviewaussage des Premierministers, in der er nonchalant davon schwadronierte, dass er keine Freunde aus der Arbeiterklasse habe. Auch seine Zeit als Finanzminister ist den meisten Menschen nicht gerade positiv in Erinnerung geblieben, schließlich sind die steigenden Lebens- und Energiekosten, unter denen die Briten seit etwa einem Jahr leiden, durch seine mangelhafte Finanzpolitik überhaupt erst in dem Ausmaße explodiert, das heute erkennbar ist. Hinzu kommen noch unzählige Finanzaffären der Familie Sunak, die seine Glaubwürdigkeit zusätzlich untergraben.
Auch die demokratische Legitimität seiner Regierung lässt sich noch stärker infragestellen als jene der Vorgängerregierung unter Liz Truss – denn diese ist wenigstens durch ein Mitgliedervotum der konservativen Partei bestätigt worden, während Rishi Sunak ohne weitere Gegenkandidaten in die Rolle des Premierministers „hineingerutscht“ ist.
Rishi Sunak hat ein Problem
Um es noch einmal zusammenzufassen: der millionenschwere Hedgefonds-Manager
Rishi Sunak, der selbst keinen Kontakt mit der arbeitenden Bevölkerung des Landes hat, ist ohne Gegenkandidaten und Wahlverfahren zum Premierminister eines Landes mit hoher Inflation und zusammenbrechender Wirtschaft geworden, die er selbst als Finanzminister vor etwa zwei Jahren mitverursacht hat. Bekämpfen will er diese Krise mit möglichen Steuererhöhungen und einer asozialen Finanzpolitik, bei der die Bürger zur Kasse gebeten werden sollen. Dabei wird er von einem Ministerkabinett unterstützt, dessen politische Ansichten soviel gemeinsam haben wie ein Apfel und ein Fahrrad. In Anbetracht all dieser Fakten wird deutlich: auf Rishi Sunak kommt ein großes Problem zu.
Und, was erschwerend hinzukommt, Sunak ist Mitglied der Schwab Organisation „Young Global Leaders“.