Muss die Fünf-Prozent-Hürde weg? – das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Safety-first-Simon vs. Anarcho-Jonas. Sollte die Fünf-Prozent-Hürde zum Wohle der Demokratie abgeschafft werden? Oder stürzt das unser ohnehin schon wackeliges System nur vollständig ins Chaos? Sperr-Klausel ja oder nein – wer überzeugt Sie mehr?

Achtung: Dieser Beitrag könnte vereinzelt Spuren von Humor enthalten. Weder Stabilität-Fanatiker noch Chaos-Liebhaber wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


Ja zur Hürde – Stabile Demokratie statt Chaos à la Weimar!

Von Simon Ben Schumann | Ich war noch nie in Thüringen – und ich bin ehrlich: bisher hat mich das nicht besonders traurig gemacht. Aber ich hab meine Meinung geändert. Denn vielleicht würde ich meinen Kollegen Jonas dann endlich besser verstehen. Die beschwingende Atmosphäre im Bundesland der Würstchen beflügelt einen bestimmt zu ein paar guten Ideen. Ich meine: gefangen zwischen Björn Höcke, DDR-Apologeten und Rostbratwürsten muss man schon kreativ sein, um nicht wahnsinnig zu werden. Während Jonas auf den endlosen Kuh-Wiesen seines einsamen Heimatdörfchens liegt und an einem Thüringer-Würschtel knabbert, kommen ihm so wahrscheinlich eine Menge Gedanken in den Sinn – ein paar gute und ein paar bekloppte. Letzteres Kaliber ist sein Wunsch nach Chaos – oder in seinen Worten: dem nach der Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde. 

Die Hürde abschaffen – das könnte fatal enden

Bevor du anfängst zu toben und mich mit einem getunten Moped über den Haufen fährst: Es gibt ein paar einzelne solide Argumente für ein Wegfallen der Fünf-Prozent-Hürde, das will ich ja gar nicht bestreiten. Aber die werden von der Gegenseite nunmal überwogen und der Rest ist Mist. Das fängt schon beim Kassenschlager Nr. 1 an: Dem Willkür-Argument. „Wer hat sich ausgedacht, dass es genau 5 Prozent sein sollen? In Österreich gibt es eine Vier-Prozent-Hürde. Warum nehmen wir nicht 4,5 oder 3,78 Prozent? Die Grenzsetzung ist doch reine Willkür!“ – Deshalb sollte man, laut Leuten wie Jonas, das Sperrquorum doch wenigstens etwas senken. Immerhin könnte man so doch mehr Vielfalt im Bundestag gewährleisten. Außerdem würden nicht-vertretene Stimmen von Wählern wieder repräsentiert, was zu weniger Politik-Verdrossenheit führen würde.

Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass die Vielfalt in unserem 736-köpfigen Bundestag schon gewährleistet ist. In seinen Häuslichkeit findet man alles: Von Stimmungskanone Claudia Roth, über das brüll-begeisterte AFD-Mitglied Gottfried Curio, bis zu Informatikgenie Philipp Amthor, der in der Mensa versucht parteiübergreifend Mitgründer für seine neueste KI-Firma in Luxemburg anzuwerben. Damit ist doch wohl das ganze Bevölkerungsspektrum vertreten – von einem Extrem zum anderen. 

Aber Spaß beiseite: Eine bessere Repräsentation würde durch eine Absenkung der Hürde auch nicht erreicht. Wenn eine Partei die Vier-Prozent erreicht, aber nicht die Fünf knackt, wird das nach der langen Geschichte unseres Quorums als Klatsche des Wählers verstanden. Außerdem wären entsprechende Fraktionen so klein, dass sie nur wenig bewegen könnten. Der Anteil der unberücksichtigten Zweitstimmen schwankt gerade mal um die fünf Prozent, es kommt nur selten zu Ausreißern. Parteien werden durch die jetzige Sperrklausel nur in Ausnahmen ausgeschlossen.

Jetzt würde der Jonas entgegnen: „Dann ganz weg mit der Hürde! So würde mal wieder etwas Leben in die Bude kommen – und jeder wird vertreten!“ Aber das hat leider schon in der Weimarer Republik nicht funktioniert. Damals gab es keine Hürde, nur eine Mindestanzahl an Stimmen, die für einen Sitz genügten. Theoretisch war das die perfekte Volksvertretung. Stimmen fielen nicht einfach „ungehört“ weg, im Reichstag wurde es aber umso lauter. Es waren nicht nur andauernd zahllose Kleinparteien, wozu auch die Nazis zählten, vertreten. Auch die Koalitionsbildung wurde deutlich erschwert, eine tragende Regierung kam selten zustande. Wenn es wirklich „der Wählerwille“ wäre, einen zersplitterten und arbeitsunfähigen Bundestag zu haben,  sollten wir das dann wirklich machen?

Und ich weiß, als nächstes kommt die Argumentation um die Gleichheit der Wahl nach Art. 38 des Grundgesetzes. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diese aber nicht verletzt; ein funktionsfähiges Parlament sei wichtig genug, um die Klausel zu rechtfertigen. Das Gestaltungsvermögen der Parteien, die es in Parlamente schaffen, würde durch einen Einzug vieler Kleinparteien ebenfalls gefährdet.

Feucht-fröhlicher Stammtisch im Bundestag? Nein Danke!

Eigentlich bin ich ein Fan von mehr Bürgerbeteiligung. Nicht aber, wenn sie das ohnehin gespaltene Deutschland endgültig an die Wand fahren könnte. Die Eltern des Grundgesetzes werden sich schon bewusst dafür entschieden haben, von Anfang an auf Sperrklauseln zu setzen. Zwar wurde die Fünf-Prozent-Hürde auf Bundesebene erst 1954 eingeführt, von Anfang an war aber klar: Deutschland braucht funktionierende Parlamente. Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, war ein Muss. Selbst in Landtagen gilt die Hürde, weil in auf mehrere Jahre gewählten Parlamenten einfach eine gewisse Grundstabilität da sein muss. Dass dadurch viele Bürger weniger Einfluss haben, ist ein hoher Preis – um explodierende Kosten, chaotische Parlamente und Weimarer Verhältnisse zu vermeiden, sollten wir ihn bezahlen. Ich verstehe, dass du nicht so tief in die Tasche greifen willst, Jonas – aber ich finde, es muss sein.

Ich will ja gar nicht heraufbeschwören, dass bald irgendein NPD- oder MLPD-Mensch im Bundestag seine Hetzreden vorträgt und dafür noch vom Steuerzahler Moneten zugeschoben bekommt. Den Bundestag für Hinz und Kunz zu öffnen, halte ich aber doch für ein wenig leichtsinnig. Also: Arbeiten wir lieber an wirklichen Verbesserungen, statt unsere Demokratie noch mehr zu riskieren, als das während der Pandemie ohnehin getan wurde.


Mehr Volkssouveränität, weniger Stabilitäts-Fanatismus – die Fünf-Prozent-Hürde muss weg!

Von Jonas Aston | Als ich neulich erwähnte, dass ich gegen die Fünf-Prozent-Hürde bin, stand Simon die Angst ins Gesicht geschrieben. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie vor seinem inneren Auge großangelegte Fackelmärsche durchs Land zogen und das vierte Reich ausgerufen wurde – ich hab mir kurz Sorgen gemacht, dass der Ruhrpotter-Jung, mit dem Herz aus Kohle und Stahl, mir gleich vor Schreck vor die Füße fällt. Deshalb fühle ich mich dazu verpflichtet, dem Simon zu erklären, dass die Abschaffung der Sperr-Klausel mehr bietet, als das angstbesetzte Totschlagargument Weimarer Republik.

 

Die Hürde führt nicht zu Stabilität, sondern zu Versteifung

Erstmal zu was rein rechtlichem – das solltest du aus dem Jura-Studium kennen Simon, also keine Panik: Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünf-Prozent-Hürde zwar abgesegnet, da hast du recht, aber sie bleibt verfassungsrechtlich dennoch umstritten. Die Sperrklausel steht im Konflikt mit dem Demokratieprinzip und beschränkt die Volkssouveränität. Denn: das Grundgesetz garantiert die Gleichheit der Wahl. Hierzu gehört neben der Zählwertgleichheit – jede Stimme wird genau einmal gezählt – auch die Ergebniswertgleichheit. Diese ist jedoch nicht mehr gegeben, wenn die von mir gewählte Partei an der Sperrklausel scheitert. Zur Freiheit der Wahl muss es jedoch gehören eine Partei wählen zu können, ohne Angst vor ihrem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zu haben. Hierdurch werden viele Bürger genötigt einer größeren Partei ihre Stimme zu geben, die ihre Meinung weniger repräsentiert. Andere Bürger gehen erst gar nicht mehr wählen.

Stabilitätsfanatiker und die „safety first“-Fraktion rund um Simon argumentieren dann immer mit der Stabilität, die die ach so geliebte Hürde bringe. Und ja: Stabilität ist wichtig. Es ist jedoch Aufgabe eines guten Staates und einer guten Verfassung einen vernünftigen Mix aus Stabilität und Flexibilität zu finden. In den letzten Jahren war die Fünf-Prozent-Hürde jedoch ein wesentlicher Grund der eben nicht zur Stabilisierung, sondern zur Versteifung der Demokratie geführt hat. Vier Parteien, namentlich FDP, CDU, SPD und Grüne, haben den Staat unter sich aufgeteilt und machen ihn sich zur Beute. Wenn Die Linke Glück hat und es rot-rot-grüne Mehrheiten gibt, dann darf sie auch nochmal ein Wörtchen mitreden.

Zwischen den großen politischen Blöcken hat sich in 70 Jahren tatsächlich relativ wenig verändert. Zur Bundestagswahl 1949 gab es eine knappe bürgerlich-konservative Mehrheit zugunsten der Union. Im jetzigen Bundestag gibt es erneut eine knappe Mehrheit von CDU/CSU, FDP und AfD. Mit dieser schließen CDU und FDP wegen einer Art parlamentarischer Selbstbeschränkung allerdings jegliche Zusammenarbeit aus. Gleichzeitig ringt die AfD der CDU und der FDP so viele Stimmen ab, das ein schwarz-gelbes Bündnis faktisch ausgeschlossen ist. In Schleswig-Holstein, dem einzigen Bundesland in dem Schwarz-Gelb – aufgrund des Ausscheidens der AfD – möglich wäre, begibt sich die CDU ganz freiwillig in eine Koalition mit den Grünen. Somit ist die Bundesrepublik auf Links- oder Mitte-Links-Koalitionen festgenagelt.

 

Was bleibt, ist Politikverdrossenheit

Für jemanden wie Bubatz-Simon, der ja bekanntermaßen ein großer Befürworter der Cannabis-Legalisierung ist, mag das kein Problem darstellen. Immer mehr Bürger wenden sich jedoch von den in den Parlamenten vertretenen Parteien ab. Bei der Bundestagswahl 2021 gaben über Viermillionen Bürger einer Partei ihre Stimme, die nicht im Bundestag vertreten ist. Dies ist der höchste Wert seit Gründung der Bundesrepublik, wenn man von der Wahl 2013 bei der AfD und FDP den Einzug knapp verpassten absieht. Bei den letzten Landtagswahlen wurde die Parteienverdrossenheit noch augenfälliger. Die Abwendung von den etablierten Parteien scheint nach dem letzten Corona-Herbst noch einmal drastisch zugenommen zu haben. In Schleswig-Holstein und in NRW haben bei bestem Wetter (!) knapp die Hälfte der Wahlberechtigten nicht von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Die Grünen, die von grade mal etwas mehr als 10 Prozent der Stimmberechtigten gewählt wurden, stellen nun mit 20 Prozent die zweitgrößte Fraktion im Landtag von NRW. Hendrik Wüst, von der CDU, ließ sich für seinen angeblichen Wahlsieg feiern, obwohl die CDU absolut Stimmverluste verzeichnen musste. Doch das interessierte niemanden – schließlich hatte man an relativen Stimmen hinzugewonnen. 

Es ist also höchste Zeit die Fünf-Prozent-Hürde abzuschaffen. Meiner Meinung nach könnte bei Landtagswahlen auf eine Hürde gänzlich verzichtet werden. In den Parlamenten der Länder sitzen in der Regel „nur“ um die 100 Abgeordnete. Hierdurch ergibt sich eine implizite Hürde. Bei Bundestagswahlen könnte eine Hürde von ein Prozent gelten. So könnte die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichergestellt werden. Die Bombardierung des Parlaments durch zahlreiche rechtsmissbräuchliche Geschäftsordnungsanträge von destruktiven antiparlamentarischen Kräften könnte so weitgehend verhindert werden. Auch wäre weiterhin die sinnvolle Verteilung des Rederechts gewährleistet.

Das die Hürde tatsächlich beseitigt wird, ist aber höchst unwahrscheinlich.  Jene Parteien, die gerade ein Monopol auf Mandate und Ministerämter haben und sich im Staat so schön eingerichtet haben, müssten sich die Konkurrenz schließlich selbst herbeiwählen. Simon kann also wieder ruhig schlafen. Union, SPD, FDP und Grüne werden ihn in dieser Frage nicht im Stich lassen.

2 Antworten

  1. Gastkommentator sagt:

    Interessant wäre in dem Zuge auch, wie die Befürworter bzw. Gegner einer Hürde zur Angelegenheit Direkte Demokratie stehen. Die Forderung nach Wegfall oder starker Herabsetzung der Hürde ist ja ein starkes Bekenntnis zur Repräsentativen/Parlamentarischen Demokratie. Jemand mit dieser Anschauung (wozu ich gehöre) kann eigentlich schlecht zugleich für die Einführung direktdemokratischer Elemente sein, da hierbei in der Regel noch viel größere Stimmenanteile unberücksichtigt bleiben. In den drei anderen Konstellationen sehe ich bisher keine inneren Widersprüche. Was die Altparteien wollen, also Hürden und keine DD, ist auffälligerweise die bequemste Art zu herrschen.

  2. Karina sagt:

    Ich habe zu diesem Thema noch keine eindeutige Meinung, aber jetzt aufjedenfall ein paar gute Argumente mehr – danke dafür!

    PS: Die Battles sind super, haut weiter auf den Putz! Humor ist in diesen Tagen en rares Gut geworden.