Lufthansa und ÖPNV: Warum nehmen Gewerkschaften Schüler in Geiselhaft?

Von Johanna Beckmann | Als ich in den Sommerferien in den Urlaub fliegen wollte, streikte die Lufthansa und am 2. Tag, nachdem die Schule wieder begann, streikten die Verkehrsbetriebe meiner Stadt. Ich bin Schülerin – ich zahle keine Steuern, sitze in keinem Unternehmensvorstand und wähle auch keine Politiker. Und trotzdem scheinen sich die Termine der Streiks nach meinen Schulferien zu richten.
Am 1. Schultag des neuen Schuljahres waren alle aufgeregt und freuten sich, einander wiederzusehen. Denn die meisten von uns hatten sich 6 Wochen lang nicht getroffen. Bekanntlich ist die erste Schulwoche nicht so stressig. Doch das stressfreie Zusammensein sollte nicht lange anhalten – Es hielt genau einen Tag. Schon unser zweiter Schultag startete mit der Frage: „Wie komme ich heute eigentlich zur Schule?“ Denn die Verkehrsbetriebe meiner Stadt hatten sich entschieden, uns schon am 2. Schultag das Leben schwer zu machen, denn sie streikten. Also fuhr von vier bis 24 Uhr keine Straßenbahn. Uns zur Schule zu fahren, würde für unsere Eltern bedeuten, dass sie zu spät zur Arbeit kommen. So fuhren nahezu alle 1000 Schüler meiner Schule mit dem Fahrrad. Die Schüler, die am Stadtrand in einem Dorf wohnen, kamen entweder viel zu spät oder gar nicht. Gleiche Bildungschancen für alle – wie das, wenn manchen Schülern die Möglichkeit genommen wird, zur Schule zu kommen? Genau aus diesem Grund wurde im Juni diesen Jahres sogar die Schulpflicht für einen Tag ausgesetzt.
In den Sommerferien haben die Verkehrsbetriebe meiner Stadt kein einziges Mal gestreikt.
Ver.di hatte zu dem Streik zwei Tage nach dem Schulbeginn aufgrund einer Tarifeinigung aufgerufen. Das war nicht das erste Mal in diesem Jahr. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Einigung betragen laut eigenen Angaben 3,75 Millionen Euro.
Jetzt wurde angekündigt, dass es zumindest im September keine weiteren Streiks geben wird. Trotzdem kommt die Straßenbahn oft zu spät und durch die erhöhten Gehälter der Arbeitskräfte werden auch die Tickets immer teurer. Das alles, obwohl sie vom Staat unterstützt werden. Das kostenlose Paar Socken, welches man beim Kauf eines Abos erhält, macht die ganzen Unannehmlichkeiten da ganz und gar nicht wieder gut.
Wenn ich Ferien habe, dann streiken nicht mehr die Verkehrsbetriebe mit denen ich zur Schule fahre, sondern die Lufthansa. Als wir aus dem Urlaub zurück nach Deutschland fliegen wollten, hieß es bangen: Werden wir am geplanten Termin wieder zu Hause angekommen? Am 27. und 28. Juli streikten 20.000 Beschäftigte des Bodenpersonals. Der Streit wirkte auch noch ungerechtfertigt, da die Arbeitgeberseite nach eigenen Angaben schon hohe Vergütungsmöglichkeiten angeboten hatte. Das ganze passiert dann, obwohl die Lufthansa nach dem Flugausfall in der Coronapandemie in einer schwierigen Lage ist. Der Konzern schrieb bereits im 2. Quartal diesen Jahres rote Zahlen. Der jüngste Streik bei der Lufthansa war der am 2. September stattfindende Pilotenstreik. Dieser hatte nach Angaben der Lufthansa einen Geschäftsausfall von rund 30 Millionen Euro verursacht. Dort wurden 800 Flüge gestrichen, das betrifft 130.000 Fluggäste, wie die Lufthansa in einem Medienbericht mitteilte. Auch das hat massive Auswirkungen, denn in einigen Bundesländern ist das die Rückreisezeit zum Ende der Sommerferien. Es ist ja nicht einmal so, dass nach einem Tag Streik bei der Lufthansa alles wieder zur Normalität zurückkehren würde, denn noch 2 Tage nach dem Streik kann es zu Flugausfällen und Verspätungen kommen. Die ganzen Unannehmlichkeiten müssen die Bürger tragen, obwohl sich der Staat mit 10% der Aktien an Lufthansa beteiligt. Aber wir können aufatmen, denn jetzt sind erstmal keine weiteren Streiks geplant.
Die Streiks orientieren sich also an der Personengruppe, die keine Steuern bezahlt und keine Politiker wählt. Wenn wir Ferien haben, ist Hauptreisezeit und wenn wir in die Schule gehen müssen, fahren die meisten Personen Straßenbahn. Ich würde mir wünschen, dass ihr die Streiks nicht mehr an unseren Schulzeiten orientiert. Ich weiß, dass man das nicht oft hört, aber: Ich würde gern jeden Tag pünktlich in der Schule ankommen.