Liz Truss hätte eine gute Premierministerin werden können
Von Jonas Kürsch | Liz Truss muss sich nach ihrem Rücktritt als Premierministerin viele Vorwürfe gefallen lassen: sie sei verantwortlich für die wirtschaftliche Krise des Landes, sie habe die konservative Partei gespalten und ihre eigenen Wähler hintergangen. Diese sind Aussagen kurzsichtig, populistisch und extrem realitätsfremd. Für mich wird Liz Truss als idealistischste Premierministerin des 21. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben und ich glaube auch weiterhin, dass sie das Potenzial gehabt hätte, die beste Regierungschefin innerhalb Europas zu werden. Letztendlich scheiterte die glücklose Premierministerin am korrupten Zeitgeist des 21. Jahrhunderts und nicht an ihren Überzeugungen.
Das Tory-Establishment hat Truss nie als Vorsitzende akzeptiert
Ich selbst befand mich in England, als die Wahlkampagne der damaligen Außenministerin Truss bereits in vollem Gange war. Daher konnte ich den erbitterten Wahlkampf zwischen ihr und Ex-Finanzminister Rishi Sunak in den Tageszeitungen mitverfolgen. Truss bewies in dieser Zeit viel Mut: Sie kämpfte für Steuersenkungen, ein soziales (aber nicht sozialistisches) Wohlfahrtssystem und für eine Regierungspolitik, die den Wert der Freiheit wieder in den Fokus ihres Handelns stellen sollte. Ihr Ziel war klar: sie wollte Politik für die Bürger des Landes machen. In der Parlamentsfraktion wurde sie für diesen volksnahen Kurs schon früh geschmäht, was sich unter anderem darin zeigte, dass sich nur etwas mehr als ein Drittel der Tory-Abgeordneten für Truss als Regierungschefin aussprach.
Anders als Partei- und Medienliebling Sunak wollte Truss die Kosten der Krise nicht auf den britischen Steuerzahlern abwälzen. Sie setzte sich für eine Politik des wirtschaftlichen Wachstums ein und wollte das Geld der Briten da lassen, wo es am besten aufgehoben ist: im eigenen Portemonnaie! Die Parteibasis goutierte diesen Optimismus, wählte sie zur Parteivorsitzenden und machte sie damit zur neuen Premierministerin der vereinigten Königreichs. Ich empfinde es daher auch als zutiefst verachtenswert, dass die meisten Parteifunktionäre sich vom ersten Tage an gegen Truss positionierten und den demokratischen Willen der konservativen Basis mit Füßen traten. Unter anderem spiegelte sich dies auch im Verhalten Sunaks wider, der dem ersten Tory-Parteitag nach der Vorsitzendenwahl fernblieb, um seine Abneigung gegenüber der amtierenden Premierministerin zum Ausdruck zu bringen. Dieses Verhalten lässt sich nur als hinterhältig bezeichnen.
Die „Trussonomics“ waren wirksamer als das „grüne Wirtschaftswunder“ in Deutschland
Die Premierministerin war mit dem Motto „Trusted to deliver!“ ins Amt gewählt worden – und dementsprechend handelte Truss auch! Anders als die deutschen Umfaller-Liberalen versuchte Liz Truss ihre Wahlkampfversprechen tatsächlich umzusetzen: Steuersenkungen und eine Ankurbelung der Wirtschaft durch Deregulierung standen ganz oben auf ihrer Agenda. Es ist daher sehr schade, dass im Grunde alle politischen und gesellschaftlichen Meinungsmacher vom ersten Tage an gegen die „Trussonomics“ gewettert haben, ohne den ökonomischen Rezepten der Premierministerin auch nur den Hauch einer Chance zur Entfaltung zu geben. Neben den Medien (rechts und links) sowie ihren eigenen „Parteifreunden“, kritisierte selbst der Internationale Währungsfond das Vorgehen der Premierministerin – und derartige Interventionen sind eigentlich ein absolutes No-Go. Man könnte die Anti-Truss-Rhetorik der vergangenen Wochen daher auch ganz plump als polemische Diffamierungskampagne bezeichnen.
Und ja, ich gebe natürlich zu, dass die britische Wirtschaft momentan nicht floriert. Aber jetzt mal ehrlich: ich finde es ein bisschen billig, dass gerade auch die deutschen Medien es bei einer heimischen Inflation von über 10% wagen, die (gerade erst ins Amt gewählte) britische Regierung für eine vergleichbare Rate zu schmähen. Während man bei Robert Habecks katastrophaler Wirtschaftspolitik immer noch vom „grünen Wirtschaftswunder“ berichtet, wurde Truss als eine Art „neoliberale Voodoo-Priesterin“ verunglimpft – geht’s noch? Nur selten wird hingegen erwähnt, dass sich die Unternehmensstimmung in Großbritannien im September wesentlich weniger schlecht unter Truss’ Regierung entwickelt hatte, als ursprünglich erwartet wurde. Auch wenn die Bilanz der Premierministerin alles andere als berauschend ist, muss man doch anerkennen, dass das finanzpolitische Chaos unter anderen Regierungschefs in Europa nicht viel besser ausfällt.
Schon Donald Trump hat während seiner Amtszeit bewiesen, dass niedrige Steuern gepaart mit wirtschaftlicher Deregulierung die Unternehmensbildung antreiben, wodurch sich wirtschaftsschwache Regionen langfristig erholen können. Allerdings ist dieses Ziel nicht vom einen auf den anderen Tag erreichbar. Kein Regierungschef der Welt hätte innerhalb von etwas weniger als 50 Tagen eine derartige Erholung der Wirtschaft bewirken können.
Truss wurde von ihren Parteikollegen gemeuchelt
Nachdem sich führende Funktionäre der Tories gegen Truss verschworen hatten, blieb ihr nichts anderes übrig, als eine Kehrtwende nach der anderen einzuleiten. Ihr einstiger Ruf als „zweite eiserne Lady“ war fort. Anders als Margaret Thatcher, die mit dem Schlagwort “the lady’s not for turning“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, wird Truss den Briten als Premierministerin der dutzenden U-Turns in Erinnerung bleiben. Allerdings ist das nicht allein ihre Schuld, schließlich konnte sie sich, anders als die echte Iron Lady, leider nie auf eine parlamentarische Mehrheit verlassen, die sie bei ihren Vorhaben unterstützen würde.
Medial wird sie inzwischen mit Julius Cäsar verglichen, allerdings nicht in Anlehnung an dessen starkes Auftreten oder sein Erscheinungsbild als politische Führungspersönlichkeit, sondern wegen seiner brutalen Entmachtung an den Iden des März; letztlich wurde die Premierministerin (symbolisch gesehen) ebenfalls von ihren Parteikollegen im Unterhaus gemeuchelt. Gut beschrieben wurden die Ereignisse von der zurückgetretenen Innenministerin Suella Braverman, die das innerparteiliche Verhalten zutreffend als „inszenierten Putsch“ bezeichnete.
Ich bedauere das sehr, denn Truss hatte viele überzeugende Ideen, mit denen sie das Land auf lange Sicht fundamental hätte erneuern können. Man hätte der Premierministerin die volle Karenzzeit von einem Jahr gewähren müssen, die jedem neugewählten Parteivorsitzenden der Tories eigentlich laut parlamentarischer Satzung zusteht. So hätte sich die wirtschaftliche Vision von Truss bis zur nächsten Parlamentswahl auch voll entfalten können. Schade nur, dass die Konservativen offensichtlich lieber mit Staatsschulden-Sunak oder der woken Penny Mordaunt ihre Politik des ewigen „Weiter-So“ fortsetzen wollen. Ihre alte Reputation aus Thatcher-Tagen wird die konservative Partei damit garantiert nicht zurückerlangen.
Sehr guter und zutreffender Artikel!