Linksruck in Südamerika – Gefahr für die Demokratie?

Von Leon Hendryk | In weniger als zwei Monaten wird in Brasilien gewählt. Der konservative Amtsinhaber Jair Bolsonaro tritt zwar wieder an, klarer Favorit ist aber der linke Luiz da Silva, der als „Lula“ bekannt ist. Lula war von 2003 bis 2011 schon einmal Präsident Brasiliens, wurde zuletzt aber aufgrund zahlreicher Korruptionsskandale zu mehreren langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Diese Urteile wurden 2019 vom obersten Gerichtshof Brasiliens aufgehoben, allerdings ohne ihn explizit von den Vorwürfen freizusprechen. Nun ist er, immer noch populär aufgrund sozialer Geschenke während seiner ersten Regierungszeit, auf dem besten Weg die Wahl zu gewinnen und Brasilien auf der politischen Landkarte wieder rot zu färben.
Doch nicht nur in Brasilien ändern sich momentan die politischen Verhältnisse. Auch in Kolumbien wurde dieses Jahr ein linker Präsident gewählt. Zwar gewann dieser die Wahl mit einer äußerst geringen Mehrheit (50,24%), hat es aber dafür in sich: Gustavo Petro war früher Mitglied einer linksterroristischen Guerilla und nimmt es mit demokratischen Umgangsformen noch immer nicht so genau. Und auch Chile hat seit letztem Jahr einen linken Präsidenten, Gabriel Boric. Dieser schiebt momentan ein Verfassungsreferendum an, welches der Exekutive und insbesondere ihm selbst weitreichende Befugnisse verschaffen würde.
Zwei der Nachbarländer Chiles, Peru und Bolivien, haben in den letzten Jahren ebenfalls linksgerichtete Präsidenten bekommen. Beide sind Marxisten und beide haben, vorsichtig ausgedrückt, ein eher autoritäres Verständnis von Demokratie und Gewaltenteilung. Dazu kommt die Mitte-Links Regierung in Argentinien, einem Land welches sich seit 3 Jahrzehnten in einer Wirtschaftskrise befindet. In der sozialistischen Diktatur Venezuelas unter Präsident Maduro hat man die Wirtschaftskrise mittlerweile hinter sich gelassen, allerdings nur weil es mit der Wirtschaft schlichtweg nicht mehr weiter abwärts gehen kann. Stattdessen befindet sich das einst wohlhabendste Land Südamerikas nun in einer Hungerkrise und hat zudem die zweifelhafte Ehre, das Land mit der weltweiten höchsten Mordrate zu sein.
Droht dieses Schicksal nun auch anderen Staaten in Südamerika? Schließlich äußerten sich viele der oben präsentierten neugewählten Präsidenten positiv zu sozialistischen Diktaturen wie in Venezuela oder auch Kuba, was allen intelligenten Menschen eigentlich Anlass zur großen Sorge geben sollte.
Dazu kommt, dass in manchen Ländern Südamerikas die neu gewählten linken Präsidenten bereits linke Vorgänger hatten. Ihre Ideologie ist also schon in den Institutionen verankert. So beispielsweise in Bolivien, wo der heutige Präsident Luis Arce der Partei „Movimiento al Socialismo“ angehört, genau wie der frühere Präsident Evo Morales. Dieser hatte in den letzten Jahren den autoritären Umbau Boliviens stark vorangetrieben und die demokratischen Institutionen geschwächt. Es sieht so aus, als ob sein Nachfolger diesen Kurs nun weiter fortsetzt. Ob es in ein paar Jahren noch freie Wahlen in Bolivien geben wird, kann bezweifelt werden.
Immerhin ist es nicht überall so dramatisch: Die weltweit schwierige ökonomische Lage wird es vielen der linken Präsidenten nicht ermöglichen, großzügig steuerfinanzierte Geschenke an die Armen zu verteilen und damit autoritäre Vorgehensweisen zu kaschieren. Zudem ist die öffentliche Zustimmung der neuen Präsidenten eher mäßig, die meisten wurden mit kaum mehr als 50% der Wählerstimmen ins Amt gehoben und ihre Parteien verfügen oft nicht über absolute Mehrheiten in den jeweiligen Parlamenten. Dies ist anders als bei vorherigen linken Regierungen, zum Beispiel in Venezuela, wo komfortable Mehrheiten den Abbau der Demokratie beschleunigten. Zu guter Letzt sind auch die Wähler etwas wachsamer als sie es in den vergangenen Jahrzehnten waren. Die Südamerikaner sind zwar immer noch anfällig für sozialistische Heilsversprecher, doch das Scheitern von Ländern wie Venezuela hat auch dort zu einer gewissen Skepsis gegenüber allzu machthungrigen Regierungen geführt.
Trotz dieser Voraussetzungen besteht die Gefahr, dass zumindest einige der Länder Südamerikas sich zu autokratischen Staaten entwickeln. Auch liberale Publikationen wie „Americas Quarterly“, die mit konservativen Politikern wie Bolsonaro oft hart ins Gericht gehen, teilen diese Befürchtungen eines „democratic backsliding“ durch die neue Dominanz linker Machthaber. Für den freien Westen wäre ein solches Szenario höchst unangenehm. Denn mit China lauert schon eine Weltmacht, die großes Interesse daran hat mithilfe autokratischer Herrscher dort Fuß zu fassen und die politische Landschaft im oft als „Hinterhof der USA“ bezeichneten Südamerika zu gestalten. Auch der Rohstoffreichtum südamerikanischer Länder, insbesondere an Lithium und anderen wertvollen Mineralien, wird dabei eine Rolle spielen. Es lohnt sich also die weitere politische Entwicklung Südamerikas, und insbesondere den Ausgang der Wahlen in Brasilien, genau zu beobachten. Was dort passiert wird über lang oder kurz auch für Europa große Relevanz haben.