Lieber Bubikopf als Jogginghose

Von Selma Green | Noch vor einiger Zeit kam ich durch kein Einkaufs-Center, ohne dass meine Hände vom Tragen der vielen Taschen schmerzten und meine Füße irgendwann schwer wie Blei wurden. Ich weiß noch genau, wie ich an einem solchen Tag erschöpft aber zufrieden in den Stuhl eines Cafés der Mall of Berlin sank und einen Kakao schlürfte, während ich stolz meine Ausbeute begutachtete: Ein Rock von H&M, zwei hübsche Oberteile von Zara und dort in dem Tütchen noch ein paar Ohrringe von Bijou Brigitte. Shoppen machte mir damals noch richtig Spaß – aber das ist leider vorbei. Heute bin ich in einer halben Stunde mit den Läden durch und mein Rucksack ist genauso leer wie vorher. Denn mal im Ernst: Das was man momentan so in den Läden kaufen kann, erinnert mehr an Haushaltswaren oder den berühmt berüchtigten Kartoffelsack, als an Mode.
Was ist nur mit der Frauenmode los?
Inzwischen sind die Modegeschäfte bis zum Gehtnichtmehr mit Hosen gefüllt, die so lang und weit sind, dass man ein Zelt damit aufstellen könnte. Noch schrecklicher als die Ballon-Hosen, sind nur die Kleider und Röcke – die sehen aus wie Gardinen. Ich frage mich immer wieder: Wer zieht freiwillig sowas an? Und welches Mädchen trägt schon gerne Holzfällerhemden, einen XXL-Blazer mit Schulterpolstern oder einen Woll-Pullunder? Ich jedenfalls nicht, aber es gibt sie anscheinend. Genau wie die vielen Mädchen, die zu einfach jedem Anlass einen grauen Pullover und eine Jogginghose anziehen. Wenn es darum gehen würde, im Winter nicht zu erfrieren und der Kleiderschrank nichts Wärmeres hergibt, könnte ich damit ja noch leben. Im Frühling mit diesem Schlafanzug-Look herumzurennen, ist aber schlicht ein Mode-Fauxpas.
Wo bleibt die Lebensfreude und die Weiblichkeit in der Damenmode? Wann kommt endlich, nach zwei quälend langen Jahren sozialer Isolation, die Freude am Leben wieder – und damit auch der Wille, sich hübsch zu kleiden? Vor hundert Jahren, sind die Menschen auch aus einer Krise gekommen und ließen sich trotzdem nicht gehen. Im Gegenteil. Nach der Kaiserzeit, den Verlusten des ersten Weltkrieges und der Hyperinflation 1923 galt es, das Leben in vollen Zügen zu genießen – und neben Film, Theater und dem ausschweifenden Nachtleben in Tanzclubs und Kinos, kennzeichnete das auch die Damenmode. Sie war zwar nicht gerade die weiblichste, doch das hatte damals auch einen Grund. In den “Goldenen Zwanzigern” lösten sich die Menschen das erste mal von ihren konservativen Werten. In den darauffolgenden Kurzhaarfrisuren und Anzüge spiegelte sich die Emanzipation der Frau in der Mode wider.
Perlenketten, Bubikopf und Zigarettenspitzen
Bei den meisten Kleidern aus den 1920ern frage ich mich heute, ob der Schneider jemals eine Frau gesehen hat: Der Bund der Taille lag unter dem Po, sodass die Kleider wie Säcke aussahen, die man ganz unten zusammengeknotet hat. Man sah kein bisschen Taille, Hüfte oder Brust und ließ auch keinen noch so kleinen Blick über die Knie zu. Ganz zu schweigen von den Röcken! Entweder sahen sie aus, als hätte man sie durch einen Papierschredder gejagt, oder wie ein Tannenbaum. Aber: Trotz des grauenhaften Schnitts der Damenklamotten erregten sie durch Strass, goldenen Stoff, dicke Perlenketten, Schleifen und auffälligen Make-ups schon von weitem Aufmerksamkeit. Man wollte nicht im Hintergrund verschwinden, sondern auffallen. Die Frauen fingen sogar an Indianer zu spielen, und klemmten sich Bänder mit Federn um den Bubikopf – der gewann nämlich immer mehr an Popularität. Genau wie die goldenen Zigarettenspitzen, die das Rauchen der Frauen in der Öffentlichkeit zum Trend machten.
Die Damenmode von 1920 war damit insgesamt zwar auch nicht besonders feminin, doch sie unterschied sich in ein paar wesentlichen Punkten: Sie strahlte pure Lebenslust aus – heute fehlt davon jegliches Anzeichen. Ich meine, Hallo, wo bleibt der Glitzer und die kurzen Kleider und Röcke? Was soll das mit den ganzen Grautönen und Camping-Hosen? Außerdem hatten die Frauen trotz ihrer komischen Outfits immer einen Funken von Eleganz, während die Damenmode heute irgendwo zwischen Schlafanzug und Obdachlosigkeit einzuordnen ist. Und, auch wenn sich die Frauen aus den Zwanzigern an der Männermode orientierten, brachten sie immer etwas Weibliches mit ein: Der Anzug der Frauen bekam eine Taille, der Bubikopf Wellen, und die Zigarette eine schmale, goldene Spitze.
Wo bleibt der Stolz?
In den 1920ern ging es um die Freiheit und Eigenständigkeit der Frau – einer Frau die sich zeigen, auffallen und Spaß haben wollte. Heute verstecken die Frauen und Mädchen alles Weibliche. Sie legen es darauf an, mit fettigen Haaren, der gleichen Jacke wie der vom Obdachlosen um die Ecke und einer Hose wie der von Aladin herumzurennen. Wie kann man das schön finden? Und tun sie das überhaupt oder ist ihnen ihre Weiblichkeit vielleicht sogar unangenehm oder peinlich? Vielleicht ist es auch beides, fest steht aber: Es fehlt jede Spur von Eleganz und Stolz auf den weiblichen Körper. Er verschwindet hinter einem Trash-Look, der jegliche Anzeichen des eigenen Geschlechts übertüncht.
Wie sagte Karl Lagerfeld mal so treffend: “Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“?