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Leitzinsentscheidung: Sehenden Auges riskiert die EZB die große Rückkehr der Inflation

Die EZB hat in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen den Leitzins auf 3,5 Prozent abzusenken. Getrieben wurde die Zentralbank ganz offensichtlich von den Forderungen südeuropäischer Staaten. Man spielt Roulette.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in einer Sitzung am Donnerstag angekündigt, die Leitzinsen weiter auf 3,5 Prozent zu senken. Dieser Schritt war erwartet worden und dennoch ist er bemerkenswert. Der Sinn und Zweck der EZB ist es, einzig und allein dem Euro-Raum Geldwertstabilität zu garantieren. Die Maßgabe ist dabei, eine Inflationsrate von nahe, aber unter zwei Prozent zu erreichen. In Deutschland wurde dieser Wert für den August erstmals nach über dreieinhalb Jahren erreicht. Für die gesamte Eurozone lag die Inflation nach aktuellen Daten für den Juli bei 2,6 Prozent. Für die EZB gibt es also keinen geldpolitischen Grund, die Leitzinsen zu senken.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht das jedoch grundsätzlich anders. Ihr zufolge sei der Gipfel der Inflation längst überschritten. Nun sei es an der Zeit, die Geldpolitik wieder zu lockern. Im Rat der EZB hat es dem Vernehmen nach gegen diese Auffassung auch Widerstand gegeben. Bekannt ist zumindest, dass Bundesbankpräsident Joachim Nagel sich gegen weitere Zinssenkungen positionierte. Seiner Auffassung zufolge sollte zunächst sichergestellt werden, dass der Rückgang der Inflation nachhaltig ist, bevor weitere geldpolitische Lockerungen erwogen werden. Im Gegensatz dazu fordern die Zentralbankchefs südeuropäischer Länder wie Italien und Portugal bereits seit einiger Zeit vehement Zinssenkungen. Die EZB folgt nun also – einmal mehr – den Forderungen Südeuropas.

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Erstaunlich ist dabei zudem die zunehmende Entkopplung der EZB von der amerikanischen Zentralbank (FED). In der Vergangenheit orientierten sich die Europäer in aller Regel an den USA. Nun prescht die EZB plötzlich selbst mit Zinssenkungen vor. Inzwischen beträgt der Leitzinsunterschied zwischen dem Euroraum und den Vereinigten Staaten 2 Prozent. In den USA liegt der Leitzins seit Juli des vergangenen Jahres unverändert bei 5,5 Prozent. Für diese Entkopplung haben sich ebenfalls gerade die südeuropäischen Staaten der Union ausgesprochen.

Yannis Stournaras, Ratsmitglied für Griechenland im EZB-Direktorium, plädierte gegenüber Bloomberg bereits im April dafür, sich von den Amerikanern loszusagen. Im Hinblick auf die FED erklärte er: „Jetzt ist es an der Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen.“ Die EZB solle entsprechend von ihrer „übervorsichtigen” Geldpolitik abrücken. Weiter erklärte Stournaras: „Wir sehen die ersten Keime einer Erholung in Europa – auch in Deutschland.“ Nun dürfe man diese „ersten Keime des Aufschwungs nicht zerstören.“

Was Stournaras hier ganz offen preisgibt, ist, dass die EZB Ziele erreichen will, die gar nicht von ihrem Mandat gedeckt sind. Es ist eben gerade nicht Aufgabe der EZB, die Konjunktur anzukurbeln. Sinn und Zweck der Zentralbank ist es, einzig und allein die Preise stabil zu halten. So wurde es bei der Einführung des Euros zumindest vereinbart. Kurzfristig können der Wirtschaft durch eine solche Geldpolitik natürlich Schübe verliehen werden. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum hat sich jedoch eine Politik, die auf Preisstabilität und damit auf das Vertrauen der Bürger in ihre Währung setzt, als die erfolgreichste erwiesen.

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Darüber hinaus dürfte Yannis Stournaras Zinssenkungen auch noch aus einem ganz anderen Grund fordern. Die Staatsverschuldung Griechenlands liegt bei 161 Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt. Zinssenkungen der EZB fallen also massiv auf den griechischen Staatshaushalt zurück und ermöglichen dem Staat Einsparungen in Milliardenhöhe. Ähnlich ist die Lage in Spanien und Italien. Dort liegt die Staatsverschuldung bei 108 beziehungsweise 137 Prozent im Vergleich zum BIP. Dies dürfte auch erklären, warum gerade Ratsmitglieder aus diesen Ländern für eine lockerere Geldpolitik eintreten.

Mit der Zinssenkung stellt die EZB die erreichten Rückgänge bei der Inflation wieder aufs Spiel. Gerade in den vergangenen Monaten ist der Rückgang der Teuerungsrate insbesondere auf die gesunkenen Energiepreise zurückzuführen. Die Kerninflation (bei der die stark schwankenden Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden) ist aber nach wie vor deutlich zu hoch. Sie liegt in Deutschland sowie im Euro-Raum bei rund 2,8 Prozent. Schon ohne die Leitzinssenkung der EZB wäre also ein Anstieg der Inflationsrate denkbar gewesen. Nun setzt die Europäische Zentralbank alles auf eine Karte. Sie muss weiterhin auf preisdämpfende, sinkende Energiepreise hoffen. Andernfalls dürfte sich die Lockerung der Geldpolitik als Boomerang erweisen.

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