Leistung im Deutschen Sport: wir glänzen nur noch mit Haltung, nicht mit Medaillen
Von Larissa Fusser | Haben Sie die diesjährigen Olympischen Spiele in Tokio verfolgt? Nein? Kein Wunder – es war wohl die langweiligste Ausgabe des Sportevents seit langem. Zuschauer waren wegen Corona nicht erlaubt – weder bei den Wettkämpfen noch bei den Eröffnungs- und Abschlussfeiern. Die Japaner versuchten durch computeranimierte Special-Effects wie Olympische Ringe aus Feuerfunken zumindest den Zuschauer im Fernsehen von dem tristen Anblick abzulenken – ohne Erfolg. Noch enttäuschender war die Medaillenbilanz der deutschen Sportler. Mit 10 Gold-, 11 Silber- und 16 Bronzemedaillen waren wir diesmal so schlecht wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Statt mit sportlicher Leistung glänzten die Deutschen lieber mit etwas anderem: der „richtigen“ Haltung. Einer der „Höhepunkte“ war das neue Outfit der deutschen Turnerinnen.
Es war weltweit in den Medien: als einziges Team sind die deutschen Sportlerinnen im Turn-Wettkampf mit einem knöchellangen Ganzkörperanzug angetreten, anstatt sich in dem üblichen knappen, Badeanzug-ähnlichen Turnoutfits zu präsentieren. Internationale Medien, unter anderem die „New York Times“, feierten die Athletinnen dafür – viele Zeitungen stilisierten diese Kleideränderung gar zum Kampf gegen Sexismus. Dabei ging es den Sportlerinnen um etwas anderes.
Knappe Outfits haben im Turnsport Tradition. Üblich sind sogenannte Leotards, also enganliegende Einteiler, die in der Leiste sehr hoch geschnitten sind – ähnlich wie bei 70er-Jahre Bikinis. Das bisschen Stoff zwischen den Beinen muss viel aushalten – die Turnerinnen strecken auf dem Barren unter anderem breitbeinig ihr Becken in die Luft und direkt in die Kamera der Fotografen. Damit nichts verrutscht und unliebsame Einblicke vermieden werden, kleben die Frauen üblicherweise den Stoff zwischen ihren Beinen mit Klebstoff fest. Kurze Hosen über den Bodys zu tragen, ist laut Kleiderordnung nicht erlaubt. Lange Hosen allerdings seit 2009 schon – bisher wurden diese Ganzkörperanzüge allerdings nur von muslimischen Frauen aus „religiösen Gründen“ getragen. Das deutsche Frauen-Turnteam war bei den Turn-Europameisterschaften im April diesen Jahres das erste Team, dass ohne religiöse Motivation das Outfit wechselte – und war schon damals weltweit deswegen in den Medien.
Nun sind die deutschen Turnerinnen auch bei den Olympischen Spielen in ihren langen Gymnastikanzügen angetreten – mit großem medialen Echo. Die Schlagzeilen lasen sich zum Teil wie Kampfschriften. „Meine Haut gehört mir“, schrieb DIE ZEIT; STERN und andere Medien, darunter auch die New York Times, sprachen von einem „Zeichen gegen Sexualisierung“. Der Turn-Sport sei nach wie vor zu sehr auf männliche Blicke ausgerichtet, konnte man da lesen. Während männliche Sportler je nach Disziplin lange oder kurze Hosen tragen dürfen, sind bei den Frauen knappe Outfits der Standard. Statt für ihre sportliche Leistung beurteilt werden – so der Usus in der Berichterstattung – seien Turnerinnen genötigt, mehr durch ihr Aussehen, als durch ihr Können zu überzeugen. Das Ganzkörper-Outfit sei ein Protest gegen die Sexualisierung des Frauensports und für den Fokus auf die sportliche Leistung der Frauen.
Die Sportlerinnen selbst erklärten ihren Kleiderwechsel anders. Elisabeth Seitz, eine der Kunstturnerinnen, erläuterte im Interview mit „Eurosport“, dass es den Frauen vor allem um die Wahlfreiheit des Outfits ginge. „Wir wollen zeigen, dass der Turnsport wunderschön ist und dass es dabei nicht darum geht, was man trägt. Das Wichtigste ist, dass sich die Turnerin wohlfühlt“, sagte die 27-jährige. Obwohl die langen Anzüge schon länger erlaubt sind, werden sie faktisch kaum getragen – das setze manche Turnerinnen unter Druck, die kurzen Outfits zu anzuziehen, obwohl sie sich darin unwohl fühlen. Das, so Seitz, wollen die deutschen Turnerinnen ändern.
Team-Kollegin Sarah Voss, die gerade mal 21 Jahre alt ist, erklärte im April in einem Interview mit der WELT, dass auch die Angst vor peinlichen Bildern im Internet eine Rolle spiele. Sie fühle sich manchmal „wie auf dem Präsentierteller“, wenn sie bei den Übungen die Beine spreizt und die Fotografen „ihren Job machen“. In den langen Outfits wiederum fühlen sich die jungen Sportlerinnen machmal wohler, gerade wenn sie ihre Periode haben oder aus anderen Gründen mal unzufrieden mit ihrem Körper sind. Zum Kleiderwechsel, so Voss, sei es dadurch gekommen, dass eine der Sportlerinnen bei den Turniervorbereitungen zur Trainerin gesagt habe, dass sie sich in den kurzen Outfits „fast nackt“ fühle. Daraufhin sei der neue Anzug entworfen worden.
Mit einem Protest gegen Sexismus habe das Ganze aber nichts zu tun. Voss erklärte: „Sexismus ist ein großes Wort, hat eine enorme Bedeutung. Das kann man nicht einfach so auf eine Sportart übertragen, die viel mit Ästhetik und Bewegung arbeitet. […] Wir wollten […] nicht sagen: So sollte jetzt jede antreten, damit wir alle nicht nur auf unseren Körper reduziert werden.“ Außerdem könne man „nicht das Weibliche aus dieser Sportart herausnehmen“.
Was die Medien als Kampf gegen Sexismus feierten, schien mit nüchternem Auge betrachtet nicht mehr als Unsicherheit junger Sportlerinnen mit ihrem Körper zu sein. Doch die Debatte um das „Wohlfühlen“ im Leistungssport ist nicht weniger befremdlich als die feministischen Parolen der Medien. Seit wann muss sich ein Leistungssportler „wohlfühlen“? Man stelle sich nur mal vor, ein Profi-Fußballer würde um bequemere Fußballschuhe bitten, damit er sich „wohler“ fühlt. Oder um eine Pinkelpause vor dem Elfmeter, damit der Harndrang ihn nicht vom Torschießen ablenkt. Ihm wäre das Gelächter tausender Fans sicher.
Im Leistungssport geht es eben nicht um‘s Wohlfühlen. Es geht darum, körperliche Höchstleistungen zu bringen – das ist der Job des Sportlers. Sein „Gefühl“ dabei sollte Nebensache sein. Ein Chirurg zieht ja auch nicht im OP plötzlich seine Handschuhe aus, weil die Hände darunter unangenehm schwitzen – stattdessen ist er damit beschäftigt, möglichst keine Organe oder Gefäße zu verletzen.
Doch wie sich schon bei der Fußball-Europameisterschaft gezeigt hat, scheint es in Sportturnieren zunehmend nicht mehr um Leistung zu gehen. Wichtiger sind Haltungsdemonstrationen, wie das Niederknien für George Floyd unserer Fußball-Nationalmannschaft oder nun eben „Ganzkörperanzüge zum Wohlfühlen“. Nur für Medaillen reicht es bei den ganzen Statement-Aktionen nicht mehr. Weder unsere Fußballer bei der EM, noch unsere Turnerinnen bei Olympia haben es auf’s Treppchen geschafft. Das neue Motto des deutschen Sports scheint zu sein: Wer braucht schon Titel, wenn er sich mit der richtigen Haltung rühmen kann. Der olympische Kampfgeist aber bleibt dabei auf der Strecke.
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