Lauterbach und Lanz – das Ende einer Romanze? 

Von Marius Marx | Alles begann am 05. März 2020. Am Abend dieses kühlen Märztages saß Karl Lauterbach – zu diesem Zeitpunkt lediglich einfacher SPD-Bundestagsabgeordneter – zum ersten Mal als Gast in der Talkshow von Markus Lanz, um über das neuartige SARS-CoV-2, das sich von China aus über die Welt verbreitete, zu sprechen. Doch das sollte bei weitem kein einmaliges Ereignis bleiben. Ganz im Gegenteil: Dem geneigten Fernsehzuschauer wurde es bald ein nur allzu vertrautes Bild, Lauterbach bei Illner, Maischberger oder Lanz als Diskutanten sitzen oder zugeschaltet zu sehen. 

Ein einziges Virus und dessen mediale Behandlung reichte aus, um Lauterbachs Hinterbänkler-Dasein, das weitgehende öffentliche Desinteresse an seiner Person und seine eher stockende Karriere in der bundesdeutschen Politik grundlegend und nachhaltig zu verändern. Über Nacht, geradezu von einem auf den anderen Tag, wurde er plötzlich zu einem der nachgefragtesten und bekanntesten öffentlichen Personen der Bundesrepublik.

Teilte er sich 2020 mit 14 Auftritten noch gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den ersten Platz auf der Liste der Talkshow-Gäste mit den meisten Fernsehauftritten, so avancierte er 2021 mit unglaublichen und bislang unerreichten 29 Talkshowauftritten zum unangefochtenen Spitzenreiter in dieser Kategorie. Von diesen insgesamt 43 Auftritten verbrachte er 28 alleine bei Markus Lanz. Sowohl für 2020 als auch für 2021 belegt Lauterbach damit bei Lanz den zweiten Rang. Häufiger eingeladen wurden nur Elmar Theveßen (2020) und Robin Alexander (2021). Zum Vergleich: Der tatsächlich qua seines Amtes für das Pandemiemanagement und die Gesundheitspolitik in Deutschland verantwortliche Jens Spahn war in den ersten beiden Pandemiejahren insgesamt nur elf Mal Talkshow-Gast. Und das, obwohl dort Corona der mit weitem Abstand am häufigsten besprochene Themenkomplex war.

„Morgen ist Markus Lanz zu Gast bei Karl Lauterbach!“

Zeitweise war Lauterbach in der deutschen öffentlich-rechtlichen Talkshow-Landschaft so dermaßen omnipräsent, dass es, wenn vom ZDF wieder einmal ein weiterer Lauterbach-Auftritt angekündigt wurde, auf Twitter bald regelmäßig scherzeshalber hieß: „Morgen ist Markus Lanz zu Gast bei Karl Lauterbach!“. 

Aber nicht nur in Talkshows, auch allgemein wurde er im Vergleich zu anderen Experten in der medialen Berichterstattung zunehmend dominanter. Ab Januar 2021 hat er Christian Drosten so als öffentlich präsentesten „Pandemie-Experten“ abgelöst und diesen Status seither auch nicht mehr abgegeben. Durch seine zahlreichen Auftritte erarbeitete er sich dabei rasch das Image eines „Mahners vom Fach“ und wurde zur Symbolfigur einer möglichst restriktiven Corona-Politik. Immer mehr verschwamm und verwischte bei all dem Mahnen, Warnen und Spekulieren dann aber auch die Trennlinie zwischen Lauterbach dem (Gesundheits-) Politiker und Lauterbach dem „Wissenschaftler“. Irgendwann konnte man sich der Frage schlicht nicht mehr erwehren, ob er gerade eigentlich im Namen seiner Partei oder im Namen „der Wissenschaft“ spricht. 

Einem Großteil der traditionell autoritätshörigen deutschen Bevölkerung, die sich zwar anderthalb Jahre maßlos über den föderalstaatlichen „Flickenteppich“ und die daraus resultierende Uneinheitlichkeit der Corona-Regeln, nicht aber über dessen Unverhältnismäßigkeit beschwerte, erschien Lauterbach durch seine Doppelrolle gleichwohl als die Idealbesetzung für den Posten des Gesundheitsministers. Wäre allerdings Christian Drosten neben seiner Rolle als Virologe an der Berliner Charité zufällig parallel auch noch SPD-Mitglied gewesen, so wäre er im Herbst 2021 vermutlich ein ebenso heißer Kandidat für das Amt wie Lauterbach gewesen. So allerdings erfüllte nur Lauterbach die Voraussetzungen. Nur in ihm erblickte eine verängstigte Masse mit populistischem Sicherheitsbedürfnis, bestehend aus Twitter-Zwangsneurotikern und senilen Lanz-Zuschauern, den starken Mann, der mit konsequent harter Hand ein für alle Mal dieses tückische Virus des Landes verweisen und Deutschland ins Paradies der Virenfreiheit führen könne.

Ihr wollt ihn – ihr kriegt ihn

Als dann angesichts des vorläufigen Höhepunkts der Pandemie die Benennung eines Nachfolgers für Jens Spahn Anfang Dezember 2021 als eine der spannendsten Fragen der Koalitionsverhandlungen und Kabinettsbildung galt, war Karl Lauterbach wenig überraschend einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Am 06. Dezember 2021 war es dann tatsächlich so weit: Lauterbach wurde Gesundheitsminister – der größte Erfolg seiner Karriere. Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, twitterte aus diesem Anlass euphorisch: „Nikolaus ist, wenn Wünsche erfüllt werden. Ihr wolltet ihn – ihr kriegt ihn. Gesundheitsminister Karl Lauterbach!“

http://web.archive.org/web/20211206091620/https://twitter.com/KuehniKev/status/1467784897221865476

Dieser Tag war bei den auf Twitter unter dem Namen „Rotpunkt-Fraktion“ bekannten Corona-Panikern neben dem Tag ihrer Impftermine vermutlich der glücklichste Tag der Pandemie. Doch auch ihre Hoffnungen konnten nicht nachhaltig erfüllt werden. Seine Regeln seien zu lasch, die Lockerungen verfrüht, seine Politik kindergefährdend und er gegenüber Buschmann nicht durchsetzungsfähig genug, hieß es da unter anderem. Einige Ultra-Hardliner sahen in ihm bald gar schon einen „Querdenker“. Und darauf, dass die Maßnahmenkritiker mit seiner Politik noch viel weniger einverstanden waren und sind, muss erst gar nicht hingewiesen werden. 

Und bei aller Kritik muss man aber auch anerkennen: Lauterbach ist wahrscheinlich der erste deutsche Politiker, dem es gelungen ist, sich durch sein Twitter-Auftreten und seine symbiotische Beziehung zu Markus Lanz und der sonstigen Talkshow-Landschaft, zu einem Bundesminister aufzuschwingen. Nun aber machen sich in der bisher so reibungslos verlaufenen Beziehung zwischen den Beiden erste Risse bemerkbar. In der Lanz-Sendung vom ersten September ließ sich der in dieser Hinsicht doch eher zurückhaltende Lanz tatsächlich zu der ein oder anderen kritischen Frage hinreißen. Unter anderem fragte er, ob das Coronavirus durch Impfstoffe, Medikamente und immer harmlosere Varianten nicht seinen Schrecken längst eingebüßt hätte und dadurch zu einem allgemeinen Lebensrisiko geworden sei, dem ein jeder Bürger eigenverantwortlich begegnen könne.

Der große Bruch

Doch zum regelrechten Ehekrach weitete sich die Talkrunde aus, als Lauterbachs desaströse Pandemiekommunikation zum Gegenstand der Diskussion wurde und diese sich von allen Seiten ernstlicher Kritik ausgesetzt sah. Zudem drückte sich in der Sendung ein in Bezug auf Lauterbach mittlerweile weit verbreitetes Phänomen aus: Eigentlich niemand nahm seine zum Teil abermals abenteuerlichen Ausführungen noch ernst. Und noch schlimmer: Lanz brach dabei mehrmals in schallendes Gelächter aus. Highlight der Runde war dann aber sicherlich der Augenblick, als gerade Lauterbach allen Ernstes versuchte, dem ebenfalls anwesenden Generalsekretär der CDU, Mario Czaja, Ratschläge im Hinblick auf – Achtung! – seine politische Kommunikation zu erteilen. Czaja lehnte dankend ab und spätestens dann konnte Markus Lanz sein Lachen nicht mehr zurückhalten. Das Ende einer glücklichen Romanze? Einiges deutet darauf hin. Denn mittlerweile haben nicht nur eigentlich alle Staaten, sondern auch die Mehrzahl der Wissenschaftler welt- und europaweit das sinkende Schiff der Corona-Maßnahmen verlassen.

Nur Karl Lauterbach, die „ewige Unke der Pandemie“, der seinen Karrieresprung ins Ministeramt überhaupt nur der Pandemie, den Medien und seinem harten Kurs verdankt, denkt überhaupt nicht daran dieses Schiff zu verlassen. Denn ohne dieses Schiff wäre er nichts und drohte schleichend wieder in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Mit ein wenig Fantasie könnte man beinahe auf die Idee kommen, dass gerade in seiner Furcht vor diesem Zustand der politischen Irrelevanz, die eigentliche Ursache seines nicht enden wollenden Geisterfahrer-Kurses im Pandemiemanagement zu suchen ist. Rationale Gründe gibt es freilich keine. Und um seinen gleichwohl unumgänglichen Bedeutungsverlust zumindest hinauszuzögern, warnt er – um im sprachlichen Bild zu bleiben – von der Brücke des Schiffes vor immer neuen Unwettern, Tsunamis, Monsterwellen und gefährlichen Riffen und zwingt deswegen die Passagiere zum fortgesetzten Tragen von Schwimmflügeln und Rettungsringen – obwohl das Schiff für jeden ersichtlich längst wieder in den sicheren Hafen eingelaufen ist. 

Dass Lauterbachs Romanze mit Lanz in die Brüche zu gehen scheint, dass er öffentlich verlacht und von der Fachwelt nicht mehr ernst genommen wird, sind die ersten deutlichen Vorboten seines unvermeidlichen Bedeutungsverlustes. Dieser hat sich nun auch erstmals in seiner Beliebtheit niedergeschlagen. Seit August hat Lauterbach so 0,3 Beliebtheitspunkte im ZDF-Politbarometer eingebüßt. Er versucht zwar mit allen Mitteln seine öffentliche Präsenz künstlich auf hohem Niveau zu halten, aber auf Dauer kann und wird ihm das nicht gelingen. Der erste Schritt dahin ist getan. Markus Lanz´ herzhaftem Lachen sei Dank. Und so kommt es wie es kommen musste: Eben der Lanz und eben die Medienlandschaft, die einst maßgeblich zu seinem Aufschwung und Aufstieg beigetragen und ihn bis ins Gesundheitsministerium geschrieben hat, sorgt nun für seinen Abschwung und wird schließlich ebenso maßgeblich für seinen überfälligen Absturz sorgen.



1 Antwort

  1. Peter H. sagt:

    Markus Lanz hat Karl Lauterbach freiwillig und ohne Not eine Bühne gegeben. Was wäre die gerechte Strafe dafür? Lauterbach auf Lebenszeit als Gast in der Show?