Kreidetafel in der Raumschiffschule

Von Selma Green | „Das kann ja heiter werden“, dachte ich mir, als die Handwerker gerade die geliebte Kreidetafel unserer Mathelehrerin aus dem Schulgebäude schleppten. An deren Stelle thronte jetzt ein Smartboard. „Die Mathelehrerin kennt sich so gut mit Technik aus, wie Rapunzel mit Haareschneiden“, seufzte ich. Meine Schule stockt neuerdings auf mit modernem Zeugs wie iPads und neuen Smartboards. Damit können die meisten älteren Herrschaften meiner Schule wenig anfangen. Nein, unsere Biologielehrerin entstaubt dann lieber den Overheadprojektor. In meiner Klasse geht ein Raunen durch die Menge, wenn wir allein die quietschenden Reifen des Tisches mit dem Overheadprojektor hören. Die Glühbirne ist nicht mehr die stärkste, sodass sich die letzte Reihe mit zusammengekniffenen Augen die Hälse verrenken muss, um etwas zu erkennen.
Unsere DDR-Mathelehrerin hat sich einmal an das Smartboard gewagt, um uns ein Video auf YouTube zu zeigen. Es scheiterte schon, als sie die Suchzeile suchte und nicht verstand, was sie machen soll. „Hoppla, was muss ich denn hier tun?“ Mehrere Schüler versuchten sie zu navigieren: „Da oben diese lange weiße Zeile!“, ein anderer rief: „Mit dem Symbol, mit der Lupe!“, wieder ein anderer plapperte rein: „Sie müssen mit der Maus darauf klicken!“ Die Mathelehrerin blickte fragend in die Runde. Als sie merkte, dass es hoffnungslos war, bat sie einen Schüler, das Video aufzurufen.
Wir bekommen haufenweise neue Technik, mit der sich nur die Hälfte der Lehrer auskennt. Die Overheadprojektoren werden an meiner Schule immer öfter hervorgekramt und gleichzeitig erhielt meine Schule vor zwei Jahren das Qualitätssiegel „Exzellente digitale Schule Berlin 2020-2024“. Ich habe keine Ahnung, wie meine Schule an dieses Siegel gekommen ist. „Exzellent digital“ ist was anderes. Einige Lehrer versuchten einmal, eine Kunstausstellung von Schülern live über YouTube zu filmen. Das Bild blieb hängen und der Ton wollte auch nicht mitspielen. Es lag am Internet, das genauso gut funktionierte wie mein Kindheitswunsch, Prinzessin zu werden. Auf einer Veranstaltung für den 10. Jahrgang stellten Lehrer den Grund- und Leistungskurs ihres Faches vor. Das Mikrofon hatte den Geist aufgegeben, obwohl es noch von der Verpackungsfolie glänzte. Mit hochroten Köpfen mussten uns die Lehrer also entgegen brüllen, wie toll ihre Kurse sind. Ich habe trotzdem nur die Hälfte verstanden. Na toll, da bin ich schon auf einem MINT-Gymnasium mit einem Haufen von Schülern und Lehrern, die Informatik mögen, und die Technik spinnt, nicht einmal das Internet funktioniert richtig. Mein Gymnasium ist eines der Top Fünf in Berlin und man bemüht sich nicht einmal um funktionierende Technik.
Von all dem Technikkram an meiner Schule kann man sich auf den Overheadprojektor und vielleicht noch auf die Smartboards verlassen. Hinter dem Qualitätssiegel „Exzellente digitale Schule Berlin 2020-2024“ verstecken sich ein Haufen von Technikproblemen an meiner Schule, das finde ich bitter. Ich vermute, dass meine Schule in Zukunft immer wieder mit neuen Geräten vollgestopft wird. Am Ende versteht nur die halbe Lehrerschaft etwas von der Technik und der Overheadprojektor kommt wieder zum Einsatz. Innovation als Selbstzweck heißt die Devise. Denn dieser ganze Kram soll nicht den Lehrern die Arbeit leichter machen und das tut es auch kein Stück, eher im Gegenteil. Es soll auch nicht uns dabei helfen, den Lernstoff besser zu lernen – eher wird uns wertvolle Unterrichtszeit geraubt, weil die Suche nach dem Safari-Symbol jede Stunde aufs Neue anfängt. Nein, das Ganze soll nur dafür sorgen, dass unsere Schule sich mit neuen Titeln behängen kann und die Politiker sich auf die Schulter klopfen können, weil sie ja ganz toll für Digitalisierung an den Schulen gesorgt haben. Da nehm ich doch lieber die Kreidetafel.
Ist mir ein Rätsel, wie man einerseits auf Digitalisierung setzen und andererseits die Stromerzeugung runterfahren kann…
Sowas lernen die Kinder heute von den Erwachsenen: kindliches Wunschdenken. Bzw. sind da wahrscheinlich sogar meist die Kinder schon schlauer – wie im Beitrag schön beschrieben.
Ist die Rede von Digitalisierung, gilt die 90/10-Regel. 90 Prozent sind leeres Geschwätz von Lehrern und Politikern, die bereits an der Gesichtserkennung des iPhones scheitern (weil sie die Maske noch auf haben). Übrig bleiben 10 sinnvolle Prozent: funktionierendes, schnelles Internet und moderne PCs für den Informatik-Unterricht. Apropos Unterricht: während meines Informatik-Studiums waren die Vorlesungen, bei denen der Professor den Programmcode bzw. die Mathe-Formeln mit Kreide an die Tafel geschrieben hat, mit Abstand die besten. Ein einziges Mal hat’s ein Prof mit dem Smartboard versucht. Dabei blieb es dann aber auch – zum Glück!