„Keiner hat mich geprägt wie er“ – ein Porträt des großartigen Albert Camus

Von Jerome Wnuk | Es ist die Geschichte eines vom Schicksal gebeutelten Mannes, der es vom harten Algerien in die Riege der französischen Intellektuellen geschafft hat – und als er diesen in der Frage des Kommunismus widersprach, verbannt wurde. Es ist die Geschichte eines unbestechlichen Schriftstellers, der am eigenen Leib die Kälte des menschlichen Seins erleben musste und der Absurdität der Welt wie kein anderer ins Auge blickte. Es ist die Geschichte eines Menschen, der schon mit seiner Lebensart die Frauen seiner Zeit und die Philosophen von heute beeindruckte. Es ist die Geschichte von Albert Camus.
Camus schuf Werke und Sätze, die wie unverrückbare Felsen in der Geschichte der Philosophie stehen. Camus war in kein Schema einzuordnen, kein klassischer Philosoph (den Begriff hätte er als Beleidigung vernommen), er war ein Mythos, etwas, was es so noch nicht gab und wohl kaum mehr geben wird. Camus wird sich einem nie ganz erschließen und trotzdem: kein anderer Literat hat mich so geprägt und fasziniert wie Albert Camus.
Am 4. Januar jährte sich der Todestag des französisch Schriftstellers Albert Camus zum 63sten Mal. 1960 war der damals erst 46-jährige Camus als Beifahrer in der Nähe des kleinen französischen Dorfes Villeblevin tödlich verunglückt. Drei Jahre zuvor wurde er der zweitjüngsten Literatur-Nobelpreisträger. Albert Camus ist eine Ikone, der bestaussehende französische Schriftsteller aller Zeiten und einer der bedeutendsten Denker und Autoren seines Jahrhunderts. Ich könnte mich jetzt in einem Aufsatz verlieren, wieso die Romane und philosophischen Werke Camus so bedeutend waren und welche Schlüsse und Aphorismen Camus in seinen verschiedenen Büchern und Artikeln einbaut und warum diese gerade so bedeutend sind. Das möchte ich aber nicht tun, stattdessen möchte ich euch den Mensch Albert Camus näher bringen. Wer war der „fremde Straßenjunge“, der sich in die chice Pariser Intelektuellenszene mogelte und diese für Jahre prägte? Wer war dieser eloquente Denker, der die Frauen seiner Zeit um die Finger wickelte? Wer war dieser Schriftsteller, der mit seiner Unbestechlichkeit sich Stauen und Verärgerung einbrachte? Wer war Albert Camus, der vor 63 Jahren auf einer Autofahrt nach Paris in einem Baum zerschellte, weil er, trotz schon gekauften Zugticket, lieber mit einem Freund mitfuhr?
DER MENSCH CAMUS
Trenchcoat, Zigarette im Mundwinkel und mit einem Lächeln. So kennt man Camus. Doch je begrenzter seine Auswahl der Kleidung, umso facettenreicher ist seine Biographie: Camus Leben ist geprägt von schweren Schicksalsschlägen. Er wächst ohne Vater auf, erkrankt früh an Tuberkulose und seine Beziehung zur Mutter ist von Stille und Distanz geprägt. Er wird in Algerien groß, lebt in einer kalten Wohnung ohne Toilette, erst bei seiner Mutter, schließlich sogar bei seiner Großmutter. Algerien ist zur Zeit Camus politisch nicht stabil, arm und gilt als verrufen. Bis zuletzt wird Camus mit dem Stempel „Algerenfranzose“ zu kämpfen haben. Doch er wehrt sich gegen sein schweres Schicksal, kämpft sich von der Schule hoch in die Universität. Schnell wird aus dem schmächtigen, stillen Gassenjungen ein strebsamer Schüler. Das wird jedoch vom nächsten Schicksalsschlag vorerst beendet.
Camus erkrankt mit 16 an Tuberkulose und erkennt dabei am eigenen Leib, dass der Mensch der Zeit ausgeliefert ist und die Welt ihm den Sinn, nach dem er strebt und sucht, verweigert. Doch auch das hindert Camus nicht, sich gegen die Absurdität des Lebens zu wehren und zu revoltieren. Camus studiert anschließend Philosophie in Algier, da sein Lehrer ihm ein Stipendium vergibt, hangelt sich anschließend von der Arbeit als Journalist bis zu politischem Engagement durch verschiedene Berufsfelder. Er schreibt erste Romane, ist als Theaterautor unterwegs und setzt sich journalistisch vor allem für die im französischen Algerien stark benachteiligten Berber ein. Er schreibt gegen das Establishment, berichtet schonungslos über die Missstände seiner Heimat, entsagt sich jeden abstrakten Werten und Ideologien und erarbeitet sich Stück für Stück Bekanntheit.
Seine Romane „Die Pest“ und „Der Fremde“ schlagen voll ein, Camus Stimme in Frankreich wird lauter. Während seines ersten längerem Aufenthalts in Frankreich befindet sich die Grande Nation im Zweiten Weltkrieg. In der Zeit deutscher Besetzung schließt sich Camus der Resistance-Bewegung an und kämpft gegen starre Ideologien und Unmenschlichkeit. Die Zeit in der Resistance prägt Camus nachhaltig. Camus Lebensstil entspricht nach dem Krieg dem Bild eines Filmstars: Er trägt coole Klamotten, raucht auf jedem Bild, ist ständig unter Leuten und hübschen Frauen. Er bleibt trotzdem der Außenseiter unter den französischen Intellektuellen: Der „Gassenjunge“, wie ihn Sartre spöttisch nannte, schreibt ewig lange und gewaltige Liebesbriefe, schwelgt in langen Texten in Gedanken an die Natur seiner Heimat. Damit ist er das Gegenteil von den sonst gefühlskühlen, nüchternen Intellektuellen Frankreichs. Er bleibt auch Außenseiter in seinem philosophischen Denken und seinem Argwohn, auf absolute Wahrheiten zu blicken. Camus ist schließlich für Umdenken offen: War er Zeit seiner Jugend noch nihilistisch, erkennt er jetzt, dass das ständig erfolglose Streben nach dem Sinn des Lebens zwar in der absurden Welt erfolglos bleiben wird, das ständige Auflehnen und Weiterstreben am Ende aber das „Glück“ im Lebens bringt. Camus wird warm mit dem Sein und reist viel, kriegt mit seiner Freundin Zwillinge und wird ein entschiedener aber zuvorkommender Vater. Die Jahre danach kämpft er mit seiner Tuberkulose und schreibt viel. 1957 wird er mit einem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. 1960 stirbt Camus im Alter von 46 Jahren, zu früh.
DER PHILOSOPH CAMUS
Camus ist ein Philosophen-Rockstar. Seine Werke bewegen, empören, sorgen für Aufruhe. Camus Philosophie ist leicht zugänglich, oft wurde ihm vorgeworfen, er wäre ein Philosoph für die Jugend. Das was damals alte, starre Franzosen ihm vorwerfen, ist eigentlich sein größter Reiz: Camus Philosophie ist jung, wild, frei. Es bedarf keine Reife, keine Vorkenntnis, Camus zu lesen. Camus denkt so nahe es geht am Leben, an Emotionen, die den Körper durchfluten, oder an der Angst die das Leben bringt. Es ist eine Kampfansage an die verstaubte Elterngeneration, an starre Ideologen und Zeigefinger hebenden Theoretikern.
Camus will alles: In seinen Werken geht es ihm nicht um das Subjekt wie bei Sartre, sondern um’s Ganze: die Existenz des Menschen, den Sinn des Lebens. Wie verhalten wir uns der Welt gegenüber? Camus hat unzählige tolle Tagebücher verfasst, mit spektakulären Sätzen und wilden Gedanken. Seine Werke sind mehr eine Art Kampf mit sich selbst, als ein trockenes, theoretisches Diktat. So geht es in „Der Mythos des Sisyphos“ wortgewandt um die Frage, wie der Mensch der Welt entgegentreten muss – ein anderes Mal stellt Camus die Frage: „Should I make myself a cup of coffee or kill myself?“ und geht so mit derselben Frage um. Da man das philosophische Werk Camus unmöglich in aller Kürze zusammenfassen kann, sei nur eins zu Camus Gedanken zur Welt um dem Sein gesagt, ein Gedanke der aber den Blick auf die Gegebenheiten der Welt für mich stark verändert hat.
„Das Absurde“ wie es Camus nennt, das unausweichlich und allumfassend jedem von uns begegnet, „der Zusammenprall des menschlichen Rufes (nach Sinn) mit dem unendlichen Schweigen der Welt“ muss der Mensch im Laufe seines Lebens unaufhörlich hinnehmen. Doch für Camus gilt es, anders als zu anderen Schriftsteller, die in der Religion oder Ideologien eine Antwort suchen, trotz aller Stille, weiter zu rufen und sich der Sinnlosigkeit zu verweigern. Es gilt also zu Kämpfen, sich zu wehren, sich nicht zufrieden zu geben. Dieser Kampf ist die eigentlich sinnstiftende Tätigkeit des Lebens, er bringt Glück. Seinen eigenen Sinn in einer sinnlosen Welt finden, das ist die Aufgabe des Menschen. Wenn also die äußeren Bedingungen seines Lebens absurd und schlecht sein mögen, muss man weiter kämpfen, die Sinnlosigkeit verweigern und ein Sinn und das Glück für sich selbst suchen. Aufgeben ist nicht erlaubt. Der Mensch ist selbst ermächtigt, seinen Sinn zu erkämpfen und nach ihm zu streben und nicht Untertan eines übergeordneten Sinnes zu sein. In der Welt gibt es kein Plan, außer der Mensch schmiedet ihn. Das ist ein motivierender Gedanke, nach seinem Glück zu streben, auch wenn die Welt dir teilweise Steine in den Weg legen zu scheint.
DER REBELL CAMUS
Ein weiterer Grund mit Camus zu sympathisieren: Camus war die Meinung des Establishments egal. Zeit seines Lebens hat er sich gegen jeden Mainstream aufgelehnt und hat mit vollem Willen seine Ansichten verteidigt und in die Welt posaunt. Erst kämpfte Camus als junger Journalist gegen die Ungerechtigkeiten im von Frankreich geführten Algerien. Camus kritisierte laut und blendete Kritik von oben aus. Für die Kommunistische Partei in Algerien, der er für eine kurze Zeit beitrat, war er zu unorthodox und widersprach der vorgegebenen Ideologie. Und wurde nach kürzester Zeit herausgeworfen und verklärt. Als Paris von den Nationalsozialisten besetzt wurde, war Camus Teil der Resistance und kämpfte auch hier mit Herz und Seele gegen die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus. Sein größter Rebellierakt jedoch sollte erst nach dem Krieg kommen. So war er seit 1943 in der Intellektuellenszene Frankreichs anerkannt, genoß hohes Ansehen, stand in gutem Kontakt mit dem berühmten Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Sie bildeten das Dreier-Gespann der populären Existenzialisten. Camus war ein Star: Doch er pfiff auf das hohe Ansehen, auf die Popularität, in gewisserweise auch auf das Geld und stellte sich rebellisch gegen das bei Sartre angehimmelte Sowjetregime der UdSSR. Die UdSSR stand bei Sartre und Beauvoir hoch im Kurs, Camus sollte einlenken.
Doch Camus wendete sich entschieden gegen eine Politik, die im Namen der Geschichte Unrecht im eigenen Lager zu legitimieren versuchte, wie die der Sowjetunion. Er machte auf die klare Verbindung zwischen den totalitären Nationalsozialisten und dem Kommunismus aufmerksam. Ein Akt der Rebellion: Denn damit stellte er sich gegen die geltende Meinung in dem intellektuellen Kreis der damaligen Zeit und gegen Sartre als großen Verfechter der UdSSR. Den Streit mit ihm scheute Camus nicht. Er ist gewohnt, zwischen den Fronten zu stehen. Aufgrund seines Rebellierens fällt er in Missgunst und wird von Sartre und Beauvoir schließlich ausgeschlossen und lächerlich gemacht. Sie spotten über Camus, nennen ihn dummen „Gassenjungen“. Für Sartres Charakter war das bezeichnend. Für Camus ein Kompliment. Denn er bleibt seiner Philosophie, sich konsequent gegen starre Ideologien und Unmenschlichkeit zu stellen, treu, koste es was es wolle. Ein echter Rebell.
DER CHARMEUR CAMUS
Tja und schließend muss man festhalten, dass Camus auch verdammt gut aussah. Sozusagen das Gegenteil zu den meist alten, nicht ansehnlichen Philosophen, die man so im Ethik-Unterricht kennengelernt hat. Camus wusste das zu nutzen: So wild wie sein Leben war, waren auch seine Liebesbeziehungen. Sein Leben war vollen Frauen, meist Schauspielerinnen, Journalistinnen oder Künstlerinnen. Erst heiratet er die begehrte Simone Híe, ist jung und verliebt. Die Ehe zerbricht jedoch früh, da sich beide im Rausch verlieren, Camus im Rausch der Zeit, Híe im Rausch der Drogen. Als Camus gerade 30 ist beginnt jedoch die wohl wildeste Liebesgeschichte seines Lebens, die zweifellos Filmpotenzial hat. 1944 lernt er die damals er 22-jährige Schauspielerin Maria Casares kennen. Es ist von beiden Seiten ein klassischer „Coup de foudre“, Liebe auf den ersten Blick. Nachdem der Theaterregisseur Marcel Herrand ihr wenig später die Rolle in Camus’ neuem Stück «Le Malentendu» anvertraut, werden sie und Camus während der Proben am 6. Juni, dem Tag der Landung der Alliierten in der Normandie, ein Paar. Danach verlieren sie Kontakt, wohl auch weil Camus zu dem Zeitpunkt verheiratet ist und Vater von Zwillingen wird. Es werden vier Jahre vergehen, bis sich Camus und Casares am 6. Juni 1948 per Zufall auf dem Boulevard Saint-Germain wieder über den Weg laufen und sich sofort wieder verlieben. Schnell werden sie zu Pariser Berühmtheiten. Doch immer wieder gibt es monatelange Phasen des Getrenntseins, auf die beide gereizt reagieren. Camus fällt sogar in Depressionen, so verliebt ist er. Dass Camus und Casares ein Verhältnis hatten, wusste in den vierziger und fünfziger Jahren ganz Paris, selbst Camus‘ Ehefrau. Trotzdem reißt der Kontakt zu Casares nicht ab, Camus weiß, dass er Familie und Kinder nicht verlassen kann, Casares zu verlieren würde er jedoch auch nicht vertragen. In 15 Jahren schreibt Camus Casares 800 seitenlange Liebesbriefe. Insgesamt senden sich die beiden 1200 Seiten an Briefen. Schon ein bisschen wahnsinnig.
FAZIT
Albert Camus wird für immer ein Mythos bleiben. Ein beeindruckender Literat mit einzigartigem Denken, ein Rebell, der dem Mainstream seiner Zeit entsagte und ein Mensch, der vom Leben gezeichnet seinen Kopf oben behielt. Ein Blick in seine Werke lohnt sich also ungemein, gerade da Camus leicht zu lesen ist und schnell zur Begeisterung führt. Sein 63ter Todestag könnte ja ein Aufhänger dafür sein.
Schönes Portrait, vielen Dank!
Danke für den Tip.