Kate Bush: Der Weltstar hinter dem Nr. 1-Hit „Running Up That Hill“

Von Jonas Kürsch | Die jüngste Staffel der beliebten Netflix-Serie „Stranger Things“ löste bei vielen Zuschauern große Begeisterung aus. Beachtlich ist vor allem ihr Einfluss auf die internationalen Musikcharts, denn die Serie verhalf der Sängerin Kate Bush zu einem ungewöhnlichen Weltrekord: ihre surreale Synth-Pop-Song „Running Up That Hill“, der in der Serie mehrmals prominent in Szene gesetzt wurde, schaffte es knapp 37 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in etlichen Ländern erstmals auf Platz 1 der nationalen Chartlisten.
Kaum einem anderen Künstler ist jemals ein vergleichbarer Erfolg gelungen. Überraschend ist der Erfolg dieses einzigartigen Liedes für mich nicht. Mit ihrer expressiven Stimmgewalt und den traumartigen Instrumentalklängen ihrer Songs, sorgt Bush schon seit den späten 1970er Jahren wie keine andere für einen musikalischen Romantizismus. Als großer Fan der Sängerin freue ich mich ungemein über das neuaufkeimende Interesse an Kate Bush, doch ich denke, dass es zutiefst oberflächlich wäre, ihr vielschichtiges und bahnbrechendes Lebenswerk ausschließlich auf „Running Up That Hill“ zu beschränken (obwohl ich auch dieses Lied für brillant halte, bitte verstehen Sie mich nicht falsch!). Angesichts des im September bevorstehenden vierzigjährigen Jubiläums ihres wohl exzentrischsten Albums „The Dreaming“ möchte ich den Blick auf die einzig- und eigenartigsten Lieder im Werk der Art-Rock-Pionierin richten.
Von Emily Brontë bis Bertolt Brecht
Schon 1973, im zarten Alter von 15 Jahren, wurden erste Musikproduzenten und der Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour auf das Talent der jungen Britin aufmerksam. Bis dahin hatte sie schon etliche Songtexte samt Klaviernoten geschrieben und anschließend ihr erstes Demo aufgenommen. Es bestand kein Zweifel daran, dass Bush eine große Karriere bevorstehen würde, nur war sie noch zu jung und viel zu sensibel, um schon jetzt dem großen Druck des Showgeschäfts ausgeliefert zu werden. Man entschied sich, ihr die Möglichkeit zur Reife fernab des Rampenlichtes zu ermöglichen und wartete mit der ersten Plattenaufnahme bis zum Jahre 1978.
Im Alter von 19 Jahren veröffentlichte sie dann ihr Debütalbum „The Kick Inside“, das in Großbritannien zu einem kommerziellen Riesenerfolg wurde. Vor allem die Single „Wuthering Heights“ (in Anlehnung an Emily Brontë’s Sturm-Und-Drang-Roman ‚Sturmhöhe‘) machte sie zur ersten englischen Sängerin, die mit einem selbstgeschriebenen Song den ersten Platz der UK Musikcharts erreichte. Mit schriller, fast schon sirenenartiger Stimme und einer bis dahin ungesehenen Mischung aus Ausdruckstanz und Pantomime, besingt Bush den tragischen Tod des literarischen Liebespaares Heathcliff und Cathy (‚Heathcliff, it’s me, Cathy, I’ve come home, I’m so cold, Let me in your window‘). Das Lied wurde zu einem europäischen Hit und selbst in Deutschland konnte man ihrer Darbietung nicht entfliehen, da der Moderator Alfred Biolek ihr in seiner Sendung Bio’s Bahnhof den allerersten Live-Fernsehauftritt ermöglichte.
Noch im selben Jahr erschien ihr zweites Album, das von Fans und Journalisten gleichermaßen zerrissen wurde. Man empfand es als unausgereifte Kopie Ihres Debütalbums. Ich teile diese Einschätzung nicht und denke, dass sie sich mit ihrer sehnsuchtsvoll klingenden Stimme und einer Auswahl von wesentlich tragischeren Texten um einiges emotionaler und persönlicher zeigte. So singt sie in „Wow“ von der lähmenden Einsamkeit des Showgeschäfts und beschreibt in „Symphony of Blue“ das Gefühl existenzialistischer Depressionen. Unvergessen bleibt für mich vor allem aber ihr komisches Lied „Coffee Homeground“, das nach eigenen Angaben durch Bertolt Brechts episches Theater inspiriert wurde. Sie singt (mit deutschem Akzent!) über die Gefühlszustände eines paranoiden Cafébesuchers, der davon überzeugt ist, der Restaurantbesitzer wolle ihn mit Rattengift ermorden (‚You won’t get me with your Belladonna – in the coffee – and you won’t get me with your arsenic – in the pot of tea!‘). Besonders amüsant sind vor allem die letzten drei Verse des Liedes, die sie in einer Art deutschem Sprechgesang vorträgt: ‚Noch ein Glas, mein Liebchen? Es schmeckt so wunderbar! Und?‘
Ihr drittes Album „Never for Ever“ ist wesentlich politischer als die ersten beiden Alben. Besonders in der zweiten Hälfte singt Bush über die großen Krisen der frühen 1980er und bekennt sich als Kriegsgegnerin und Pazifistin. In ihrem Lied ‚Army Dreamers‘ trauert eine mittellose Mutter um ihren sinnlos während eines Kriegseinsatzes verstorbenen Sohnes (‚But he never even made it to his twenties – what a waste of Army Dreamers‘). Das provokative Lied schaffte es während des ersten Golfkrieges sogar auf die Zensurliste der BBC und wurde aufgrund seiner klaren Botschaft gegen staatliche Kriegsgewalt nicht länger im Radio gespielt.
The Dreaming
Nach dem großen kommerziellen Erfolg ihres dritten Studioalbum, erteilte Bush’s Plattenfirma der Sängerin die totale Kontrolle über ihr Folgeprojekt. Erstmals konnte sie ihrer Kreativität völlig freien Lauf lassen und ihre Musik so gestalten, wie sie es sich wünschte. Das Resultat dieser grenzenloses Freiheit war eine der innovativsten Platten, die jemals produziert wurde: „The Dreaming“.
Das neue Album unterschied sich radikal von ihrem vorigen Werk: Anstatt auf klassische und romantische Element zu setzen, experimentierte sie im Rahmen von „The Dreaming“ mit neuen Instrumenten, Musikstilen und ungewöhnlichen Produktionstechniken. Unter anderem war es das erste Album der Künstlerin, in dem sie den Gebrauch eines digitalen Sampling Synthesizers in den Vordergrund ihrer Arbeit stellte. Das Gerät war in „Never for Ever“ bereits zum Einsatz gekommen, doch dieses Mal wollte sie es zum zentralen Element ihrer Musik machen. Ähnlich wie bei Public Image Limited und Peter Gabriel verhalfen ihr diese undefinierten Technoklänge zur radikalen Intensivierung der in ihren Liedern beschrieben Gefühlslagen. Hinzu kommen klug durchdachte, ungewöhnliche Textdichtungen, die „The Dreaming“ für mich zu einem der ergreifendsten und mitreißendsten Alben des 20. Jahrhunderts machen.
Inhaltlich beschäftigt sich das Album vor allem mit unerfüllten Verlangen und den schwerrealisierbaren Wünschen im Leben. Im Eröffnungslied „Sat in Your Lap“ besingt Bush den mühsamen Weg der Erkenntnisgewinnung und behandelt dabei vor allem die Frustration des menschlichen (Un-)Wissens. In eine ähnliche Richtung geht das Lied „Suspended in Gaffa“, welches sich mit der charakterlichen Eigenschaft auseinandersetzt, die schönsten Erfahrungen im Leben machen zu wollen, ohne dafür hart zu arbeiten.
Kate Bushs Einfluss ist auch heute noch spürbar
„The Dreaming“ war definitiv das Album, welches den Stil der Künstlerin etablierte. Bis in die späten 2010er Jahre veröffentlichte Bush in unregelmäßigen Abständen neue Platten. Seit ihrer letzten Konzertreihe im Jahr 2014 ist es dann recht still um die Sängerin geworden. Jetzt, wo ‚Running Up That Hill‘ ihr zu einem neuen Hype verhalf, kann man nur hoffen, dass sie sich in Zukunft eventuell wieder neuen Projekten widmen wird.
„Suddenly my feet are feet of mud, it all goes slow-mo, I don’t know why I’m crying, Am I suspended in Gaffa?“ – Kate Bush
Bildquelle: Stephen Luff from West Sussex, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons