Im Namen der Solidarität: Italienischer Verfassungsgerichtshof erklärt Impfpflicht für rechtmäßig
Von Elena Klagges | Am Donnerstagabend, pünktlich zu den Nachrichten um 20:00 Uhr, veröffentlichte der italienische Verfassungsgerichtshof sein Urteil über die Impflicht im Gesundheitswesen, bei der Polizei, den Lehrern und für die über 50-jährigen, sowie über die Sanktionen, die einer Impfverweigerung folgen. Seit dem 10.01.2022 galt in Italien für diese Personengruppen eine Impflicht, die mit bis zu 1.500 Euro oder mit völliger Suspendierung von der Arbeit sanktioniert werden konnte. Diese Regelungen sollten für das Gesundheitspersonal bis Ende des Jahres gelten, sind aber von Melonis Regierung im November ausgesetzt worden. Der Verfassungsgerichtshof hat sich nun mit deren Verfassungsmäßigkeit beschäftigt.
Die Richter haben die von Draghis Regierung eingeführte Impflicht abgenickt und auf diese Weise auch das Gesicht des Staatspräsidenten Mattarella gerettet, der seine Unterschrift unter das Dekret gesetzt hatte und immer noch im Amt ist. Zwar überrascht das Urteil im Ergebnis nach den vorher statt gefundenen öffentlichen Debatten und Verhandlungen vor Gericht nicht. Eine genauere Analyse der Debatte und ein tieferer Blick in die Entscheidung lohnt sich dennoch. Die offizielle Begründung des Urteils samt der ausführlichen Argumentation wird in naher Zukunft noch folgen.
An erster Stelle muss erwähnt werden, dass das Gericht an sich schon nicht unbefangen besetzt war. Im Vorfeld wurde spekuliert, ob Draghis juristischer Berater D’Alberti, der maßgebend an dem Erlass der Impflicht beteiligt war und erst im September zum Richter ernannt worden ist, überhaupt anwesend sein werde. Als dieser dann mit auf der Richterbank saß, verkündete die Vorsitzende des Gerichtshofes Silvana Sciarra lediglich, dass sich das Gericht seiner Kompetenzen vollständig bewusst sei und keine Bedenken an der Besetzung oder über eine Befangenheit bestünden. Diese und die politischen Verlinkungen der Mehrheit der Richter sind und bleiben allerdings eine offensichtliche Tatsache.
So kann es kaum verwundern, dass der Verfassungsgerichtshof keine unabhängige Kontrollarbeit leisten kann; im Gegenteil, dass er die Entscheidungen der Regierung bestätigt und ihr so eine Art Freifahrtschein in Krisensituationen ausstellt. Die Folge ist: Je bedeutender die Regierungsentscheidung und der Eingriff sind, desto weniger wird die dritte Säule der Demokratie diese verwerfen und für rechtswidrig befinden. Denn das Urteil bestätigt die Exekutive darin, dass im ,,Krisenfall’’ und in Notstandssituationen alle Prinzipien fallen könnten und, dass sie an der Legislativen vorbei im Ausnahmezustand jegliche freiheitsberaubenden Verordnungen und Dekrete folgenlos erlassen könne.
Es darf nicht unerwähnt blieben, dass die Verhandlungen insgesamt zu kurz angesetzt waren und den Anwälten der Verteidigung teilweise einfach die Mikrophone abgeschaltet wurden, wenn man der Ansicht war, sie hätten ausreichend Argumente gegen die Impfpflicht vorgebracht. Vonseiten des Verfassungsgerichtshofs fehlen jegliche sachliche Motive und entsprechend schwach ist auch die Argumentation in der Pressemitteilung des Urteils. Die Impfpflicht hat das Recht auf Arbeit, welches direkt im ersten Artikel der italienischen Verfassung verankert ist, zugunsten des Rechts auf Gesundheit ohne irgendeine juristische Abwägung vollkommen ausgesetzt – wohl bemerkt durch einfachen verwaltungsrechtlichen Erlass. Der Verfassungsgerichtshof hat dies gerade im Namen der Notstandssituation für verhältnismäßig erklärt.
Besonders schwerwiegend ist die Bestimmung gewesen, nach der Ungeimpfte ohne jegliche Gehaltsauszahlung suspendiert wurden – ohne die Möglichkeit, aus dem Home-Office zu arbeiten. Das Recht auf Arbeit, welches jeder Person ein autonomes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen soll, indem man sich seine Lebensgrundlage sichert, steht dementsprechend im engen Verhältnis zur Menschenwürde. Diese Rechte wurden zu einem Zeitpunkt ausgesetzt, als schon bekannt war, dass die Impfungen einen Fremdschutz nicht gewährleisteten.
Hinzu kommt, dass die neuartigen Covid-Impfungen vor Ansteckung nicht schützen und immer noch nur bedingt zugelassen sind. Darin unterscheidet sich die Covid-Impflicht auch grundsätzlich von anderen Impfpflichten, die der italienische Verfassungsgerichtshof in der Vergangenheit für grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar gehalten hat. Auf diese Erkenntnisse und Argumente geht das Gericht aber gar nicht ein, sondern rechtfertigt die Impflicht unter dem Gesichtspunkt der Solidarität in Notsituationen – und das sogar im Falle derjenigen Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen, das überhaupt keinen Patientenkontakt hatte. Was ist das aber für eine Idee von Solidarität, wenn sie vom Staat erzwungen werden muss?
Das allgemeine Argument, in Notsituationen ,,Leben zu retten’’ kann niemals einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit rechtfertigen. Ansonsten ermöglicht der Vorwand einer Ausnahmesituation, einen reinen Exekutivstaat zu etablieren.
Nach dieser Logik könnte man jeden zum Spenden einer Niere verpflichten – als Akt der Solidarität…