„Ich habe Angst im Dunkeln, weil ich leben will“

Von Elisa David | Der WDR kann so viele Studien missverstehen wie er will, es wird nichts daran ändern: ich habe Angst im Dunkeln. Der Post von Quarks reiht sich in eine systematische Aberziehung von „falschen Ängsten“ ein.
Das Bild von Quarks hat für viel Aufregung gesorgt: eine junge Frau, die durch eine dunkle Gasse geht, außer einer Straßenlaterne sind alle aus, sie sieht verängstigt aus. Über ihr, eine Gedankenblase: „Oh, alles dunkel! Ist das gefährlich, wenn ich unterwegs bin?“ Quarks antwortet: Eher unwahrscheinlich! Doch was ist das Interesse des WDR, Straßenlaternen für unnötig zu erklären? Ganz einfach, das ewige Thema: Strom sparen. Inzwischen kam raus: erstens hat der WDR 2019 Frauen selbst davon abgeraten durch dunkle Gassen zu gehen, zweitens zeigen die Studien, auf die Quarks verweist nicht das was man behauptet. Eine sagt sogar explizit aus, dass Straßenbeleuchtung sehr wohl einen positiven Effekt auf die Kriminalitätsrate hat.
Doch mir macht etwas anderes Sorgen: Wie schnell man inzwischen bereit ist, die Sicherheit von Frauen hinten anzustellen. Denn auch die Studien, die angaben, eine Korrelation von Straßenbeleuchtung und Kriminalität sei eher unwahrscheinlich, sagten alle klar aus: die meisten Menschen haben in dunklen Gassen Angst. Sollte das nicht schon genug sein? „Eher unwahrscheinlich“ als Begründung reicht mir nicht. Ich habe Angst im Dunkeln.

Und ich sehe auch nicht ein, warum Quarks mir das aberziehen sollte. Und irgendwelche Studien, die sich irgendwelche Zahlen anschauen und dann zu dem Schluss kommen, dass sie da noch nichts finden konnten, können mich da auch nicht umstimmen. Ich habe Angst im Dunkeln, weil ich leben will. Seit ich vier Jahre alt bin, hat man uns im Kindergarten beigebracht, dass man sich schützen muss, weil da draußen böse Menschen laufen. „Geht auf dem Bürgersteig nicht zu nah an parkenden Autos vorbei, damit man euch nicht ins Auto ziehen kann.“, „Glaubt niemals Leuten die behaupten eure Eltern zu kennen.“, Öffne nie die Tür, wenn du alleine zu Hause bist.“, „Wenn ihr doch mal angegriffen werdet, siezt den Angreifer, damit man nicht denkt, er wäre ein Bekannter.“ Später wurden wir in der Schule befragt, ob uns schon mal ein Erwachsener gegen unseren Willen umarmt oder geküsst hat. Wir müssen körperliche Nähe nicht zulassen, wenn wir es nicht wollen.
Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit, trotzdem war ich nie naiv. Ich wäre nie mit einem fremden Menschen mitgegangen, auch nicht für Plüschtiere. Es ist wichtig Kindern früh beizubringen, dass die Welt gefährlich ist. Nicht um ihnen Panik zu machen, sondern um sie daran zu gewöhnen, Selbsterhaltungstriebe als normalen Teil des Lebens zu akzeptieren. Denn viele Taten können verhindert werden. Leider mussten für diese Erkenntnis erst Kinder in Autos gezogen, von angeblichen Bekannten der Eltern entführt werden, in ihrem eigenen Zuhause misshandelt werden, weil sie dem Falschen die Tür aufgemacht haben. Heute macht man Kindern Angst vor dem Klimawandel und Corona – nicht nur Angst, sondern Panik. Das ist nicht das gleiche. Kein Kind sollte in Panik aufwachsen, weil Erwachsene ihre politische Agenda möglichst schnell und prägend weitergeben wollen. Erziehung sollte sich immer nach dem Wohl des Kindes richten. Heute bin ich Erwachsen. Jetzt haben es andere Menschen auf mich abgesehen. 2016 wurde ich daran erinnert, dass ich auch jetzt noch auf mich aufpassen muss. Damals war ich gerade 15 geworden, es war Sommer und heiß und ich hatte auf dem Weg zur Schule kurzes Kleidchen an. Und prompt wird ich von einem arabisch aussehendem Mann bespuckt. Mir hätte weitaus schlimmeres passieren können. Andere Mädchen hatten nicht so viel Glück.
Die Studentin Sophia L. 2018 zum Beispiel. Sie war per Anhalter zu einem fremden Mann in den LKW eingestiegen und wurde später als verbrannte Leiche in Spanien gefunden. Mir wurde immer gesagt, dass ich niemals zu Fremden ins Auto steigen darf – niemals. Doch das hatte man ihr nicht gesagt. Sie wurde mit dem Glauben an das Gute im Menschen erzogen und das hat sie zu leichter Beute gemacht. Morde werden von Mördern begangen. Vergewaltigungen von Vergewaltigern. Ich will auf keinen Fall die Schuld auf das Opfer abwälzen. Sie trifft keine Schuld. Doch hätte man sie gewarnt, hätte diese Tat verhindert werden können. Und wenn wir schon sie nicht retten konnten, sollten wir diese schreckliche Tat wenigstens als Warnung nutzen und jedes Mädchen in Deutschland warnen: Steig niemals zu Fremden ins Auto. Stattdessen nutzte Heinrich Bedford-Strohm ihre Trauerveranstaltung, um die Sätze zu sagen: „Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Mißtrauen heraus gelebt hätte“ und dann: „Aber wäre das das bessere Leben gewesen?“ Diese Worte machen mich noch heute so unglaublich wütend. Das war damals für mich der Moment, in dem ich aufgehört habe, nur im Alltag auf meine Sicherheit zu achten und angefangen haben, politische Texte wie diesen zu schreiben. Denn damals wurde mir klar: Mein Leben interessiert niemanden. Wenn ich sterbe, nutzt man das aus, feiert sogar, dass ich brutal ermordet wurde, weil ich ohne Vorurteile durchs Leben gegangen bin.
Doch Vorurteile sichern mein Überleben. Im Dunkeln ist für mich alles gefährlich. Jedes Rascheln, ob es nun ein Mörder ist oder ein Eichhörnchen. Jeder fremde Mann kann mich potentiell mit bloßen Händen umbringen oder aber beschützen. Wahrscheinlich sind die meisten Menschen ungefährlich, aber wenn ich einmal dem falschen nicht aus dem Weg gehe, könnte ich das mit meinem Leben bezahlen. Ich kann nicht wissen wer mich vergewaltigen will und wer nicht. Aber da ich diejenige bin die eine Fehlentscheidung mit dem Leben bezahlen kann und nicht so ein alter Sack wie Heinrich Bedford-Strohm, habe ich beschlossen, dass nur ich entscheide, ob und wie mein Leben etwas wert ist. Die zwei Sätze haben mir damals klar gemacht, dass ich mich nicht auf das Gute im Menschen vertrauen kann. Am Ende muss ich mich selbst beschützen, im Dunkeln bin ich ganz auf mich gestellt.
Ich habe eine Zeit lang in einer ziemlich runtergekommenen Gegend in Rostock gelebt. Jeden Tag musste ich dort eine lange einsame Straße entlanglaufen. Kurz bevor ich dort hingezogen bin, gab es in dem Stadtteil einen Axtmord. Mir sind schon Männer hinterhergelaufen, haben mir am Supermarkt aufgelauert, komische Dinge hinterher gerufen, mich aggressiv gefragt, ob ich mit zu ihnen wollte. Im Winter wird es im Norden früh dunkel, den Tag musste ich die stockdunkle Gasse lang laufen. Um mich sicher zu fühlen, habe ich immer meinen Schatten der Straßenlaternen beobachtet. Wenn mir irgendjemand von hinten zu Nahe kommen sollte, würde ich das sehen. Ich würde wissen wann ich laufen muss und dafür musste ich nicht den ganzen Weg nach hinten über die Schulter schauen und mit ängstlicher Körpersprache womöglich signalisieren, dass ich leichte Beute bin. Ich konzentrierte mich immer auf meinen Schatten und hörte auf jedes Geräusch.
Dieser Post vom WDR hat mich wieder an diese Sätze von damals erinnert, die all das in mir ausgelöst haben und die der Grund sind, weshalb Sie mich kennen. Und ich verspüre wieder diese Wut von damals. Dieses Mal ist es nicht die Nächstenliebe sondern „die Wissenschaft“, die mir aus ideologischen Gründen den Überlebenstrieb abgewöhnen wollen. Und sie hat nur ein „eher unwahrscheinlich“ zu bieten. Dafür soll ich potentiell mein Leben opfern, wenn ich gezwungenermaßen Abends von der Uni nach Hause durch eine dunkle Straße muss und den Mann mit dem Messer im Hauseingang nicht sehe. Unwahrscheinlich, ja. Aber trotzdem will ich, dass jedes Mädchen weiß: steig niemals zu Fremden ins Auto, gehe nie mit Fremden mit, wenn du bei einem Mann ein schlechtes Gefühl hast, wechsle die Straßenseite, hab Angst im Dunkeln. Das ist nicht irrational, das ist Selbstschutz. Es ist egal, ob du dann die Befindlichkeiten irgendeines Mannes verletzt – dein Leben ist das wert.
Unsere Chef-Redakteurin Elisa und unsere Redakteurin Pauline haben bei „Achtung Reichelt“ klargestellt, was sie von der „Quarks“-Kampagne halten. Das ganze Video findet ihr hier.


Fotos von Luka Ljubicic
Ja, das musste ich auch erstmal begreifen, dass die, die am lautesten von Menschenliebe reden, tatsächlich über Leichen gehen – und dass man sich fürchten und wehren muss dagegen.
Starker Auftritt von den jungen Journalistinnen, weiter so und Hut ab!
Der Essayist Dushan Wegner schrieb seinerzeit über die Worte von Bedford-Strohm: „Bei diesen Sätzen wird mir heiß und kalt.“ So habe ich das damals auch empfunden.
Das ist schon ein Armutszeugnis für den Staat, wenn junge Frauen um ihr Leben fürchten müssen – im ÖFFENTLICHEN RAUM… Das wird so nicht endlos weitergehen, bin ich mir sicher. Zwischenzeitlich ist es vielleicht sinnvoll, etwas Selbstverteidigung zu trainieren. Aber wenn die Regierung, die für solche Zustände verantwortlich ist, in ihrer „Fürsorge“ dem Bürger gegenüber, Lockdowns verhängt und damit auch den Sport behindert, ist das ein Problem. Dann auf jeden Fall: Pfefferspray – und aufpassen, dass man es nicht selber abbekommt. Angst trägt auf jeden Fall zu einer guten Abwehr-/Fluchtbereitschaft bei – sozusagen eine archaische Überlebenshilfe. Das wussten schon die Urmenschen.