Ich darf doch bitten?! Zwischen falschem Anstand und Neo-Prüderie

Von Elena Klagges | ,,Prüderie’’. Als wir dieses Thema in der Apollo Konferenz festgelegt haben, wusste ich kaum etwas damit anzufangen. Was sollte man noch groß dazu schreiben, nachdem wir schon in der vergangenen Edition über die Orgie nach der Krise geschrieben haben. Aber Moment mal, was genau beschreibt ,,Prüderie’’ eigentlich?
Somit fing ich an zu googeln. Der Begriff stammt ursprünglich aus der französischen Sprache von der Präposition preux (dt.: tüchtig, tapfer) ab und entwickelte sich dann aus dem altfranzösischen Wort prodefemme (dt.: ehrbare Frau). In Deutschland tauchte das Wort ca. im 18. Jahrhundert zuerst auf und aus dem Duden kann man lesen, dass das dreisilbige Wort ein feminines Substantiv ist. Nun gut, sehr viel klüger bin ich aus dieser allgemeinen Information nicht geworden.
Also weitersuchen. In Pierers Universallexikon aus dem Jahre 1861 wird ,,prüde’’ definiert als ,,auf übertriebene und affektierte Weise sittsam, zimperlich oder scheinspröde’’. Alles klar, es wird irgendwie um Anstand und vielleicht auch Moral gehen?! Ein bisschen schwammig ist meine Vorstellung immer noch, deshalb versuche ich es mit Synonymen oder vielleicht noch besser, auch mal mit dem Gegenteil.
Die Resultate: Google spuckt mir ,,altmodisch’’, ,,bieder’’ und ,,reserviert’’ aus, auf der anderen Seite ,,Wildheit’’, ,,Körperlichkeit’’, ,,schamlos’’, ,,frech’’ und ,,vulgär’’.
Als beispielhafte Bewegungen für die grenzenlose Freiheit werden mir der FKK-Kult in der DDR und das Woodstock-Festival gelistet. Nacktbaden als ein Recht gegen die westdeutsche Prüderie und der Höhepunkt der Hippie-Bewegung als Inbegriff der Gegenkultur zur prüden Elterngeneration und zum Vietnamkrieg.
Na, wenn das nicht zufällige Überschneidungen sind. Gerade jetzt, wo im Osten ein Krieg und über Europa eine Hitzewelle ausgebrochen ist, könnten wir doch endlich die Klamotten guten Gewissens ablegen und Haut zeigen. Warum nicht und was soll daran verwerflich sein?!
Wenn ich an meine Kindheit zurück denke, als wir im Sommer nach Sylt gefahren sind und dann auf Strandspaziergängen unterwegs waren, kann ich mich nur an alte Leute am FKK-Strand erinnern. Und an uns, die etwas rot im Gesicht und beschämt weggeschaut haben.
Dabei frage ich mich, ob wir, die jüngere Generationen, aber evtl nur schein-prüde sind? Schämen wir uns für die Freizügigkeit oder ist die Scham eventuell eher auf die Pubertät zurück zu führen? Eine Zeit, in der sich unsere Körper ändern und wir diese neu kennen lernen. Auch wenn die Politik und einige Biologen uns glauben lassen wollen, dass Geschlechtlichkeit überholt ist.
Doch Pubertät als Ursache für das Schamgefühl klingt so langweilig, so normal. Dann doch lieber auf den Neo-Prüderie-Zug aufspringen und politisch korrekt dem Mainstream nacheifern.
Wie dem auch sei, wenn ich mich auf einer Shopping-Tour in der Stadt umschaue, scheint nach der Pandemie der Kleiderschrank der Jugend kürzer und knapper geworden zu sein. So schamlos, dass man sich fast den Schlafanzug oder Trainingsanzug aus der Quarantäne zurückwünscht. Hilfe, erwische ich mich hier jetzt etwa gerade als prüde 23-jährige Studentin?
Wohl kaum, denn ich behaupte an dieser Stelle, dass ich ein gesundes Anstandsgefühl in mir trage und der Situation gerecht mal etwas mehr, mal etwas weniger Haut zeige; stets so, dass ich mich angemessen präsentiere. Nicht spießig, nicht prüde, aber auch nicht exzessiv anstoßend.
Und dann lag ich einen heißen Frühsommertages im Garten und lauschte dem Podcast des Spectators vom 30.06.2022, als es plötzlich um Sex-Parties ging und wie alltäglich solche für die heute Mitte-30-Jährigen sind. Hatte man in seinen 20er einfach mal Sex auf einer Party, geht man nun geplant und vorbereitet zu einer exklusiven Party, wo vieles erlaubt ist, Verträge für bestimmte Verhaltensweise unterschreiben werden und dann ausprobiert und experimentiert wird. Alles exklusiv – nicht unbedingt geheim – aber doch geheimnisvoll, als dass man gewisse Tests bestehen muss, z.B. eine gewisse Attraktivität ausstrahlt oder den Dresscodes einhalten muss.
Da war es wieder: Die Gesellschaft gibt sich nach außen als prüde, es wird nur leise über solche Parties getuschelt. Doch tief im Inneren sehnt man sich nach Extase, hat Sehnsüchte und Fantasien. In meinen Augen, völlig human und normal. Dann lasst uns doch bitte keine große Show drum machen. Man muss mit diesem Thema nicht extrem anecken und aufmüpfig wie in den 70er Jahren sein. Gleichzeitig sollte man auch nicht in die Rolle des scheinheiligen Priesters oder Nonne schlüpfen. Also Friends, nehmt jeden Sommer-Flirt mit, lebt den Sommer und eure Jugend nach den guten Sitten.