Horrorerlebnisse auf Tinder & Co: Die Schattenseiten des Online-Datings

Von Simon Ben Schumann | „Auf seinem Profilbild sah er richtig gut aus, wirkte beim Chatten sympathisch. Als mir abends im Dämmerlicht eine verschlagene, nicht wiederzuerkennende Gestalt entgegenkam, rutschte mir das Herz in die Hose“ –  klingt wie der Beginn eines Krimis oder schlechten Horror-Streifens? Finde ich auch, aber weit gefehlt. Es ist eine Szene aus dem Alltag der Gen Z – meiner Generation. Einer, die selbst ihr Liebesleben ins Online-Universum verlegt hat.

Was das für Konsequenzen haben kann, wird in Geschichten, wie der meines Bekannten deutlich: „Statt dem netten Typen, den ich auf Grindr kennengelernt hatte, kam mir ein alter Mann entgegen. Bei weitem nicht so attraktiv, wie auf seinem angeblichen Foto. Warum er sich mit mir vor einer Sparkasse treffen wollte, war für mich zunächst unerklärlich. Er fragte mich sofort, ob ich mit ihm schlafen wolle. Nachdem ich das ablehnte, wurde mir der Grund für unseren sonderbaren Treffpunkt klar. Er zückte 50,00 € in Bar, die er vorher abgehoben hatte. Hielt der Mann mich für einen Hobbyprostituierten? Sein Geld konnte der Betrüger sowas von behalten. Schlecht gelaunt zog ich wieder ab. Den Rest des Abends verbrachte ich dann zuhause, mit ein paar Kugeln Eiscreme.“

Ich dachte wirklich ich höre nicht richtig – ist das diese Welt aus Tinder, Grindr und Co? Nach dieser Story war ich mehr als heilfroh, dass ich mich bisher erfolgreich daraus gehalten hatte – und dass meinem Bekannten da nicht mehr passiert ist. Fake-Profil plus ein kleines „Taschengeld“ für die Nacht – so stellt sich niemand einen gelungenen Abend vor. Und falls sie sich jetzt fragen, ob das ein Einzelfall war: Ich hab mich umgehört und noch mehr solcher Geschichten auf Lager – „Hey, mein Freund ist jetzt spontan auch hier, aber das ist doch kein Problem für dich oder?“. Auch hier wurde schonmal ein kleines „Taschengeld“ angeboten. Klingt für mich nicht nach Spaß und erst recht nicht nach Liebe – ist beim Online Dating aber traurige Realität. Solche Geschichten untermauern, dass das Kennenlernen in der realen Welt doch seine Vorzüge hat.

 

Wenn Menschen nur noch ein „Swipe“ sind 

Dating Apps sind bei vielen meiner Artgenossen nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. In Deutschland teilen sich „Lovoo“ und „Badoo“ (stammen die Namensgeber aus der Krabbelgruppe?) die Marktführung mit Tinder. „Tindern“ ist sogar zu einem neuen Verb geworden.

Auf Tinder werden einem erstmal nur Fotos potenzieller Dating-Kandidaten vorgeschlagen. Gefällt einem das Bild, swipet man nach rechts – wenn nicht, nach links. Haben zwei Menschen sich gegenseitig nach rechts gewischt, kommt man per Chat ins Gespräch. Ähnlich funktionieren auch viele andere Dating-Apps.

Dass das einfache „wegswipen“ eines Menschen bei Nichtgefallen durchaus unmenschlich genannt werden kann, möchte ich hier mal außen vorlassen – ich finds zwar ziemlich hart, aber man macht ja freiwillig bei dieser Prozedur mit.

Ich finde es viel schlimmer, dass die  romantische Ader dabei völlig verloren geht. Es mag auch Ausnahmen und fantastische Liebesgeschichten auf Tinder geben, aber grundsätzlich ist es doch viel aufregender, sich im echten Leben kennenzulernen und zu merken, dass die Chemie stimmt – oder eben auch nicht. Ob im Sportverein, an der Uni oder meinetwegen im Coffeeshop: Überall menschelt es mehr als im Tinder Chat. 

Wenn Männer sich darüber austauschen, mit welchen „Ice-Breakern“ sie bei möglichst vielen „Weibern“ landen und sie ins Bett kriegen konnten, nur um danach die „nächste Chaya zu klären“ kann einem echt übel werden. Das klingt jetzt vielleicht altbacken, aber sollten wir Männer uns nicht besser im Griff haben und Verantwortung übernehmen? Oder wenigstens stilvoller auf die „Jagd“ gehen?

Leben ohne Liebe – (k)eine gute Idee?

Wenn es nur das Dating und Kennenlernen wäre, was über den Touchscreen ziemlich kaltschnäuzig daherkommt, könnte man ja noch sagen: Was ein Luxusproblem. Das ganze Tindern hat sich aber zu einer regelrechten „Hook-Up-Culture“ entwickelt. Darunter versteht man, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau oder auch Mann und Mann auf den „Spaß im Bett“ beschränkt ist. Die emanzipierte Frau von heute verabredet sich zu – Achtung, Vulgärsprache – sogenannten „Dick Appointments“ über ihr Smartphone. Zumindest in den Augen mancher third-wave Feministen ein Ausdruck sexueller Befreiung, aber ich sehe hier „Haramstufe Rot“. 

Früher wäre man dafür am Pfahl verbrannt worden! – Nicht, dass ich da dafür wäre. Aber Spaß beiseite: Sowohl aus rein rationaler als auch aus seelischer Perspektive führt das Ablehnen von emotionalen Bindungen in eine kranke Gesellschaft. Wer sich über Dating-Portale mit zig Partnern vergnügte, wird es wahrscheinlich schwerer haben, eine aufrichtige Liebesbeziehung zu führen oder eine Familie zu gründen. Allein, dass das Gegenüber zur austauschbaren „Ware“ wird, ist folgenschwer für das eigene Menschenbild.

Daher plädiere ich für den absoluten Wahnsinn: Den Glauben an Liebe, Bindung und auch an eine Portion Selbstaufopferung nicht aufzugeben. Klar ist es verlockend, einfach Spaß zu haben und auf alles andere nicht viel zu geben. Aber gerade als junge Menschen sind wir gefordert, moralische Werte zu finden, die die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft absichern.