Hauptstadtgöre vs. Dorfprolet – Runde V: Frostfrust
Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Soja-Latte-Pauline und Mistgabel-Jonas steigen wieder in den Ring – und tragen den Stadt-Land-Konflikt auf der virtuellen Bühne aus. Für wen fiebert ihr in Runde fünf mit: Team Kuhkaff oder Team Assikiez?

Achtung: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Keine Dorfproleten oder Hauptstadtgören wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.
Selbst die Wildschweine fliehen im Winter Richtung Stadt

Von Pauline Schwarz | „Leise rieselt der Schnee…“ – und das ist auch schon das einzige, was Jonas zur Weihnachtszeit in seinem kleinen Dörfchen an akustischen und visuellen Eindrücken erlebt. Manch einer würde jetzt vielleicht sagen: Toll, endlich mal zur Ruhe kommen und den herrlichen Anblick der Winterwunderlandschaft genießen! Ich würde das aber vor allem eines nennen: Langweilig.
Sobald Schnee und Kälte über Deutschland hereinbrechen, kann Jonas in seinem Dorf nicht mal mehr die Kühe umschubsen – selbst die stehen dann nämlich im Stall. Mit sieben Schals, drei Mützen und zwei Paar Handschuhen bewaffnet kann unser Dorfprolet dann vielleicht noch um die Häuser ziehen und Eiszapfen zählen, doch selbst so genügsame – oder hobbylose – Menschen wie Jonas wird das wahrscheinlich irgendwann anöden. Abschießen kann er die Dinger auch nicht, denn bei der Stille, hört das noch Oma Erna sieben Häuser weiter und dann gibts ärger – ein gezielter Schlag mit dem Besen und dann sitzt der Jonas ganz schnell in seinem Zimmer vorm Fenster und muss zur Strafe die Eiskristalle an der Scheibe zählen.
Lieber Schneematsch als karge Einöde – oder: Wenn nicht mal mehr das Mofa anspringt
Falls dein Auto bei den eisigen Temperaturen überhaupt noch anspringt, würde ich dir also empfehlen die Beine in die Hand zu nehmen und die ländliche Hölle zu verlassen. Ich meine, mal ehrlich jetzt: Selbst deine Kumpel die Wildschweine verlassen im Winter das sinkende Schiff und wandern Richtung Stadt, weil es im gefrorenen Boden nichts Leckres mehr zu holen gibt. Wenn du Pech hast und sie versehentlich bei ihrem Umzug störst, kommst du gleich mit – allerdings als Snack-To Go in ihrem Magen. Hungrige Wildschweine sind nämlich besonders aggressiv.
Also: Wie wärs mit einen selbstgewählten Abstecher in die Großstadt, nach Berlin? Ich weiß, die große böse Stadt macht dir Angst, aber wir könnten dir einen Apollo-Babysitter-Service zur Verfügung stellen. Dann hast du immer ein vertrautes Gesicht, das dir bei der Entdeckung der modernen Welt zur Seite steht – keine Sorge, ich halte dir auch die Hand wenn du das erste Mal die sogenannte U-Bahn betrittst. Ja sie ist laut und klappert, tut dir aber nichts – zumindest wenn wir ihre Fahrgäste hier mal kurz ausblenden.
Böse Zungen würden jetzt wohl behaupten jemanden nach Berlin zu schicken wäre menschenverachtend, immerhin ist es da schmutzig, es stinkt und es laufen nur verwahrloste Menschen in der Gegend rum – kurz: Berlin ist eine Shithole-Stadt, in der gar nichts funktioniert. Doch da muss ich entschieden widersprechen. Ja, wir werden von den Bayern finanziell am Leben erhalten. Ja, überall liegen Hundehaufen. Und Ja, dass Einzige, was in Berlin zielstrebig vorangetrieben wird, ist das links-grüne, mittelalterliche Schlaraffenland, in dem man das Auto abschafft und mit dem Esel zur Arbeit reitet. ABER: Bei uns ist es dank der dichten Bebauung viel wärmer als in der kargen Einöde der Thüringer Tundra. Während du nicht mal deine festgefrorene Haustür aufkriegst, kann ich fröhlich auf dem Schneematsch durch die Straßen rutschen.
Get together in der Notaufnahme
Wenn ich Lust habe, schlittere ich ein paar Meter weiter zum nächsten Cafe, schnapp mir mein Auto und fahre zum Klettern, ins Kino oder zu einem der fast hundert Weihnachtsmärkte mitten in der City – während du in eurem Keller sitzt und allein das Bierfass deines Vaters leersäufst. Berlin hat nämlich sehr wohl viel zu bieten: Viel negatives, aber auch viel positives.
Und ja ja, ich weiss schon was jetzt kommt: „Du erzählst mir hier Märchen von der tollen Hauptstadt und haust dann selbst nach Spanien ab!“ Doch das liegt vor allem daran, dass 25 Grad, Sonne und Meer auch den milden Berliner Winter in den Schatten stellen. Dass ich an Silvester – oder am Tag des traditionellen Berliner Straßenkampfes, wie immer man das Neujahrsfest auch nennen will – nicht daheim bin, ist dabei – zugegeben – ein angenehmer Nebeneffekt.
Wobei es dir an den Bürgerkriegsschauplätzen der Warschauer Straße, des Alexanderplatzes oder auf der Sonnenallee in Neukölln vielleicht sogar gefallen könnte – ich habe gehört in deinem Dorf sind Polenböller beliebte Langeweile-Vertreiber. Doch was machst du, wenn du dir dank Alkohol und Frustböller im Thüringer Wald mal den Finger wegschießt? Das nächste Mini-Klinikum liegt sechs Dörfer weiter und deine Karre lässt sich selbst mit dem Notfall-Böller nicht in Gang setzen. In Berlin wäre das kein Problem. Ich will ja nicht angeben, aber in Berlin gibt es fast hundert Krankenhäuser. Da kannste dir nicht nur den kleinen Finger, sondern auch noch den großen Zeh wegböllern – Hilfe steht nur ein paar Straßenecken weiter für dich bereit. Und in der Notaufnahme bist du garantiert nie alleine.
Zu Weihnachten flüchtet sogar die Hauptstadtgöre aus Berlin

Von Jonas Aston | Es ist Weihnachten und wie für die allermeisten ist das auch für Pauline ein Anlass zum Feiern. Bei Familie Schwarz werden am Nachmittag selbstgebackene Plätzchen und Stollen gegessen. Danach geht es mit der ganzen Familie in die Kirche. Es wird den lieblichen Klängen der Orgel gelauscht und gebannt blickt man auf das Krippenspiel. Abends versammelt sich die ganze Familie vor dem prachtvoll dekorierten Weihnachtsbaum. Die Tanne ist mit roten und goldenen Weihnachtskugeln und mit brennenden Kerzen verziert. Im Hintergrund hört man leise die Weihnachtsgans im Ofen brutzeln. Es sind fast perfekte weiße Weihnachten bei Familie Schwarz. Nur ein kleines Detail fehlt in der Idylle: Pauline.
Sie hat ihrer Familie nämlich den Rücken gekehrt und ausgerechnet zu Weihnachten ihr sonst so heiß geliebtes Berlin verlassen. Den Großstadtflair hat unsere Hauptstadtgöre mal eben gegen die Strände von Lanzarote eingetauscht. Statt Glühwein gibt es Sex on the Beach und statt Gans wird Paella gegessen. „O du fröhliche“ oder „in der Weihnachtsbäckerei“ wurde auch aus Paulines Playlist gestrichen. Stattdessen wird sie jetzt überall mit „Despacito“ beschallt. Spanien und die Kanaren in allen Ehren, aber auf die Idee, ausgerechnet zu Weihnachten die Heimat zu verlassen, würde ich auch nur kommen, wenn ich in Berlin wohnen würde. Nur wer Weihnachten nie wirklich gefeiert hat, kann Weihnachten im Ausland feiern.
Weihnachten existiert in Berlin nicht
Als Pauline Weihnachten noch in Deutschland verbracht hat, dürfte dies auch ganz anders ausgesehen haben, als es oben beschrieben wurde. Schließlich ist unsere Hauptstadtgöre in Berlin und nicht in Thüringen aufgewachsen. Und in Berlin scheint man überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass so etwas wie Weihnachten überhaupt existiert. Als ich mich im Dezember (!) in die Hauptstadt gewagt habe, war von Vorweihnachtsstimmung nichts zu spüren. Lediglich am Hauptbahnhof (und das sagt schon alles) sah ich etwas, das zumindest darauf hindeutete, dass das größte Fest der Christenheit bevorsteht. Dort waren circa zwei Weihnachtsbuden zu sehen. In Berlin bezeichnet man das wohl als Weihnachtsmarkt. Selbst der Weihnachtsmarkt bei mir um die Ecke ist wesentlich größer. Abseits des Bahnhofs waren die Straßen düster. Weder die Stadt noch die Bewohner hatten sich die Mühe gemacht, festlich zu schmücken: keine Weihnachtsbeleuchtung, keine Lichterketten, nichts. Nur Paulines Zigarettenstummel glimmte in der Dunkelheit.
Da wurde mir klar: Weihnachten ist für Pauline einfach nur eine andere Bezeichnung für Winter. Um ehrlich zu sein war ich positiv überrascht, dass Pauline mit dem Begriff „Weihnachten“ überhaupt etwas anfangen konnte. Ich nehme ihr das auch gar nicht übel, denn in Berlin ist das alles andere als selbstverständlich. Sie kann nichts dafür. In Berlin spielt Weihnachten keine Rolle und in der Schule hat sie sicherlich auch nichts darüber gelernt. Wer sich das Berliner Bildungssystem antun muss und nach 12 Jahren zumindest nicht dümmer rausgeht als er reingekommen ist, kann ja schon wirklich stolz auf sich sein.
Weihnachten ist für Pauline wie eine Kuh
Weihnachten ist für Pauline wie eine Kuh: Sie weiß nichts darüber. Und wie auch bei der Kuh versuche ich schon lange, Pauline einige grundlegende Fakten über das Weihnachtsfest beizubringen. Doch sämtliche Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Erst neulich habe ich wieder versucht, Pauline davon zu überzeugen, dass Kühe nicht lila sind. Doch es gab kein Durchdringen. Dabei hatte ich wirklich mein bestes gegeben. Ich erklärte ihr, dass Kühe weiß, weiß-schwarz gefleckt, braun, braun-weiß gefleckt und sogar schwarz sein können. Und in einem wirklich ruhigen und verständnisvollen Ton versuchte ich Pauline zu erklären, dass sie einer Lüge der Milka-Werbung aufsitzt. Aber Pauline glaubte mir kein Wort. Ständig unterbrach sie mich und meinte nur: „Dit is pille palle“ und „dit globste ja selbst nicht, wa“.
Mit Weihnachten ist es genau dasselbe. Ich bringe gute Argumente, erzähle ihr von der ruhigen, besinnlichen Atmosphäre und der schönen Zeit mit der Familie, doch Pauline hat nur Strand und Cocktails im Kopf. Aber einen Vorteil hat es eben doch, dass Pauline auf den Kanaren ist: Sie ist nicht in Berlin.
Mein Eindruck ist: spätestens seit Corona ist jeder Zweite auf den Trichter gekommen, dass man die Weihnachtszeit wunderbar unter der wärmenden Sonne des Südens verbringen kann. Und so unglücklich sehen die Leute hier am Strand gar nicht aus … ☀️