Hauptstadtgöre vs. Dorfprolet – Runde II
Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Soja-Latte-Pauline und Mistgabel-Jonas steigen wieder in den Ring – und tragen den Stadt-Land-Konflikt auf der virtuellen Bühne aus. Für wen fiebert ihr in Runde zwei mit: Team Kuhkaff oder Team Assikiez?

Achtung: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Keine Dorfproleten oder Hauptstadtgören wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.
Lieber ab und an ’ne Schießerei, als ständige Angst vor’m grunzenden Tod

Von Pauline Schwarz | „Mauer drum, Schloss zu und Schlüssel weg“, sagte mein Apollo-Kollege Jonas mal zu mir, als es um meine Heimatstadt Berlin ging. Bei uns gebe es doch eh nur Bekloppte und jede Menge Kriminalität. Und ich meine, ja, wo er recht hat, hat er recht – in der Kriminalitätsstatistik sind wir nicht nur die Sieger der Herzen. Vor zwei Jahren haben wir Frankfurt am Main im hohen Bogen vom Thron der gefährlichsten Stadt Deutschlands gestoßen und halten seitdem beharrlich daran fest, endlich mal nicht der erste von hinten zu sein – auch wenn uns das in diesem Fall gut tun wurde. Dem Jonas passt das alles natürlich super in den Kram, um weiter gegen die Großstadt zu hetzen. Der sitzt da süffisant grinsend auf seinem Heuballen irgendwo im Nirgendwo und fühlt sich verdammt sicher. Aber ist er das wirklich? In Berlin gibt es vielleicht ein paar Taschendiebe und Drogendealer, im Dorf aber lauert in jeder dunkeln Ecke und hinter jedem Gebüsch der Tod auf vier Hufen.
Ich bin in meinem Leben noch nicht besonders oft durch die Einöden unseres Landes spaziert und musste mich dementsprechend selten durch das tückische Unterholz eines 300-Einwohner Kuh-Kaffs in Süd-Thüringen schlagen. Das eine Mal, als ich als Jugendliche in einen besonders abgelegenen Wald geschleppt wurde, wäre aber fast mein letztes gewesen. Ich bin in Berlin schon beklaut, begrapscht und bedroht worden. Ich war Zeuge diverser Schlägereien und bin damit aufgewachsen, dass am Platz um die Ecke hunderte Patronenhülsen zwischen den Fugen der Steine steckten, ohne dass sich jemand daran störte. Ich habe also schon viel Gewalt gesehen und war in so vielen gefährlichen Situationen, dass sie locker für drei (Großstadt-)Leben reichen würden. So nah, wie in diesem Moment damals im Wald, war ich dem Tod aber noch nie.
Erst raschelte es nur im Gebüsch – man hörte ein Scharren und Schnauben. Und dann kam es plötzlich aus dem dunklen Unterholz: Ein riesiges Ungeheuer mit langen messerscharfen Eckzähnen, glühenden Augen und einem borstigen Kopf. Zweihundert Kilo vor Wut schäumende Kampfkraft rannten auf uns zu. Ich sah schon mein kurzes Leben an mir vorbeiziehen, während ich grade die Beine in die Hand nehmen wollte, als jemand im Hintergrund brüllte: „Ruhe bewahren, Weglaufen ist zwecklos! Der ist schneller.“ – und ich dachte nur: „Na super, das war´s. Ich habe den Görlitzer Park, das Kottbusser Tor und den Berliner Alexanderplatz überlebt. Und wofür? Damit ich mitten im Wald von einem Ungetüm zerfetzt und meine Überreste zwischen den Wurzeln maroder Bäume verteilt werden?“
Doch ich kam grade nochmal mit dem Schrecken davon. Der riesige Keiler galoppierte so schnell wie er gekommen war, wieder in die Dunkelheit. Er verzehrte sich an diesem Abend wohl nicht nach Homo Sapiens, sondern nach ein paar Eicheln und einem schönen Schlammbad, ohne dass ihn irgendwelche nervigen Wanderer dabei störten. Aber das war Glück, immerhin sind die Viecher während der Brunst oder bei der Verteidigung ihres Nachwuchses nicht zu Scherzen aufgelegt. Und sie verfügen über enorme Kräfte. Muskeln wie Stahlplatten, einen Kiefer, mit dem sie mühelos menschliche Oberschenkelknochen zermalmen können und Hauer, die dank dem ständigen Wetzen so scharf sind, dass sie einem die Arterien aufschlitzen können – wenn man nicht grade durch die Lüfte geschleudert wird.
Ich mache mir Sorgen um Jonas, immerhin ist er dieser Gefahr ständig ausgesetzt. Ich kann mich im Berlin zum Schutz vor Dealern, Dieben und sonstigem Gesocks im Auto einsperren und damit selbst zum Briefkasten fahren. Aber was ist mit Jonas? Vor dem grunzenden Tod ist er auch im Auto nicht sicher. Die Tiere rennen auf die Fahrbahn und, ZACK, dreifacher Überschlag. Einem Bekannten von mir ist das passiert – da brauchst’e im schlimmsten Fall keine weit entfernte Dorf-Disse, drei Liter Korn und einen Baum am Wegesrand, um den frühen Dorf-Tod zu sterben.
Bei der Suche nach Pilzen oder der Beobachtung von Wildvögeln – viel andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt’s bei den Dorfpommeranzen nicht, außer vielleicht Kühe umschubsen – wird Jonas im Falle eines Angriffs auch niemand zu Hilfe eilen. Wer auch? Wo der herkommt, gibts mehr Hühner als Einwohner – aber ein Wildschwein, das kommt selten allein. In Berlin gibt’s immerhin die Möglichkeit, dass einem jemand zu Hilfe eilt. Zugegeben: Die Berliner ham´s nicht so mit Zivil-Courage. Selbst bei Übergriffen auf Frauen sehen die deutschen Männer schneller Weg, als man „Hilfe“ sagen kann. Aber ich habe immerhin die Chance, dass ein anständiger Türke seinem Ehrgefühl folgt und die schwache Frau in Schutz nimmt. Wer soll sich auf Jonas Seite schlagen? Ein einsamer Wolf, der noch ein Hühnchen mit dem Eber zu rupfen hat, weil der dem letzten die Jagd-Tour vermasselt hat? Ich glaube kaum.
Im Gegenteil: Der hungrige Wolf ist nur ein weiter Grund, warum das Dorfleben vielleicht gar nicht so sicher ist, wie die Leute vom Ländle sich das gerne einreden. Und im Ernst, wir sind damit doch noch lange nicht am Ende. Neben dem Keiler, der Bache und dem Wolf gibt es tollwütige Füchse, rasende Rinder, giftige Kreuzottern, bisswütige Spitzmäuse, Killer-Hornissen, Bandwürmer und eine ganze Armada von Deutschlands wohl gefährlichstem Tier: der Zecke. Wenn einen davon nichts dahinrafft, tut es vielleicht der „Witwenmacher“. Dann heißt es „Tod durch Totholz“ – oder auch: Dem is´n Ast auf den Kopp gefallen.
Wenn ich in Berlin bei einer Schießerei drauf gehe, dann gibt’s danach wenigstens ’ne gute Story und ’ne fette Diskussion in Politik und Medien. Wenn Jonas von nem Heuballen überrollt oder vom Keiler massakriert wird, kriegt das wahrscheinlich kaum einer mit.
Lieber um 20 Uhr Schotten dicht, als Parks voller Textil-Fachkräfte

Von Jonas Aston | Ich habe mich neulich wieder mit meiner Apollo-Kollegin Pauline unterhalten und ich muss sagen, inzwischen steigt ihr der viele Soja-Tee zu Kopf. Ich erzählte gerade von der guten Landluft und netten Gesprächen mit netten Nachbarn, da fiel Pauline mir plötzlich ins Wort. Sie faselte etwas von „elendiger Vertrautheit“. Anonymität wisse ich überhaupt nicht zu schätzen. Dann schoss sie den Vogel endgültig ab und meinte: „So lange nicht wieder einer meiner Nachbarn vor mein Fahrrad in den Hof kackt, ist es mir herzlich egal, was sie treiben“. Bei mir schrillten alle Alarmglocken. Die Großstadt hat sie anscheinend völlig abgestumpft. Normalerweise wäre das der Punkt gewesen, an dem ich Pauline die Nummer der Telefonseelsorge aufgeschrieben hätte. Aber als angehende Psychologin kennt sie diese ja sogar auswendig.
Ich traue mich wegen solcher katastrophalen Zustände nur selten nach Berlin. Einmal ging es aber nicht anders. Die Schule verdonnerte uns zu einem Trip in die Hauptstadt. Wir besuchten den Bundestag, das Brandenburger Tor, das Museum der deutschen Geschichte und den Checkpoint Charlie. Besonders in Erinnerung sind mir jedoch die vielen Berliner Parks geblieben. Dort herrschte am späten Nachmittag rege Betriebsamkeit. Mir und meinen Freunden wurde alle paar Meter „Stoff“ angeboten. Mein 15-Jähriges Ich war sehr verwirrt. In der Bundeshauptstadt wird anscheinend viel genäht, dachte ich. Doch die Straßenverkäufer kamen mir gar nicht wie Fachkräfte der Textilindustrie vor. Nur unsere Lehrerin war von den Vorgängen im Park sehr schockiert. Sie rief bei der Polizei an. Nach dem Telefonat war sie sogar noch wütender. Die Antwort, die sie erhielt, muss wohl in die Richtung „und in China ist ein Sack Reis umgefallen“ gegangen sein.
Doch nicht nur die Textilindustrie hat sich in dem Park angesiedelt. Auch vor Medizinern muss es nur so gewimmelt haben. Am Wegesrand sahen wir überall gebrauchte Spritzen. Für die Messer und zahlreichen Patronenhülsen habe ich jedoch auch keine Erklärung. Später wurde uns dann mitgeteilt, dass ein berüchtigter Clan in jenem Park sein Unwesen treibe. Schießereien seien an der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang stelle ich mir folgende Frage: Was macht Pauline, wenn ihr spät abends auffällt, dass ihre Qinoa-Samen zur Neige gehen? Das Leben stellt sie in diesem Fall vor ein unmenschliches Dilemma. Zuhause bleiben und sich der Gefahr des Hungertods aussetzen? Oder sich vor die Haustür wagen und mit dem Heldentod konfrontiert werden? Bisher scheint Pauline dem Survival of the Fittest standzuhalten. Deswegen möchte ich ihr an dieser Stelle meine Bewunderung aussprechen. Wie sie sich Tag für Tag durch den Großstadt-Dschungel hangelt, nötigt mir wirklich Respekt ab. Ihr Überlebensinstinkt muss stark ausgeprägt sein.
Zum Glück gibt es Orte, an denen die Welt noch normal ist – nämlich in meinem Dorf. Am späten Abend kann ich hier nirgendwo Qinoa-Samen kaufen. Das liegt daran, dass Qinoa-Samen hier überhaupt nicht angeboten werden und ich gebe ja auch gerne zu, dass alle Läden in der Region nach 20:00 Uhr geschlossen haben. Für uns ist das aber kein Problem. Anders als die Berliner, denken wir länger als von 12 bis mittags. Spritzen am Wegesrand, Patronenhülsen, Messerstechereien? Fehlanzeige! Schlägereien gibt es höchstens bei der Kirmes. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass in meinem Dorf jemals eingebrochen wurde. Ganz im Gegenteil: Von Kriminalität ist mein Ort vollkommen unbelastet. Mopeds und Motorräder stehen ohne jede Schutzvorrichtung einfach auf dem Hof herum. Passiert ist noch nie etwas. Selbst Häuser und Autos werden hier nur selten abgeschlossen.
Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel verraten. Also liebe Pauline: Bitte bleib mit deiner Gang in Berlin und raube nicht mein Dorf aus!
Als ich einmal durch die einsamen Steppen Brandenburgs fuhr, hatte ich exakt einen Gedanken: wenn mein Auto streikt, wer zur Hölle hilft mir dann? Da wusste ich: das Landleben ist nix für mich. Die Textilindustrie allerdings auch nicht …
Also die Textil-Fachkräfte haben mich überzeugt, auch wenn ich dem grunzenden Tod ungern Nachts im Wald begegnen würde…
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Sehr lustig! Da fällts schwer sich zu entscheiden.. Aber als alte Städterin hab ich großen Respekt vor monströsen haarigen Umgetümen und finde es auch gut nach 20.00 einkaufen zu gehen, schließlich ist Planung nicht alles. Was die Textilverkäufer und Mediziner im Park angeht, naja. Aber es gibt ja auch textilfreie Zonen, ohne Ärzte. Die Stadt muss man halt ertragen können und Räume suchen, wo sich’s noch leben lässt. Die Auseinandersetzung mit den täglichen Widrigkeiten hält ja auch irgendwie frisch und sonst such ich halt die frische Luft und Entspannung am Wochenende auf dem Land. Aber täglich, das könnte eine Sauerstoffüberdosis geben..