Finnlands Neutralität Teil 1: Vom Zarenreich zum Zweiten Weltkrieg
Von Max Roland | Jahrzehntelang war Finnland neutral – und spielte eine wichtige Rolle für die europäische Friedensordnung. Unter dem Eindruck von Putins Angriffskrieg will das Land jetzt der NATO beitreten. Was bedeutet das für Europa, für den Westen und für Moskau?
Wer an Neutralität denkt, denkt oft an unsere südlichen Nachbarn aus der Eidgenossenschaft – „neutral wie die Schweiz“ zu sein ist längst sprichwörtlich. Dabei ist die Schweiz nicht das einzige Beispiel von erfolgreicher Neutralität. Genauso gut könnte man an Finnland denken – bisher zumindest.
Neutralität war lange ein Eckpfeiler der Politik Finnlands. Die finnische Geschichte ist seit Jahrhunderten geprägt durch seine Nachbarschaft zu Russland. 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit vom kollabierenden russischen Zarenreich: Eine Unabhängigkeit, die die Sowjetunion als Nachfolgestaat nie wirklich akzeptieren wollte. Der sowjetische Diktator Josef Stalin warf sein Auge schon bald auf die verlorenen Territorien des Zarenreiches. Nach Vereinbarung mit Hitler annektierte er teile Polens sowie die baltischen Staaten – auch Finnland geriet ins Visier der Sowjets. Es folgte der berühmte „Winterkrieg“ von 1939 bis 1940, in dem die Finnen ihre Unabhängigkeit erfolgreich verteidigten und dem roten Imperium de facto eine peinliche Niederlage zufügten – am Ende musste das nordische Land nur minimale Gebietsverluste hinnehmen. Der Fehdehandschuh war für beide Länder damit jedoch noch nicht begraben – im Gegenteil. Nach wie vor sah Stalin in Finnland nicht viel mehr als eine abtrünnige Provinz – und Finnland unter seinem Präsidenten Gustav Mannerheim suchte nach einer Gelegenheit, seine Territorien zurückzuerobern.
Diese Gelegenheit bot sich rund ein Jahr später. Seit dem Ende des Winterkrieges suchte Finnland nach Verbündeten, um eine neuerliche sowjetische Invasion abzuwehren. Moskau übte jedoch weiterhin massiven Druck auf Helsinki aus – eine von Finnland angestrebte Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Schweden wurde durch Stalin zu einem Casus Belli erklärt. Die Westalliierten waren derweil damit beschäftigt, in Frankreich durch die Wehrmacht überrannt und eingekesselt zu werden – von ihnen war keine Hilfe zu erwarten. So wandte sich Mannerheim an die einzige Großmacht, die fähig und willens war, Finnland zu unterstützen, war das deutsche Reich. Ab Ende 1940 begann ein enges Zusammenwirken zwischen den militärischen Führungsspitzen des Reichs und Finnlands. Mit dem Zusammenwirken beabsichtigte Nazi-Deutschland eine Sicherung der Lieferung kriegswichtiger Rohstoffe aus Finnland. Im Mai 1941 verlegte die Wehrmacht Truppen nach Finnland – die Verteidigung des Nordens war vertraglich den Deutschen Übertragen worden. Gemeinsam rüstete man sich für „Operation Barbarossa“, den Angriff auf die Sowjetunion. Am 25. Juni trat Finnland an der Seite Deutschlands in den Krieg ein.
Der Verlauf und das Endergebnis von „Operation Barbarossa“ sind dem Leser bekannt. Die Finnen kämpften vor allem im Norden in der Region Karelien, waren an der langen Belagerung Leningrads beteiligt und stießen mit den Deutschen un Richtung des Nordmeer-Hafens Murmansk vor. 1944 begannen die Sowjets eine gezielte Großoffensive, um Finnland zum Ausscheiden aus dem Krieg zu bewegen. Im gleichen Jahr schloss Finnland, trotz massiver deutscher Bemühungen dagegen, einen Waffenstillstand mit den Sowjets. Der endgültige Frieden von 1947 mit der UdSSR und Großbritannien wurde nach der Pariser Friedenskonferenz 1947 zu noch härteren Bedingungen geschlossen als nach dem Winterkrieg. Zu diesen Bedingungen zählte unter anderem die Abtretung des Gebietes um Petsamo, womit Finnland seinen einzigen eisfreien Nordmeerhafen verlor. Dafür blieb dem Land allerdings die Besetzung durch sowjetische Truppen erspart, und Helsinki konnte seine Unabhängigkeit bewahren.